Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz
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Читать онлайн книгу Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz страница 16
„Dann würden Sie vielleicht mit mir ins Kino gehen oder eine Flasche Wein trinken? Ich habe noch nie mit einem Mädchen eine Flasche Wein getrunken. Geld habe ich“, sagte er.
Sie ging weiter, notgedrungen musste er ihr folgen. Das Spiel drohte Ernst zu werden, was keineswegs in ihrer Absicht gelegen hatte. Woher nahm Heinz Laube plötzlich diesen Mut? Seine Wangen waren vor Aufregung gerötet. Die seltsamsten Gefühle bestürmten sie. Er gefiel ihr nicht, entsprach nicht ihren Vorstellungen von einem Mann. Dahinter aber lockte das Abenteuer, mit ihm auszugehen, ihn zu beherrschen. Sie zweifelte nicht, dass ihr das gelingen würde. Das war unfair ihm gegenüber, der nicht dafür konnte, dass er nur ein Schneiderlein war, und nicht einmal ein tapferes. Sie musste ihm diese Bitte abschlagen.
„Also gut“, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen, „wenn es sich ergibt. Wir sehen uns ja bei den Hirschbergs.“
Sie erreichten die Schwedter Straße und bogen rechts zur Kastanienallee ein. Sie wäre ihn jetzt gern losgeworden, um über ihre Zusage nachzudenken, die ihr doch etwas bedenklich vorkam.
„Nun müssen Sie aber gehen“, sagte sie. Ihre Stimme klang gereizt. „Ich bin gleich zu Hause und möchte nicht mit Ihnen gesehen werden.“
Er verabschiedete sich ohne Widerspruch und lief rasch die Schwedter Straße zurück.
Am anderen Tag fand sie Herrn Hirschberg sehr früh vor seiner Arbeit. Sie sagte „guten Morgen“, und er grüßte zerstreut zurück. Es schien dicke Luft im Hause Hirschberg. Herr Hirschberg stand ganz plötzlich, wie unter einem eben gefassten Entschluss auf und ging aus dem Zimmer. Die Tür ließ er offen, so wurde Renate unbeabsichtigt Zeuge der folgenden Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar.
„Du wirst diesen Auftrag zurückgeben“, hörte Renate ihn sagen, „diesen Plunder machen wir nicht.“
Frau Hirschberg schlug mit der Faust auf den Tisch. „Nun hör mir mal genau zu“, sagte sie, „ein solcher Auftrag kommt nur alle zehn Jahre in diese Firma. Seit zwanzig Jahren schleppe ich dich hier mit durch, denn du hast wahrhaftig nicht dein Essen in dieser Zeit verdient. Ich muss ja überhaupt verrückt gewesen sein, als ich dich genommen habe. Ich bin zu alt, um noch mal anzufangen, aber dieser Betrieb gehört mir, und ich bestimme, was wir machen, und wir werden die Wandbehänge machen, so wahr ich Auguste Hirschberg bin. Außerdem“, sagte sie nach einer Pause, „ist es natürlich ganz gleich, was wir machen.“
„Mir ist es aber nicht gleich", schrie Herr Hirschberg, „das hast du doch gehört.“ Und nach einer Weile fügte er hinzu: „Sieh dir doch das Zeug an, Hakenkreuze auf Kissenplatten, Schwedenkante mit SS-Runen, um Himmels willen, wer hängt sich denn solches Zeug hin und wer macht es?“
„Wir“, sagte Frau Hirschberg.
Mehr hörte Renate nicht, denn Gloria kam herein und schloss die Tür hinter sich. Sie presste ihr Taschentuch vor die Augen. Renate stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Das geht doch vorbei“, sagte sie tröstend.
„Für Sie vielleicht“, sagte Gloria, „für mich hat das nie ein Ende.“
Da setzte sich Renate wieder an ihren Platz. Ihre ersten Erfahrungen im Berufsleben waren betrüblich. Sie hatte eine andere Vorstellung von dieser Arbeit gehabt.
Die Abendschule begann täglich um sieben und dauerte bis halb zehn. Hier trafen sich Ziseleure, Setzer, Goldschmiede, Lithographen. Renate trieb Kupferplatten mit dem Kugelhammer zu Schalen und Halbkugeln. Die Kugel war die Krönung des Handwerks. Aus einer Kupferplatte eine Kugel zu treiben, war schon ein Kunststück, und wem es gelang, der durfte sich als Geselle betrachten, von dem sprach man mit Hochachtung. Es gelang nur wenigen.
Renate wurde in perspektivischem Zeichnen, in Materialkunde und Freihandzeichnen unterrichtet. Hier fand sie die Befriedigung, die sie gesucht hatte. Sie fing auch an zu töpfern, verfertigte Schmuck, und es machte ihr großen Spaß, ihre Erzeugnisse um sich zu sammeln. Die Wohnung in der Kastanienallee füllte sich schnell mit diesen neuen Gegenständen.
Hermann ging durch die Wohnung wie durch ein Museum, nahm hin und wieder ein Stück in die Hand, betrachtete es aufmerksam und stellte es wieder an seinen Platz.
Langsam wird klar, was Kunst denn nun wirklich ist, man muss nicht nur seine Augen aufsperren, man muss auch seine Ohren offenhalten können. Krüge und Glasschalen sind Kunst und Ketten aus Silberdraht und emaillierte Metallplatten und weiß der Himmel was noch alles. Die Schwester ist noch schlanker geworden, ihr helles Haar glänzt, ihr Gesicht ist so sauber, ihre Bewegungen sind rasch. Sie scheint immer zu lächeln, es ist, als sitze ihr eine Sonne unter der Haut. In ihrer Nähe kommt man sich plump und ungeschickt vor, aber sie ist gut, diese herrliche Schwester. „Sie hat ein weiches Herz“, meint die Mutter. Die Schwester ist unverletzlich in ihrer strahlenden Schönheit und Güte. Der Vater ist der Klügste. Er regiert sie alle, seine Entscheidungen sind unfehlbar, die Mutter leistet die Arbeit. Was der Vater ausdenkt, das macht sie wahr. Wenn der Vater sagt, morgen fahren wir an den Müggelsee, dann ist das ein guter und begrüßenswerter Einfall, über den sich alle freuen. Die Mutter macht am Abend die Stullenpakete fertig und schafft erst eigentlich die Voraussetzungen, dass die Fahrt ein Vergnügen werden kann. Die Schwester dagegen macht gar nichts. Sie kommt nur mit. Sie ist der blanke Schild der Kirchhoffs, in dem sich die Sonne spiegelt. Wäre ihre Freundlichkeit nicht, würde etwas Wichtiges fehlen. Dann könnte der Vater nicht mit der gleichen Gelassenheit seine Schirmmütze in den Nacken schieben und stolz um sich blicken. Selbst die Mutter ist anders auf einem Ausflug an den Müggelsee. Die Schwester liegt auf einer Decke im Schatten. Ihre Haut verträgt die Sonne nicht. Die Mutter, der Vater und Karl lassen sich braten. Die Mutter sieht zur Tochter, die die Augen geschlossen hat. Sie glaubt Rena außer Hörweite.
„Hör mal“, sagt sie, „mit euren Plänen geht es wohl nicht recht voran, was?“
Der Vater schweigt. „Im nächsten Jahr muss sie ihr Pflichtjahr machen“, fügt die Mutter hinzu. Und nach einer Pause: „Außerdem kommt sie jetzt in das Alter.“ Sie lässt ungewiss, in welches Alter Rena nun kommt.
Der Vater sagt etwas von Blödsinn.
„Die Mütter ziehen die Kinder ihrer Töchter auf, mein Lieber“, sagt die Mutter sehr nachdrücklich. Der Vater lacht. „Ja“, bemerkt die Mutter, „unsere Tochter ist was Besonderes. Sie ist so was Besonderes, dass sie überall auffällt. Drei Söhne sind mir lieber als eine Tochter.“
Rena bewegt sich, sie sieht zu ihnen hin, sie lächelt, die Tochter, die jetzt in die Jahre kommt.
„Willst du noch eine Decke?“, fragt die Mutter freundlich, „oder soll Karl dich einreiben? Du kriegst doch immer gleich einen Sonnenbrand?“
Es ist schön, wenn sie alle vier zusammensitzen und nichts tun als schwatzen oder schweigen, ihren Gedanken nachhängen und ein bisschen in die Zukunft sehen. –
Es wurde bald klar, was es hieß, in die Jahre zu kommen. Wenige Tage später warteten sie alle zusammen auf Renate. Der Vater wanderte um den Tisch herum, die Hände auf dem Rücken; die Mutter saß unter der Lampe und stopfte Strümpfe. Zwischendurch hielt sie Vorträge. Sie machte dem Vater klar, wie recht sie mit ihren Ahnungen gehabt, hatte. „Vierzehn ist deine Tochter“, sagte sie, mit der Schere winkend.
„Fünfzehn“, verbesserte der Vater, aber das schien keinen Unterschied zu machen. Wenigstens blieb die Mutter unbeeindruckt und sagte nur: „Kleine Kinder, kleine Sorgen - große Kinder, große Sorgen.“ Schuld