Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz

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Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz

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Er muss tüchtig essen. Hier ist Apfelkuchen, der ist noch warm! Na, endlich kommt das Mittag, gebt ihm mal nicht soviel Kartoffeln, das schwemmt nur auf. Gib ihm mal das Stück Kassler, das ist ganz mager, die draußen können das Fette fressen. Was, er kann nicht mehr? Er ist doch nicht etwa krank, das Jungchen? Geh mal zum Opa, leg dich ein bisschen hin… Warte mal, Jungchen, ich mach dir eine Brühe aus Markklößchen, die hat der Alte vorhin kommen lassen, so was hilft einem auf die Beine. Das geben sie auch in Krankenhäusern.

      Karl muss lachen bei dem Gedanken an die Küche in der „Friedlichen Einkehr“. So sind die Frauen dort. Renate ist anders. Sie kann sich mit denen nicht vergleichen. Mit ihr kann man reden, sie hat eine Unmenge bunter Gedanken im Kopf, und sie kann erzählen: Abends kann sie stundenlang, die Hände unter dem Kopf verschränkt, den Blick zur Decke, ihre Geschichten erzählen von Menschen und Riesen, von Gespenstern, schönen Frauen, die erlöst werden müssen und Rittern, die über eine Mauer klettern und singen. Da ist sie den Frauen der „Friedlichen Einkehr" über, was aber nicht viel wert ist, genaugenommen, denn von Geschichten wird niemand satt. Renate wird diesen Frauen hoffentlich mal nachgeraten. Sie ist ein Fräulein vorläufig, mehr nicht, gerade ein Fräulein, eine Frau, nein, das kann man nicht sagen, eine Frau ist sie längst noch nicht.

      Endlich sind sie fertig mit dem Küssen, dem Glückwünschen, und weil eben eine Pause in dem Schneetreiben ist, beschließen sie, rasch nach Hause zu laufen. Die Schirme unter dem Arm, die Mäntel vorn zusammengehalten, rennen sie die Straßen zurück und erreichen eben die Haustür, als neuer, klatschnasser Schnee vom Himmel fällt. Nun wird man endlich etwas zu essen bekommen. Eine der Frauen aus der „Friedlichen Einkehr" wirtschaftet seit früh in der kleinen Küche. Es riecht nach gebratenem Fleisch, nach Brühe und Fisch, nach allem Möglichen. Jetzt wird dann wohl das Fest beginnen. –

      Das Fest begann wirklich, zunächst mit einem ausgiebigen Essen. Anschließend gab es Kaffee und Kuchen und Kognak und Zigarren für die Männer. Am Abend kamen zwei Leute mit Geige und Akkordeon, das „Duo Emil Taube, mit Gesangseinlagen". Sie begleiteten das Abendessen mit schnulzigen Liedern, Emil Taube sang die Refrains. Das erhöhte die Stimmung beträchtlich, unterstützt von Bowle und Schnäpsen. Zu vorgeschrittener Stunde sang der Vater ein Lied von einem Räuber. Dazu hatte er seine blaue Schirmmütze verkehrt herum aufgesetzt, in der Hand schwang er ein langes Küchenmesser, eine schwarze Klappe verdeckte sein eines Auge. Herr Taube begleitete ihn sanft lächelnd auf dem Akkordeon.

      „Sie sind ein Künstler“, sagte Herr Taube.

      Der Vater lacht an diesem Tag am meisten. Anders die Mutter. Die lachte nicht, sie sah ziemlich zornig aus.

      Das größte Erlebnis für Karl aber war die Musik. Er ließ sich die Geige erklären und strich mit dem Bogen versuchsweise über die Saiten. Er drückte die Tasten des Akkordeons und begriff die Mechanik nicht. Das wäre etwas gewesen, solch ein Instrument hätte er spielen mögen. Sie hatten keins, höchstens, dass eine Mundharmonika in irgendeiner Schublade verrostete. Aber in der „Friedlichen Einkehr“ stand ein Klavier. Karl machte sich an den Opa heran, der sich langsam auflöste: die Weste stand offen, der Bauch quoll aus der Hose. Der Alte rülpste und setzte sich bequem in den Sessel. Da stand sein Enkel.

      „Wir haben doch ein Klavier“, sagte Karl.

      Natürlich, ja, ein Klavier war da.

      Er ist besoffen, stellte Karl sachlich fest. Besoffene hatte er seinerzeit bei Onkel Hannemann genug gesehen, er wusste, dass man sie vorsichtig behandeln musste. Sie konnten ohne ersichtlichen Grund überschnappen, und wenn man dann nicht aufpasste, und sie richtig zu packen kriegte, konnte es eine große Sauerei geben.

      „Ich will Klavier spielen lernen", sagte Karl, weil es doch einmal gesagt werden musste und möglicherweise diese Stunde die günstigste war für ein solches Verlangen. Übrigens war es praktisch gedacht, ein Klavier war da, ein anderes Instrument hätte er doch nicht bekommen.

      „Klavier spielen? Dann kannste ooch Kellner werden mit Plattfüße.“

      „Man muss es ja nicht so machen", sagt Karl, „man kann es auch zum Spaß machen, so wie du angelst, auch bloß zum Spaß.“

      Das war richtig, wenn man es so nahm, ließ sich gegen das Klavierspielen nichts einwenden.

      „Meinetwegen", sagte der Opa, „Kalte Wade kann es dir zeigen.“

      Um sich dieser Zusage zu versichern, sah Karl sich nach einem Bundesgenossen um. Er rief Tante Friedel, die gerade vorüberging, zum Zeugen.

      „Ich lerne Klavier spielen, Tante Friedel. Der Opa will es.“ So hatte er sie alle beide fest, einer konnte dem anderen gegenüber bezeugen, was gesagt oder was nicht gesagt worden war. Die Tante, die sich den Zusammenhang nicht erklären konnte, tappte auch prompt in die Falle, die ihr der Neffe gestellt hatte.

      „So ein Unsinn, Junge!“ Sie glaubte ihren Vater genügend zu kennen, um an der Wahrheit dieser Behauptung zu zweifeln, aber sie hatte die Wirkung der genossenen Schnäpse unterschätzt. Der Opa wurde munter.

      „Was heißt das, Unsinn? Wie sprichst du mit deinem Vater? Wer bezahlt den ganzen Laden, ich oder du?"

      Er rollte böse die Augen, und sie sagte erschrocken: „Um Himmels Willen, Vater, es hat doch niemand was dagegen gesagt, dass Karl Klavier spielen lernt!“

      Sie zog sich schleunigst zurück, und auch Karl hatte wenig Lust, sich in Gefahr zu begeben, nachdem er sein Ziel erreicht hatte.

      In einer anderen Ecke wurde etwas anderes verhandelt und auch entschieden. Der Vater versuchte der Mutter klarzumachen, dass Renate auf die Kunstgewerbeschule musste, einfach weil sie es wollte. Die Mutter wiederum wollte dem Vater das ausreden, weil sie fürchtete, die Tochter bald an einen Schwiegersohn zu verlieren. Das Gerede zog sich schon eine ganze Weile hin, sie kamen zu keinem Ergebnis. Die Mutter scheute die Ausgaben für die Schule, für die lange Ausbildungszeit. „Brotlose Künste“, sagte sie. „Wer von euch Zweien hat sich das bloß wieder ausgedacht?“

      Das Fest ging langsam zu Ende. Die Großeltern rüsteten zum Aufbruch. Der Opa stand schwankend auf seinen Beinen, versuchte den Vater bei den Schultern zu packen, erwischte ihn endlich auch, und sie brabbelten beide etwas vor sich hin. Endlich hatte Friedel die Taxe besorgt. Die drei verschwanden.

      Dann lagen Karl und Renate in ihren Betten. Die Schwester schlief heute sofort, freilich, sie hatte den ganzen Abend tanzen müssen. Draußen begann ein neuer Tag, Milchkannen klapperten, Autos fuhren, die Straßenbahn kreischte. Renate würde nun auf die Kunstschule kommen, sie würde tun, was sie sich selbst ausgesucht hatte.

      Kunst sind Bilder, sie können in Öl gemalt sein oder in Wasserfarben; selbst mit dem Bleistift lässt sich Kunst herstellen. Achtjährige müssen aufpassen, dass ihnen der Teil Welt nicht entgeht, der etwas mit diesen Dingen zu tun hat. Sie sind eigentlich ohne Nutzen. Bilder kann man nicht essen, und doch wird einem merkwürdig, wenn man, einmal darauf hingewiesen, die Drucke in den Büchern des Vaters betrachtet. Blumen, gemalte Fische und Äpfel sind einem nicht so nahe wie zum Beispiel Pferde mit Reitern in einer abenteuerlichen Uniform. Es sieht aus, als würden sie gleich herausreiten aus der Buchseite, der Gaul wird mit den Füßen scharren, das Zaumzeug klirrt leise wie bei den Zugpferden der Fuhrleute, die Lebensmittel in die „Friedliche Einkehr“ transportieren, einen Schnaps in der Küche trinken, die langen Peitschen festhalten: „Is jut, Frau Schuster, jawoll, Frau Schuster, hol ick morjen. Noch ein' Schnaps? Bin nich abjeneijt, Frau Schuster.“ Kunst ist noch viel mehr. Kunst ist, wenn einer singt. „Sie sind ja ein Künstler, Herr Kirchhoff.“ Kunst ist, wenn einer auf einer Geige spielt, das Denkmal von Schultze-Delitzsch ist auch Kunst. Kunst umgibt einen dauernd. Man muss nur seine Augen aufmachen. –

      Ja,

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