Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz

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Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz

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was die Erwachsenen denken.

      Außerdem wollen sich Kinder nicht einfach mit Tatsachen abfinden. Das steckt schon in dem Fragewort „Warum“. Warum kann man nicht zum Mond fliegen? Wer unvoreingenommen ist, wird sich nicht damit aufhalten, einem Achtjährigen zu erklären, dies scheitere an der Entfernung und die Reisegeschwindigkeit unserer Flugzeuge sei, gemessen an der Fortbewegungsgeschwindigkeit des Lichts, geradezu lächerlich gering. Was soll ein Achtjähriger von einem Erwachsenen halten, der auf seine Frage vielleicht angeregt aufsteht, hin und her wandert und einen Vortrag über kosmische Phänomene hält.

      Karls Vater antwortete: „Man wird schon noch zum Mond fliegen.“

      In Karl festigte diese simple Antwort die Gewissheit, dass der Mensch alles vermag.

      In der Kochstube saß die Familie Kirchhoff und unterhielt sich mit einem Besucher, der die meiste Zeit ihres Gespräches auf und ab ging. Es war ein Kollege, denn der Vater hatte Arbeit gefunden, in einer Druckerei. Die Augen Karls folgten dem hin und her gehenden Mann. Der trug graue Knickerbocker, ein buntes Hemd, eine Windbluse mit Reißverschluss und rauchte hastig Zigaretten. Der Vater nannte ihn Bernhard, die Mutter sagte Herr Schreiter.

      "Und Sie meinen, wir könnten diese Wohnung bekommen?“, fragte die Mutter.

      Herr Schreiter nickte. „Man muss zuerst mit dem Hauswirt reden, sagte er, „der wird eine Abstandssumme verlangen. Was weiß ich, zwei- oder dreihundert Mark. Du bist lange arbeitslos gewesen, Hermann, vielleicht kann dir der Alte was vorschießen?“

      Der Vater arbeitete wieder.

      „Sag mal, Hermann, du bist doch Verkäufer, warum bist du es nicht geblieben?" fragte Herr Schreiter. „Diese dreckige Arbeit in unserer Bude macht doch keiner, der es nicht nötig hat."

      Die Mutter sagt: „Es ist reine Neugier - was ihn die schon gekostet hat. Nirgends hält er lange aus, überall passt ihm was nicht, mal hat er Zank mit den Chefs, oder es passiert sonst was.“

      Karl spitzte die Ohren. In der „Friedlichen Einkehr" gab es keinen Zank mit dem Chef. Chef war ein für allemal der Opa, der sich auf nichts einließ. Wer sich seinen Anordnungen nicht fügte, dem gab er die Papiere und das Restgehalt, hemdsärmelig, die Zigarre im Munde. Schon möglich, dass der Vater nicht gut auskam mit den Chefs, weil er ein Streithammel war, Dies hatte die Mutter neulich ausdrücklich gesagt.

      „Es kommt alles zusammen“, sagte der Vater. „Es war eben die erste Stelle, die mir seit Jahren angeboten wurde.“

      Herr Schreiter seufzte. „Na ja, hättest eben noch etwas warten müssen, bis aus dem Silberstreifen am Horizont ein blanker Himmel geworden wäre.“

      Vater winkte ab. „Die Silberstreifen kenne ich noch von Kaisers her, herrliche Zeiten, dann kam vierzehn, Silberstreifen, was jetzt kommt, das möchte ich gern wissen."

      „Nazis“, sagte Herr Schreiter.

      Nazis sind Leute mit Topfmütze und Lederkoppel, mit Marschstiefel und Lastkraftwagen, sie fallen durch lautes Singen auf. Deutschland erwache - wir leben in Deutschland, wir sind Deutsche, deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein... Karl konnte schon ganz gut lesen. Deutsche Reichsbahn, Deutscher Verband der… Am merkwürdigsten war die Entdeckung eines Gerichtes auf der Speisekarte der „Friedlichen Einkehr“: Deutsches Beefsteak. Der Opa hatte ihn gewarnt: „Friss doch den Dreck nicht, lass dir ein richtiges Steak geben.“ Deutsches Beefsteak war Boulette, richtiges gebratenes Rindfleisch bekam nur, wer ein einfaches Steak wollte. Man musste schon vorsichtig sein.

      „Abwirtschaften lassen!", sagte der Vater eben gebieterisch, als hätte er etwas anzuordnen, und als würde irgendjemand davon beeindruckt.

      „Na gut", sagte Herr Schreiter, „wollen hoffen, dass uns das erspart bleibt. Ich möchte nicht dabei sein, wenn sich die Nazis abwirtschaften - Da du im Augenblick aber dieser These nachläufst, wollen wir es lassen. Ich wollte eigentlich mit dir noch über etwas anderes reden. Nämlich, da ein Drucker ausscheidet und der Alte wahrscheinlich keinen anderen einstellen wird, wäre diese Stelle frei. Wie wär es, wenn ich dich anlernen würde? Das ist was anderes als die Hilfsarbeit. Der Meister hat es angeregt, ich hab ihm so was vorgeschlagen, verdienst auch sicher mehr. Da bringen wir schon was heraus.“

      Der Vater sollte Drucker werden. Leute, die Zeitungen druckten, wurden nie arbeitslos, wie es der Opa kürzlich ausgedrückt hatte: Ob die Zeiten gut oder beschissen sind, muss alles in der Zeitung stehen.

      „Menschenskind“, sagte der Vater, „das wär mal nicht schlecht.“

      Eben, da befand er sich mit dem Großvater und überhaupt mit allen Leuten in schöner Übereinstimmung, Drucker, das war mal etwas.

      Auch Herr Schreiter freute sich nun, er stand schon wieder auf und wanderte in der Kochstube umher. Das brachte die Mutter wieder auf die Wohnungsfrage zurück.

      „Ja, Frau Kirchhoff“, sagte Herr Schreiter, „das geht sicher auch in Ordnung, ich red heute gleich noch mit dem Wirt.“

      Dann war er gegangen, und dann saßen sie wieder in der Stube, und es wurde Abend, sehr früh in diesem Spätherbst zweiunddreißig, aber sie waren angeregt durch diesen Herrn Schreiter, sie alle, er hatte etwas von einem frischen und freien Atem mitgebracht, etwas von Sicherheit und Selbstvertrauen.

      Eine Wohnung für die Mutter, ihr alter, bisher unerfüllter Traum, für den Vater eine Stelle als Drucker…

      „Bernhard ist ein feiner Bursche", sagte der Vater. „Seinen Tick hat ja nun jeder, er ist im RFB und in der Kommune, der halbe Betrieb übrigens, diese winzige kleine Bude, zu der man kaum Druckerei sagen kann, sonst wär es nicht möglich, dass ich angelernt werde, da passt die Gewerkschaft schon auf, dass nur ausgebildete Drucker rankommen.“

      „Lass dich bloß nicht in politische Sachen reinziehen", sagte die Mutter. Der Vater schwieg.

      Rotfrontkämpferbund und Kommune, die kannte jedes Kind. Dazu gehörte also der Herr Schreiter, ein feiner Kerl zwar, aber die Mutter musste doch noch einmal vor der Politik warnen. Politik ist etwas schlechtes, wer sich mit ihr abgibt, macht sich die Finger dreckig, Herr Schreiter hatte auch schon ganz graues Haar, und das machte einen komischen Eindruck, denn eigentlich sah er noch jung aus.

      Sie brauchten nicht lange zu warten; für einen Abstand von dreihundert Mark konnten sie die Wohnung in der Kastanienallee haben, außerdem durften sie die Summe abzahlen und konnten noch vor Weihnachten einziehen. Ab Januar sollte der Vater als Hilfsdrucker arbeiten, Herr Schreiter würde ihm alles zeigen, was er dazu wissen musste.

      Die Zimmer schienen dem Vater etwas groß: „Was stellen wir denn rein in diese Reitställe?" Aber die Mutter war zuversichtlich. Das würde nach und nach kommen.

      Und eine Woche vor Weihnachten hält ein Möbelwagen, ein kleiner Möbelwagen in der Inselstraße, und Karl sieht zu, wie die Ziehleute ihre Sachen auf die Straße tragen. Die Mutter ist sehr aufgeregt, sie tut so, als müsste jeden Augenblick eine Katastrophe hereinbrechen, ein Spiegel kaputtgehen, das würde sieben Jahre Pech bedeuten, ein Schrankbein abbrechen oder sonst ein furchtbarer Zwischenfall. Endlich ist alles verpackt, endlich liegt alles im Wagen, endlich können sie die Türen zumachen. Karl, Renate, Mutter und Vater gehen durch das Zimmer. Sie schließen das Fenster. Und dann hören sie Schritte die Treppe heraufkommen: Onkel Hannemann, der die Schlüssel holen kommt und zugleich einen Kontrollgang durch die Kochstube macht. Er klopft an, ehe er hereinkommt, er trägt sein grauweißes Hemd, Hosenträger darüber, auf seinen Armen sträuben sich die Haare.

      „Mahlzeit",

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