Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz

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Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz

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„Hermann, kannst du nicht mal aufhören mit Lesen? Hast du deinen Sohn gehört?"

      Hermann lachte über das ganze Gesicht.

      „Wenn Renate nicht darf, gehe ich auch nicht“, trumpfte Karl auf. „Dann gehe ich nie wieder zum Opa. So!“

      „Eine Kochstube hat eben auch Vorteile“, sagte der Vater. Die Mutter wirtschaftete geräuschvoll herum, stellte mit einem Ruck die Tasche auf den Tisch und entschied: „So, mein Sohn, nun wollen wir doch mal sehen, ob du so ein Held bist, wie es scheint. Zieh dich an, Renate!“

      Und so kam es, dass Karl, die große Schwester an der Hand, vor das Bett des Opas trat, der sie beide misstrauisch ansah. Und merkwürdig, dieses wunderbar schlanke Mädchen mit den komischen Augen machte ihn fast verlegen. Er schüttelte ihre Hand, hieß sie beide auf sein Bettende setzen und war wieder einmal den Tränen sehr nahe.

      „Da seid ihr nun wie Hänsel und Gretel“, sagte er und erzählte das Märchen ohne Übergang und umständlich. Dann kam er auf eine praktische Folgerung: „Das mit dem Knochen fühlen, war gar nicht so dumm, das macht man heute noch so. Wenn die Knochen zum Beispiel an den Fußwurzeln noch dick und knubbelig sind, dann weiß man, es war ein guter Wurf.“

      Er versank in Gedanken, während Karl seine dicken Finger besah. Renate hatte dünne Gelenke, zarte und schlanke Hände. So was muss es auch geben, dachte der Opa, nur, wohin steckt man ein solches Mädchen? In eine Küche nicht. Ja, was macht man mit einem solchen Mädchen? Sie ist eigentlich nur was zum Ansehen. Und damit erfüllte sie auch einen gewissen Zweck.

      „Na“, sagte er, „schön, dass ihr da seid. Nun geht mal in die Küche, der Opa will jetzt aufstehen, und die sollen mir mal noch einen Kaffee brauen, mit nem Schuss Kognak. Die wissen schon Bescheid.“

      In der Schloss- und in der Rheinstraße beginnt das Leben, Straßenbahnen rasseln, Autos hupen. In der Küche der „Friedlichen Einkehr“ wird das Sonnabendgeschäft vorbereitet, Leute kommen und gehen, Lieferanten, Besteller und Abholer. Riesenhafte Wurstplatten werden angerichtet, Braten bereitet, Torte wird geschnitten, Kaffee gemahlen, und die beiden Kinder laufen durch den Betrieb, helfen hier, kosten dort. Sie bringen etwas wie Glanz und Schimmer in diese Welt eintöniger Geschäfte. Sie essen mit dem Opa zu Mittag, sie spielen um seine Füße. Sie sind noch ohne jede Schuld an Geldeinbuße oder geschäftlichem Rückschlag, und dieser Umstand verschafft ihnen eine Menge Kredit bei ihrem Großvater.

      2. Nicht für die Schule lernen wir

      Arbeitslose kaufen keine Anzüge, obwohl sie überreichlich Zeit dafür hätten, Arbeitslose haben Sorgen. - Es ist viel von Schule die Rede gewesen, sehr viel. Den Großen fallen eine Menge Erlebnisse ein, mit Lehrern, mit Schuldienern. Karl weiß, wie man einen Diener macht, jene Verbeugung, die nicht zu tief und nicht zu steif sein darf. Wie macht man einen Schuldiener? Man mag die Eltern ausfragen nach Strich und Faden. Das Bild der Schule bleibt verschwommen. Eines ist sicher: In Zukunft, nämlich ab April, gehört der Vormittag eines jede Tages der Schule. Zweitens ist entschieden: Jeder Junge muss in die Schule gehen. Das ist nützlich und gut für ihn. Er soll etwas lernen.

      „Geh in die Schule und lerne was, und wenn du was gelernt hast, dann kommst du und erzählst mir das“, sagt Rena auf. Sie sagt es ein dutzendmal am Tag, so oft man will. Sie kennt die Schule, sie ist einem in dieser Frage näher als der Vater oder die Mutter, deren Schulzeit weit zurückliegt, die alles schon können. Aber auch Renates Auskünfte sind rasch und ungeduldig. Die Gedanken schleichen um dieses Ereignis wie Räuber um ein verschlossenes Haus, sie finden keine Tür, und es wäre doch so wichtig, vorher etwas über die Schule zu erfahren, die bis jetzt nichts anderes ist als ein großes rotes Gebäude, durch dessen Tor morgens die Kinder gehen, um etwas zu lernen.

      Weil Arbeitslose viel Zeit haben, und weil ein ordentlicher Vater seinen Sohn in die Schule bringt, nimmt der Vater Karl eines Tages bei der Hand und geht in das große rote Haus bis in das Zimmer des Rektors. Der Rektor hat einen weißen Bart und einen milden Gesichtsausdruck. Karl kennt niemanden, der einen weißen Bart hat. Der Vater nennt den Grund ihres Hierseins, er wolle seinen Sohn anmelden, weil der eben sechs geworden sei, und kurz und gut, dort stehe er. Die Augen des Rektors sehen Karl an, ein verstecktes Lächeln sitzt in einem Winkel dieser Augen.

      „Nun“, sagt der Rektor, „das ist also der Karl. Dann gib mir mal die Hand!“

      Tiefgreifendes Erlebnis, die Hand dieses freundlichen weißbärtigen Mannes zu schütteln.

      „Sie sind arbeitslos?" fragt der Rektor teilnehmend den Vater.

      Der bestätigt das. Er legt seine Meinung dar, die der Sohn schon öfter gehört hat und übrigens nicht begreift. Der Rektor schüttelt den Kopf und sagt: „Lieber Herr Kirchhoff, so kommen wir auch nicht weiter. Mit diesen radikalen Lösungen fahren wir nicht gut.“

      Der Vater sagt, er habe nicht die Absicht, den Rektor zu seinen politischen Überzeugungen zu bekehren, sondern er sei hier, um seinen Sohn für die Schule anzumelden. Darauf nickt der Rektor, erfreut, wie es scheint. Dann geben sich wieder alle die Hände, Rektor und Karl, und nun können sie gehen. Der Vater bleibt im Hinausgehen noch einmal stehen, zeigt auf ein kleines gerahmtes Schild und liest ab: „Weil ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere.“

      Der Rektor hüstelt verlegen. „Das ist so eine Redensart.“

      Aber Vaters Stimme klingt jetzt fast böse, als er sagt: „Ein Lehrer sollte meiner Meinung nach immer ein Menschenfreund sein, finden Sie nicht auch?“

      Der Rektor antwortet nicht. Die beiden werden sich gleich streiten, das liegt in der Luft, und der Vater hat recht. Der hat immer recht, er ist klüger als die Mutter, als Rena selbstverständlich, die er wie eine Erwachsene behandelt, nach Auffassung der Mutter, er ist klüger als der Opa, und er bringt auch den Rektor mit dem langen weißen Bart in Bedrängnis, denn der sagt nun ziemlich ärgerlich: „Machen Sie doch aus einer Mücke keinen Elefanten, Herr Kirchhoff. So werden wir keine Freunde. Dieser Spruch will ja nur ausdrücken, dass ich ein Tierfreund bin, mehr nicht. Wenn Sie daraus Schlüsse ziehen, dann müsste ich ja auch aus Ihren Äußerungen vorhin, die ich anarchistisch finde, welche ableiten. Das führt doch zu nichts.“

      Der Vater lächelt, lächelt auf seine überlegene Weise. Er hat den Rektor offensichtlich aus dem Felde geschlagen. Und der merkt so etwas, er sagt nämlich: „Dann nehmen Sie doch einen Hauslehrer, Herr Kirchhoff.“

      So trennt man sich wieder, steht auf der Straße, der Vater zündet sich im Gehen eine Zigarette an, eine Schwarz-Weiß, man marschiert durch den Köllnischen Park und ist froh. Dieser Weißbart hat einem die Hand gegeben. Er ist der Rektor der großen roten Schule. Die Ordnung ist erhalten geblieben. Der Vater erwies sich als der Überlegene, auch dem Rektor gegenüber. Der Vater muss ein großer Mann sein, wie er selbstsicher die Wallstraße entlang geht, eine Schwarz-Weiß raucht, nach links und rechts grüßt. Auf diesen Vater darf ein Sechsjähriger stolz sein. –

      Die Schule in der Wallstraße stand direkt am Bürgersteig. Hinten befand sich ein Hof, auf dem einige Kastanien an Lichtmangel zugrunde gingen. Muffig riechende, mit grauen Fliesen belegte Korridore durchzogen das Haus wie Ameisengänge. Es regnete in dünnen Fäden an diesem Apriltag. Alles floss zu einer grauen Kulisse zusammen.

      Die Hand der Mutter bot wenigstens einen kleinen Halt. Karl war tief beunruhigt. Von allen Seiten kamen Kinder mit ihren Eltern, marschierten durch das Tor in den Hof und warteten. Der Regen hörte endlich auf. Dafür strich kühler Wind durch das Schultor.

      Die Eltern redeten tröstend auf die bedrückten Kinder

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