Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz

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Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz

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Ereignis, in dem die Männer Soldaten wurden und totgeschossen, aber er fragte: „Warum war denn Krieg?"

      Der Opa fühlte keine philosophischen Neigungen. Außerdem lag der Krieg lange zurück und hatte seine Unternehmungen damals eher gefördert als gehindert. Er beschloss jedoch, die Stunde zu eine größeren Belehrung zu nutzen.

      „Also, das war so: Unser Kaiser, wir hatten einen Kaiser, musst du wissen, der wollte eigentlich keinen Krieg. Die anderen wollten Krieg. Sie haben einen Sohn von einem fremden Kaiser erschossen, und so ist der Krieg gekommen.“

      Karl verstand das nicht. Er sagte: „Der Sohn von einem fremden Kaiser? Warum haben wir Krieg gehabt, wenn es ein anderer Kaiser war?“ Der Opa entdeckte die Logik nicht, die darin stak, hatte aber auch nicht die Absicht, sich in ein Gebiet abdrängen zu lassen, in dem er selbst nicht sattelfest war.

      „Da bist du noch zu klein“, entschied er.

      Weil man hiergegen nichts einwenden konnte, sagte Karl: „Nun musstest du in den Krieg?“

      „Wieso ich?“, platzte der Opa heraus. „Wie kommst du denn darauf?" Aber um in den Augen des Enkels nicht zu verlieren, erläuterte er: „In einem Krieg werden nicht alle Soldat. Das ginge doch gar nicht. Ich war krank. Beim Viehtreiben hatte mir ein Bulle das Kreuz eingetreten. Davon hatte ich eine Beckenverletzung. Ich kannte aber den Oberst Landau, das ist ein Graf. Für den habe ich dann den ganzen Krieg über Beutevieh verkauft, das sie aus Russland und überall herbrachten. Der wollte nicht so in Erscheinung treten, weil er doch ein Graf war. Wir haben beide unseren Schnitt gemacht.“

      Karl kletterte herunter von seinem Stuhl und ging zu seinem Großvater. Er hatte ein gutes Herz, und es tat sicher sehr weh, von einem Bullen ins Kreuz getreten zu werden. „Tut es jetzt auch noch weh, manchmal?“ In seinen Augen schimmerte ehrliches Mitgefühl. Der Opa versuchte sich der Qualen zu erinnern, die er ausgestanden, aber es gelang ihm nicht. Das lag wohl zu weit zurück. Er fuhr mit der riesigen, behaarten Pranke und den kurznägeligen Fingern über den Kopf des Kindes. Er sah sich auf den Märkten, gesund, zugreifend, schlau - und das Bild entsprach mehr der Wirklichkeit als die Qualen, an die ihn sein Enkel zu erinnern suchte.

      „Am schwersten kaufen sich Hammel, lenkte er ab. Das wusste Karl schon, der sich wieder auf den Stuhl setzte. In die Stille hinein sagte der Opa sinnend: „Beinahe wäre dann doch alles im Eimer gewesen. Einer wohnte bei uns im Haus, der war bei den Roten. Als sie ihn holten, schrie er wie ein Kalb. Sie haben ihn gleich erschossen, ohne dass es geholfen hätte. Erst als Liebknecht totgeschlagen worden war, kriegten wir Ruhe. Da konnte ich mir endlich hier die „Friedliche Einkehr“ kaufen. Eine Eckkneipe. Der Berliner liebt Eckkneipen! Ich habe den Laden ganz schön hochgebracht. Ich war raus.“

      Karl begriff die Gewichtigkeit der Mitteilungen nicht, aber dass der Opa jetzt ernste Dinge erwähnte, war leicht ersichtlich. Sie mussten einen erschießen und diesen Liebknecht totschlagen, sonst wäre alles im Eimer gewesen. Dem kranken Opa war keine Mühe erspart geblieben. Karl sah wieder hin zu den Fleischmassen auf dem Sofa, wo es jetzt still war. Der Alte dachte an sein Glück, das ihn in Europas dunkelsten Jahren nach oben getrieben hatte. Er dachte an die Kredite und Verbindungen, die mit einem Schlage da waren, und dass sein Kaiser diesen Krieg verloren hatte. Er aber hatte ihn gewonnen. Es war wirklich ernst gewesen, neunzehn. Wer weiß, wo sein Geld geblieben wäre. Man musste in die politischen Richtungen hineinhorchen, riechen, woher der Wind wehte, und der Staat musste das Eigentum schützen, ganz gleich, ob er demokratisch oder autokratisch, liberal oder monarchisch war, ob tugendhaft oder verbrecherisch: an dieser Frage schieden sich die Geister. Alles andere mochte gehen, wie es wollte. Mit der Anna hatte er keinen schlechten Griff getan. Wie die Weiber das bloß machten, Kinderkriegen, die Küche, die Gaststätte, eine ganze Masse Arbeit für eine Pfarrerstochter, die die Bibel gewissermaßen mit in die Ehe gebracht hatte, viel mehr übrigens nicht. Wer nichts erheiratet und nichts ererbt, bleibt ein armes Luder bis er sterbt. Das stimmte nicht immer, wie aus seinem Beispiel zu lernen war.

      Im Ganzen kann man zufrieden sein, dachte der Opa und schloss mit der Bemerkung: „Das Leben ist eine verrückte Sache. Mal geht‘s rauf, mal runter. Man muss höllisch aufpassen.“

      Diesen Grundsatz dauernder Kontrolle setzte er in die Tat um. Der kleine Zeiger der Uhr stand auf drei, und das Geschäft ging bald wieder los. Er erhob sich ächzend, legte die kalt gewordene Zigarre in die Aschenschale und zog die Hose hoch.

      „Wollen mal sehen, was die Weiber machen“, sagte er zu Karl. „Nämlich, wenn man nicht dauernd hinterher ist, geht alles drunter und drüber.“

      Karl nickte. Sie machten dem Opa das Leben schwer. Es ging eben mal rauf und mal runter, wenn man nicht wie ein Schießhund aufpasst. Die Kellner betrogen, und die Weiber arbeiteten nicht genug, kaum dass der Opa einen Augenblick auf dem Sofa liegen konnte. Sie gingen zusammen in die Küche. Von den drei Herdplatten stieg Hitze auf. Sie kochten für späte Mittagsgäste Tante Friedel schlug in einem großen Metallbecher Sahne, die Kaffeezeit rückte heran. Die Kellner rannten mit Tabletts umher und schwitzten nicht weniger als die Frauen. Gertie rechnete Bons ab. Es war etwas umständlich, dieses dauernde Abrechnen, aber es sicherte dem Opa einen besseren Überblick. Die Oma schlief um diese Zeit, weil sie den abendlichen Hochbetrieb bis zur Polizeistunde zu überwachen hatte. Der Opa runzelte die Stirn, immerhin war es schon nach drei Uhr. Heute vermochte er sich darüber nicht aufzuregen. Die Aufzählung seiner Erfolge hatte ihn in eine angenehme Stimmung versetzt.

      „Macht uns mal ein ordentliches Tatar“, befahl er, „und bringt eine Flasche Bordeaux nach hinten.“ Er nahm Karl wieder an der Hand und beide verschwanden aus der Küche.

      „Eine Hitze ist da drin“, sagte er vertraulich zu Karl. „Keine zehn Pferde würden mich da reinkriegen. Ich muss erst mal pinkeln. Geh schon nach hinten. Ich komme gleich nach.“

      Aber Karl wollte unbedingt mitgehen. Er mochte sich jetzt von diesem gemütlichen Opa nicht trennen. Danach teilten sie das einpfündige Tatar und tranken Wein dazu, Karl ein kleines Glas, der Opa den Rest der Flasche. Dann wurde der Alte müde und legte sich wieder auf das große rote Sofa, das zwei Mann nicht schleppen konnten, und schlief ein. Karl rollte sich in das Fell davor.

      Tante Friedel weckte ihren Vater gegen achtzehn Uhr. Sie brachte den Kaffee. Karl wurde von seiner Mutter geholt. Auf dem Nachhauseweg fragte sie ihn aus, aber der schläfrige Sohn antwortete wenig.

      “Was habt ihr denn den ganzen Tag gemacht?“, forschte sie. „Junge, kannst du nicht antworten?"

      Karl hielt mit Mühe die Augen offen.

      „Der Opa hat mir was erzählte.“

      „Was hat er dir denn erzählt?“

      „Ich sag dir's morgen."

      Gertie schwieg überrascht. So stolz sie auf den Sohn war, schlich sich doch etwas wie Angst in ihr Herz. Sie kannte ihren Vater, und sie wusste auch, wie Hermann über ihn dachte. Das konnte nicht lange gut gehen. Eine Veränderung Karls würde Hermann nicht hinnehmen. Sicher würde er dann den Umgang Karls mit dem Opa verbieten. Und das durfte nicht geschehen. Sie hoffte, der Opa würde Karl den Lebensweg ebnen.

      „Ihr müsst doch irgendwas geredet haben?"

      „Ja“, sagte Karl, „mal geht's rauf, mal geht's runter.“

      In ihrer Verblüffung wusste sie nichts zu antworten. Das konnte Karl nur vom Opa haben. Die massige Gestalt ihres Vaters schob sich zwischen sie und ihren Sohn. Davon sollte Herrmann nichts erfahren.

      „Du musst es nicht so nehmen“, sagte sie verlegen, schwieg aber, als sie in sein ernstes Gesicht sah.

      Sie

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