Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz

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Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz

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ein, schnüffelte in Renates Haaren, wärmte sich an ihrem Körper, konnte aber nicht einschlafen. Seine lebhafte Phantasie ließ die Erzählung des Großvaters in bedrückenden Bildern wiedererstehen. Er sah einen kleinen Jungen in Holzpantinen auf einer staubigen, überhitzten Landstraße, erblickte einen weinenden Postboten am Grab einer Frau, ein Haus, dessen First sich unter dem Gewicht einer wirklichen Last bog. Ein mächtiger, riesenhafter Bulle warf einen Mann nieder, Leute mit wilden tückischen Gesichtern zerrten andere auf die Straße, sie schrien - bis alles durch einen donnerähnlichen Krach ausgelöscht wurde. Der erste Schritt aus der Inselstraße vermittelte einen Blick in eine schaurig-bewegte Welt, die sich erheblich von dem Frieden und der Stille der Kochstube unterschied; selbst der allabendliche Lärm in Onkel Hannemanns Kneipe konnte da nicht mithalten.

      Renate schlief mit ruhigen, stillen Atemzügen, ein leiser Hauch kam aus ihrem Mund, sie lachte im Schlaf, suchte sich zu drehen, fand den Bruder an ihrem Hals und blieb geduldig liegen. Mit dem freien Arm umschlang sie seine Schulter, der andere lag unter seinem Kopf. Durch das Fenster fiel Licht auf das groß Bücherregal, das so viele Schätze enthielt, Bilderbücher und das Herbarium, wie der Vater Pflanzen und Blumen bezeichnete, die zwischen den Seiten dicker Bücher trockneten, dann eine große Sternenkarte, in der auf dunkelblauem Grund viele Sternbilder eingezeichnet waren, ein Stück Papierhimmel.

      Und plötzlich hörte Karl Bruchstücke einer geflüsterten Unterhaltung zwischen den Eltern.

      „So“, hörte er den Vater sagen, „der Junge hat den Alten buchstäblich umgekrempelt?“

      Die Mutter bestätigte das. Er, Karl, könne machen was er wolle, der Alte wäre mit allem einverstanden. Sie würden sich nicht genug wundern über diese Entwicklung, aber das habe man ja häufig, dass die Großväter mehr an den Enkeln hingen als an den Söhnen und Töchtern. Wenn sie da so an ihre eigene Kindheit dächte…

      Hier war ohne Zweifel vom Opa die Rede, diesem prächtigen Mann, der, wie man heute erlebt hatte, die Geschicke der „Friedlichen Einkehr“ von dem großen roten Sofa aus lenkt. Der Vater nannte ihn respektlos den Alten, und die Mutter widersprach ihm nicht.

      „Ich glaube, Karl hat ihn gern“, sagte die Mutter. Stille. Auf der Straße rumpelte ein Auto vorbei, sein Lichtschein streifte das Bücherregal.

      „Das ist ganz natürlich“, sagte der Vater.

      Ja, der gutmütige Opa, der alles erlaubte, hatte ihn, Karl, zum Vertrauten gemacht, und das war ganz natürlich, wie auch der Vater fand, diese Autorität, die von allen bekannten Menschen die imponierendste war. Karl lauschte weiter, lag mucksmäuschenstill, um sich nichts entgehen zu lassen von dem interessanten Gespräch.

      „Er wird ihn schon noch kennenlernen“, sagte der Vater.

      Die Mutter kicherte leise. „Was begreift denn ein Kind davon? Man kann ihm doch nicht erzählen, was damals passiert ist. Ach Männe, mit deinem Schillerkragen und dem Theaterverein, du warst für mich doch damals ein Wunder mit deinem Gerede vom Himmel, von den Sternen.“

      Ja, in den Sternen, da kannte sich der Vater aus, da wusste er Geschichten, dort war er zu Hause. Beinahe hätte sich Karl durch eine zustimmende Bemerkung verraten.

      „Ich war wirklich blöd wie eine Gans. Habe ich dir eigentlich erzählt, dass mir erst der Doktor gesagt hat, was mit mir los ist? Da war ich im vierten Monat mit Renate.“

      Was war das? Im vierten Monat mit Renate? Daraus wurde Karl nicht klug.

      Der Vater lacht so laut, dass die Mutter ein „Pst“ ausstieß. „Und dann", sagte der Vater, „hat dich der Alte vor die Tür gesetzt, mit dem Bescheid, wiederzukommen, wenn du deinen Bauch los wärst. So, Tochter, hier ist nur einer Herr im Hause.“

      Das stand scharf im Raum, und Karl erschrak. Der Opa hatte die Mutter vor die Tür gesetzt, weil sie zu dick geworden war? Die Oma schleppte auch einen Bauch vor sich her, freilich, die Oma durfte sich etwas erlauben in der „Friedlichen Einkehr“. Mehr als die Kellner, mehr als die Töchter, Tante Friedel und die Mutter. Diese Härte stand in einem Gegensatz zu der Milde, die der Opa jetzt an ihm, Karl, übte, aber wie hatte die Mutter gesagt: So was hat man oft.

      „Mir war damals ziemlich mies", sagte die Mutter, „das kannst du mir glauben. Wenn du… dann hätte ich Schluss gemacht.“

      Es verwirrte immer mehr. Schluss gemacht, wenn du? Wenn du, was?

      „Ja“, sagte der Vater, „ich kenne doch den Typ. Von meinem vierzehnten Lebensjahr an, habe ich ein Dutzend solcher Chefs gehabt. Wenn die einer kennt, dann ich. Kriegsgewinnler, rasch eine Kneipe gekauft, ein paar Häuser, für ein paar Dollar konntest du ja ganze Straßen kaufen, und nun dicke da, große Leute, und plötzlich auch Grundsätze, plötzlich auch Macht. Wie mich das anwidert! Und wenn ich denke, dass Karl nun die Sechserweisheit gelehrt bekommen soll, dann werde ich verrückt. Das seh ich mir keine zwei Wochen mehr mit an. Ich hab nichts dagegen, dass die Großeltern ab und zu ihre Enkel sehen, aber so habe ich mir das nicht vorgestellt.“

      Die Stimme war laut geworden; Renate seufzte im Schlaf, ihr Arm rutschte herunter. Karl tastete nach ihrer Hand, fühlte sie schlaff. Renate schlief, aber plötzlich zuckte die Hand, bekam Kraft. „Klammeräffchen“, murmelte sie schlaftrunken und schlief weiter.

      „Hermann“, sagte die Mutter scharf, „red mir da nicht zwischen. Wenn der Alte seinen Narren an dem Jungen gefressen hat, dann soll er auch was für ihn tun. Wir können kein Schulgeld aufbringen, du hast jetzt nicht einmal Arbeit, ihm fiele das nicht schwer. Karl soll studieren, das hab ich mir in den Kopf gesetzt. Nein, lass mich jetzt. Jeden Groschen drehen wir zweimal rum, der Alte hamstert zusammen, was er kriegen kann. Tag und Nacht geht der Laden, keinen Sonntag, keinen Urlaub, so kriegt das Geackere wenigstens einen Sinn.“

      Aus dem Gespräch war nun nichts mehr zu entnehmen, alles ging durcheinander, nur die Erregung blieb spürbar im Raum, griff vom Bett der Eltern auf ihn über, auf Karl, der studieren sollte. Machte ihr die „Friedliche Einkehr“ denn keinen Spaß? Und der freundliche Großvater, den sie hier Alten nannten, war der am Ende nicht ganz so freundlich, wie es den Anschein gehabt hatte?

      „Und Renate?“, fragte der Vater knurrend.

      „Da ist nichts zu machen. Sie ist ein Mädchen, das interessiert ihn nicht.“

      So, da war wieder etwas Greifbares. Renate würde von dieser Herrlichkeit, die die Mutter für ihn erringen wollte, ausgeschlossen sein. Morgen würde er sie mitnehmen, diese große Schwester mit den komischen Augen, die seinetwegen so unbequem schlief. Er tastete mit der Hand in ihrem Gesicht herum. Sie erwachte. „Was wuschelst du heute bloß", sagte sie leise. Sie schliefen nun wirklich beide ein, fast Mund an Mund.

      Früh gab es eine Überraschung. Karl stand träge auf, suchte sich an etwas Wichtiges zu erinnern, aber es fiel ihm nicht ein.

      „Junge“, sagte die Mutter, „beeil dich doch. Wir kommen bestimmt zu spät. Ausgerechnet am Sonnabend.“

      Karl sah sie störrisch an. Er türmte Marmelade auf eine Schrippenhälfte, stellte sich dabei ungeschickt an, kleckerte das Tischtuch voll und steckte einen Katzenkopf ein.

      „Rena“, rief die aufgebrachte Mutter, „nun mach ihm doch mal die Schrippe. Heiliger Bimbam, das wird ja heute ein Tag, wenn wir so weitermachen.“

      Hermann blätterte in der Zeitung. Und da entsann sich Karl des Wichtigen von gestern Abend. Die Schwester - heute waren ihre grauen Augen wie frischgewaschene Kieselsteine.

      „Renate

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