Die Legenden des Karl Kirchhoff. Helmut H. Schulz

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Die Legenden des Karl Kirchhoff - Helmut H. Schulz

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sich endlich selbst mal was bieten. Das Leben war so hingegangen, erst der Krieg, dann Inflation, Arbeitslosigkeit; man ging langsam auf die Vierzig zu, die besten Jahre waren schon weg, eine Zeit der Ruhe würden ihm nicht schaden, dem Hilfsdrucker Hermann Kirchhoff.

      Die Konfirmation sollte eine große Familienfeier werden, der Höhepunkt in Renates Leben. Karl betrachtete die Schwester mit heimlichem Stolz. Sie war in diesen Jahren ein schönes Mädchen geworden mit ihrem schmalen Gesicht, den kühlen, hellen Augen und dem starken Mund. Früher hatten sie sich oft gestritten, in diesem Jahr war sie sanfter geworden. Es schien ihm, als sähe sie ihn manchmal mitleidig an, ein unerklärliches Mitleid, denn er fühlte sich ganz wohl in seiner Haut. Gelegentlich wurde sie beinahe zudringlich mit ihren Versuchen, ihn wie ein Kleinkind zu behandeln. So verlangte sie, dass er an der Hand gehen sollte. Die ihre war feucht, was Karl nicht mochte. Versuchte er sich loszumachen, brach sie unvermutet in Tränen aus, und er wusste erst nicht, was los war. Wo sie ihn erwischen konnte, drückte sie seinen Kopf und putzte und schabte an ihm herum.

      „Die Weiber sind eben dämlich", stellte er bei sich fest und gab damit wieder, was er hörte und sah, in der „Friedlichen Einkehr“ und anderswo. Er redete es nach, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging, merkwürdig berührt durch das wechselhafte Verhalten Renates. In ihrem gemeinsamen Zimmer in der Kastanienallee häufte sie, ihrer Reife entsprechend, neue Schätze, die für Karl nichts bedeuteten. Dafür verschenkte sie ihre alten und Karl heimste manchen Fund ein. Sie zog sich seit einiger Zeit auch im Dunkeln aus. Im Bett wünschte sie lange Gespräche mit ihm zu führen, die regelmäßig damit endeten, dass Karl einschlief.

      Als die Wohnung frisch tapeziert war, als alles noch nach Leim und Farbe roch, durften sie wieder in ihr Zimmer. Karl lag in seinem Bett und lauschte hinüber. Die Schwester regte sich nicht. Er hörte ihre unregelmäßigen Atemzüge. Sonderbare Gedanken zogen ihm durch den Kopf.

      „Jetzt wirst du bald eingesegnet“, sagte er, „da ist man erwachsen.“

      „Man ist wie immer“, sagte sie.

      Mit dieser Antwort war Karl nicht zufrieden. Sie rechtfertigte seiner Ansicht nach nicht den Aufwand, der anlässlich der Einsegnung getrieben wurde.

      „Muss man viel im Konfirmandenunterricht lernen?“, fragte er weiter.

      „Es geht“, sagte sie gedehnt, „du musst nur immer ja und amen sagen, die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis und so was. Es ist ganz leicht.“

      Karl konnte ihr Gesicht nicht sehen, und er hätte etwas darum gegeben, sie gerade jetzt zu beobachten. Ihre Stimme klang seltsam gepresst. Wahrscheinlich würde sie gleich heulen.

      „Glaubst du denn nicht, was die Lehrer sagen?“, fragte er.

      „Wir sollen auf Gott vertrauen, heißt es. Dann ist alles gut, der Herr wird alles richten. Wir müssen beten. Ich habe auch gebetet, aber es hat nichts genutzt. Das verstehst du noch nicht."

      Karl hatte Mühe, ihr zu folgen. Er lauschte auf die belegte Stimme der Schwester. Sie hatte gebetet und das half nichts? Dass sie so dumm war! Das wusste man doch, dass es nichts half, höchstens gelegentlich, auch dann noch anders, als man gewünscht hatte. Außerdem waren diese Bettelaktionen an höchster Stelle unzulässig, denn das war doch der Trick - der geringste Zweifel schloss die Erfüllung eines Wunsches von vornherein aus. Seine Gedanken kehrten zurück zu ihrer Bemerkung.

      „Worum hast du denn gebetet?"

      „Ich wollte auf die Kunstgewerbeschule, aber Mutter sagt, es geht nicht und wäre auch Unsinn.“

      Es geht nicht, dachte Karl. Wir haben kein Geld. Er begriff ihre Not.

      „Ich soll Verkäuferin werden."

      Es entstand eine Pause. Unter einer Verkäuferin konnte Karl sich eine Frau mit einem Kittel vorstellen, die Mehl und Zucker in Tüten füllte und meist gutmütig und dick war. Er hätte nichts gegen diesen Beruf gehabt, aber wenn Renate etwas anderes wollte, durfte man sie nicht daran hindern.

      „Und du willst nicht Verkäuferin werden? Dann musst du es sagen!" Karl richtete sich in seinem Bett auf. Es schien ihm undenkbar, dass sie sich ohne Gegenwehr fügen wollte.

      „Das hat keinen Zweck“, sagte Renate, „Mutter meint, ich heirate ja doch, dann ist das Geld zum Fenster hinausgeworfen. Und da hat sie ja recht.“

      „Und heiratest du wirklich?“, wollte Karl noch wissen, denn sollte das der Fall sein, konnte man nichts dagegen sagen.

      „Quatsch“, sagte Renate. Jetzt schien sie zu lachen.

      Karl hatte einen rettenden Einfall.

      „Was sagt denn Papa“?

      „Ach“, sagte sie, „der macht doch immer was Mutter will.“

      Das war Karl neu. Hatte ihn der Vater nicht oft genug herausgehauen. Damals, als er zu Löwe gegangen war, weil Karl in Angst und Schrecken lebte. Sollte es Renate schlechter ergehen als ihm?

      „Versuch es doch wenigstens“, beschwor er sie.

      Renate antwortete nicht mehr. Sie wollte dem Bruder nicht zeigen, dass sie weinte.

      Karl ließ sich zurückfallen und zog die Decke hoch. Er fror an den Beinen und konnte nicht einschlafen. Das Schicksal der Schwester beschäftigte ihn weiter. Sie sollte tun, was sie nicht wollte, warum?

      Arbeit war etwas wie Schule. Man musste, ob man wollte oder nicht, man konnte der Arbeit keinesfalls entrinnen. Der Opa hatte sogar schon mit acht aufs Feld gemusst, oder mit zehn, einerlei, jedenfalls sehr früh. Jetzt freilich lag er meist auf dem großen roten Sofa, aber dieses Glück widerfuhr nur wenigen Menschen. Karl empfand zum ersten Male die Hilflosigkeit menschlicher Bemühungen vor einem so furchtbaren Ding wie beispielsweise der Arbeit, die sie alle fraß, wie der Wolf die Geißlein.

      Er beschloss, mit dem Vater zu reden.

      4. Handwerk hat goldenen Boden

      Karl sitzt neben Vater und Mutter, sitzt zwischen ihnen, wahrscheinlich aus Vorsicht, denn eine Kirche ist etwas, dass er noch nicht kennt. Es ist eine kleine Kirche mit schmalem Mittelschiff und dunkel gebeizten Bänken. In der ersten Reihe sitzen die Konfirmanden. Der Pfarrer hat sie hereingeführt. Dazu spielt die Orgel. Man kann das Instrument nicht sehen, es sei denn, man will die langen, hohen Pfeifen dafür halten. Der Vater hat Karl in Eile einiges erklärt - längst nicht genug für den Wissensdurst seines Sohnes.

      Die Orgel verklingt, der Pfarrer, ein kleiner alter Mann, weißhaarig und gebückt durch die Last der Jahre, steht mit dem Rücken zu ihnen vor einem Tisch, der mit einer Decke belegt ist. Darauf stehen ein Kruzifix, frische Blumen und weißliche Kerzen, die aber nicht brennen. Sie sind wohl bloß zur Zierde da, wie Mutters Kerzen in dem porzellanen, dreiarmigen Leuchter auf der Anrichte, die auch nie angezündet werden. Dann dreht sich der Pfarrer um, hebt die Hände, und die Menschen müssen aufstehen. Karl verpasst den richtigen Augenblick, bekommt einen sanften Rippenstoß von der Mutter, und steht nun auch schnell auf. Sie müssen etwas singen. Er versteht den Text nicht, aber die Orgel spielt ihnen das Lied vor. So geht's einigermaßen, auch weil der Pfarrer sehr laut mitsingt Karl versucht, sich den verschiedenen Tonhöhen anzupassen, und es gelingt ihm ganz gut. Später dürfen sich die Menschen wieder setzen.

      Karl sucht den Opa, der im Bratenrock neben der Oma und der Tante sitzt, schräg

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