Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt страница 19

Автор:
Серия:
Издательство:
Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

Скачать книгу

lebt heute in einem Arbeitslager bei Petobirsk, wie wir nicht ohne Mühe herausfanden – kaum der Ort für einen verdienten Mitarbeiter des KGB.«

      »Und Sie glauben, ich sei dieser andere Denunziant?«

      »Natürlich sind Sie nicht der einzige Verdächtige.«

      »Warum sollte man mich abschieben, wenn ich für die Regierung arbeitete?«

      »In der Tat, das ist eine interessante Frage«, bestätigte ich.

      »Ein etwas obskurer Verdacht. Haben Sie keine überzeugenderen Hinweise?«

      »Dergleichen sollten Sie sich besser nicht wünschen.«

      »Ist das der wahre Grund, warum man mich hier festhält?«

      »Ich sagte schon – es handelt sich nur um eine Routineuntersuchung. In erster Linie aber will man Sie davor bewahren, für Tage oder Wochen zu einem Vorzugsobjekt der Presse zu werden, die Ihren Fall sofort über Gebühr hochgespielt hätte. Sie kennen die Gepflogenheiten des hiesigen Journalismus nicht.«

      6

      Der Bus nach Kladow schien sich zu dehnen und länger und länger zu werden – die Länge eines Personenzugs zu erreichen –, durch dessen Mittelgang ich weit entfernt und winzig den Mann am Steuer sehen konnte …

      Aber in Wirklichkeit war das Ganze, jetzt erkannte ich es immer deutlicher, eine Raupe mit grünlich schimmernder Haut, die sich, ein verwelktes Blatt im Maul, durch die Straßen wand …

      Ihre Scheiben vibrierten, die Türen zischten, die lange Röhre verformte sich wie ein Schuhkarton, während der Fahrer mit dem Rücken zur Fahrtrichtung beruhigende Worte an die Passagiere richtete …

      … und als eine Bodenwelle meinen Sitz über der Achse hochwarf, glaubte ich für einen Moment, durch das transparente Lüftungsfenster in der Decke hinausgeschleudert zu werden …

      Ich segelte über die Oberleitungen, spürte den Luftzug an Armen und Beinen und sah mich zugleich dort unten am Fenster sitzen: vorgebeugt, das Kinn auf der Lehne des Vordersitzes – ein untersetzter Mann mit dünnem Hals und ausgeprägter Hakennase. Doch das Merkwürdigste daran war, dass seine rechte Gesichtshälfte zu lachen schien, während die linke, als ich zur anderen Fensterseite herabstieß – es bestätigte meine Ahnung –, eher trübsinnig, weinerlich dreinschaute …

      Ich schlug von außen mit der flachen Hand gegen die Scheibe, um ihn zu warnen, aber der Mann auf dem Hintersitz schien mich nicht zu sehen.

      Er blickte mich mit leeren Augen an.

      Dabei stürzte der Bus durch die abschüssige Straße auf das größer und größer werdende Menschenpünktchen an seinem Ende zu, in dem ich mit Entsetzen Leo Kofler erkannte …

      Er stand in der Mitte der Kreuzung, beide Arme ausgebreitet, als empfange er einen guten Freund. Ich sah das Kreuz in ihm, das Symbol, das Opfer, das Lamm – und ich versuchte mich von meinem Sitz zu erheben …

       Das Ampheton, durchfuhr es mich siedendheiß – zu hohe Dosis!

      Doch meine Muskeln reagierten nicht mehr. Etwas, über das ich keine Gewalt hatte, hob meinen Arm und verscheuchte das bizarre Spiegelbild draußen vor der Scheibe, dessen Hakennase sich in den Rahmen krallte, während die Beine wie eine heraushängende Gardine im Fahrtwind flatterten …

      Noch immer sprach der Fahrer – den Rücken zur Fahrtrichtung und gegen das Lenkrad des rasenden Wagens gewandt – beruhigende Worte. Er war völlig haarlos, ohne jeden Flaum – es war F., ja, tatsächlich F.! –, wie ich jetzt erkannte, als er die Mütze abnahm und sich über den glänzenden Nacken wischte.

      Dann endlich erwachte ich – langsam, unendlich langsam – aus meiner Starre. Aber nicht ich war es, der sich erhob, sondern irgend etwas anderes in mir, eine unbekannte, fremde Kraft. Ich sah so deutlich, als stände ich neben mir, die Trennung meiner Gedanken, meines Entschlusses von der Kraft, die meine Muskeln bewegte. Ich winkte, gestikulierte – die Kreuzung, der Mann auf ihr … Ein Unglück würde geschehen.

      Doch immer, wenn ich annahm, der Fahrer entdecke mich endlich, entschwand das Ende des Busses durch eine Biegung meinem Blick.

      Ich versuchte mich zu ihm vorzuarbeiten. Vergeblich! Alles schien eine runde Form anzunehmen: die sich unaufhörlich verformende Röhre, die Fenster der Häuser draußen, selbst der Gehsteig wölbte sich auf (es war, als blicke man durch ein Fish-Eye-Objektiv), das Licht hatte die schlierig verzerrende Transparenz eines unreinen Glasstücks.

      Es dämmerte, doch nur wenige Fenster waren beleuchtet. In einem dieser Fenster entdeckte ich, unwirklich, als sei es eine Sinnestäuschung, Pysiks Hinterkopf mit dem kreisrunden Loch, das die Kugel der Schwarzpulverwaffe bei ihrem Austritt in seine Schädeldecke gerissen hatte.

      Und sofort wurde mir wieder übel. Nicht schon wieder! dachte ich. Es war ein erbärmlicher Zustand – die Übelkeit, die das Schaukeln des Busses noch verstärkte, die rasende Fahrt der Kreuzung entgegen (neben der mein Wille nur wie ein belangloser, machtloser Gedankenblitz erschien, die Selbsttäuschung, dass er mehr bewirke, als mit ihm und durch ihn bewirkt werde – als stünde es wirklich in meiner Macht, Koflers Leben zu retten), und F., der immerfort seine Mütze abnahm und sich den Schweiß abwischte von seinem runden Schädel.

      Und dann erkannte ich plötzlich meine Chance: Der Bus hielt unversehens, die Falttüren vor mir zischten – zwei, drei unsicher tastende Schritte, und ich taumelte hinaus auf den Gehsteig an der Haltestelle. Vorbei der Spuk!

      Benommen blickte ich dem abfahrenden Wagen nach. Seine Länge war auf das gewöhnliche Maß zusammengeschrumpft. Ich lehnte mich an die Hauswand und schloss die Augen. Tief durchatmen, die Aufmerksamkeit zur Nasenspitze … es war das einzige Mittel, wenn ich eine zu hohe Dosis geschluckt hatte. Ein Psychiater hatte mir irgendwann den Rat gegeben – zusammen mit der Warnung:

      »Wenn Sie Ihre Krisen weiterhin mit dieser Rossmethode kurieren, garantiert ich für nichts«.

      Die Halluzinationen würden jetzt bald nachlassen. Wahrscheinlich noch ein wenig Übelkeit, ein Kribbeln in den Beinen und Fingerspitzen, dann setzte die Phase der Stabilität und der inneren Sammlung ein. Und sie würde zwei, vielleicht sogar drei Tage anhalten …

      Ich tastete mich an der Hauswand entlang. Noch waren meine Knie weich, und die Beine wollten nicht gehorchen. Das Kribbeln in den Fingerspitzen wurde unerträglich, griff auf den ganzen Körper über. Die Ruhe nach dem Sturm wurde nicht etwa künstlich erzeugt – wie bei einem Schlaf- oder Beruhigungsmittel –‚ sondern beruhte auf der vorangegangenen »Geröllabfuhr« aus dem Nervensystem.

      Sie entstand nach einer erzwungenen Traumphase, die von den Schlacken des Unterbewusstseins befreite, ganz ähnlich unserer alltäglichen, gewöhnlichen Verrücktheit, die vielleicht nichts anderes ist als ein in den Tag verlegter Traum.

      Ich war ein paar Haltestellen zu früh ausgestiegen: an der Kreuzung Gatower- und Heerstraße. Diese Gegend kannte ich nur flüchtig. Der Straßenbelag hatte sich in die alte Ebene zurückgewölbt. Rechts vor mir lag das Postamt. Seine Pforte war bereits geschlossen. Ich sah durch das Gitter in den erleuchteten Vorraum. Dann ging ich weiter. Einige Schritte an der frischen Luft würden mir gut tun. Die Straße geradeaus führte in den Stadtteil Kladow. Eine magere alte Dame mit einem Handtäschchen am Arm kam mir entgegen;

Скачать книгу