Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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Ich kam mir vor, als hätte ich den unsicher tappenden Schritt eines jungen Hundes. Doch meine Zunge war schwer – zu schwer zum Bellen –, und ich war alt, unendlich alt, und das Ampheton ließ mich noch schneller altern.

      In einer Schaufensterscheibe betrachtete ich das Spiegelbild meiner gedrungenen Gestalt, den überlangen, dünnen Hals, und überlegte, welche Chancen ich mir bei F.s Mädchen hätte ausrechnen können ohne die Lügen, die er ihnen erzählte. Dann ging ich weiter (ich verzichtete großzügig, mir selbst eine Antwort darauf zu geben).

      An der nächsten Straßenecke kaufte ich ein Päckchen Zigaretten und eine Zeitung (ich war Nichtraucher, aber wenn sie Raucherin war, würde es einen guten Eindruck machen, vorgesorgt zu haben; außerdem war es lästig, wenn sie nachts noch einmal mit dem Vorwand aufstanden, sich unbedingt vom Zigarettenautomaten unten an der Ecke eine Schachtel ziehen zu müssen – die meisten waren ausgehungerte Wölfe wie mich nicht gewohnt, es schockierte sie). Ich blätterte die Zeitung flüchtig durch; über Kofler stand nichts darin. Auch in der Zeitung, die er morgens von seinem Spaziergang mitgebracht hatte, war kein Hinweis gewesen.

      Als ich an einer leeren Telefonzelle vorüberkam, zögerte ich kurz. Ich hatte F. noch nicht wegen des Zwischenfalls vor der Bäckerei angerufen; doch dann verschob ich das Gespräch auf später. Gewöhnlich lähmte das Ampheton für eine Weile meine Zunge, das Sprechen wurde schwerfällig, die Wortflüssigkeit ließ nach, und F. würde merken, dass ich eine zu hohe Dosis geschluckt hatte. Er würde fuchsteufelswild werden – vermutlich zu Recht.

      Es war Koflers Ausflug gewesen, der mich ein wenig aus dem Konzept gebracht hatte. Genauer: seine Rückkehr. Denn seine Flucht hätte mich mit einem Schlage des Problems entledigt, ein weiteres Urteil fällen zu müssen.

      Ich warf die Zeitung in einen Abfallkorb und ging weiter bis zur Bushaltestelle. Auf dem Fahrplan las ich, dass der nächste Wagen in zehn Minuten fuhr. Der Kladower Damm, in den hier die Gatower Straße einmündete, war lang – ich wusste nicht wie lang, aber sicher mehr als zwei Kilometer –‚ und ich fühlte mich noch zu schwach auf den Beinen, um ihn zu Fuß zurückzulegen. Außerdem musste ich mich beeilen, wenn ich rechtzeitig dort sein wollte. Es war Viertel vor sieben.

      Sie saß an einem der Fenstertische links vom Eingang – genau wie F. es angekündigt hatte. Jedenfalls nahm ich an, dass sie es war, denn sie blickte fragend auf, als ich den Laden betrat. Es war eines dieser kleinen, gemütlichen Speiselokale, die jetzt überall wie Pilze aus dem Boden schießen: mit abgeteilten Sitzecken, dunklen Holzbalken, viel Messing und dekorativer Täfelung. Die Lampen waren englisch – oder sahen wenigstens so aus.

      Sie hatte ein volles Glas vor sich stehen. Ich nahm an, dass es Martini war. Ihre Haltung schien mir ein wenig zu gerade, kerzengerade (Betschwester, dachte ich), und sie trug eine jener geschwungenen goldenen Brillen mit nach oben gezogenen Spitzen – verlängerten Augenbrauen – wie die amerikanischen Filmdivas der fünfziger und sechziger Jahre, wenn sie nicht erkannt werden wollten.

      Das Gesicht hinter der Brille allerdings war beinahe klassisch schön. Kein Dummerchen, wie F. behauptet hatte. Eher der kühl distanzierte Cathérine-Deneuve-Typ als das verheißungsvolle Gesicht einer Marilyn Monroe. Ihre Gestalt war klein, zierlich, und ich verspürte sofort einen ausgeprägten Beschützerinstinkt.

      Mit einem freundlichen Kopfnicken steuerte ich auf sie zu, und während ich mich in die Mahagonibank zwängte, sah ich, dass ihre Knie – makellose weiße Knie – sich unter dem Tisch schlossen: schlechtes Zeichen (Versagungsomen) und eine unbewusste Reaktion, die mehr aussagte als Worte. Vermutlich war ich nicht ihr Typ.

      »Ich nehme an, F. hat Ihnen …«

      »Sie haben sich verspätet.«

      »Ich stieg unterwegs aus – um Luft zu schöpfen – und nahm den nächsten Bus.«

      »Den Bus …?«, fragte sie ungläubig. »Ah, richtig, Leute Ihres Schlages benutzen öffentliche Verkehrsmittel. Aus Sicherheitsgründen.« Sie reichte mir achselzuckend ihre kleine Hand herüber. »Barbara Falkner. Ich nehme an, Sie sind ein wenig überrascht, oder?«

      »Überrascht? Nein, wieso?«

      »Nun, weil ich – « Sie musterte mich erwartungsvoll.

      »Weil Sie‘s kaum erwarten konnten?«, fragte ich.

      Sie errötete weder, noch sah sie mich sprachlos an. Ihre eigentümlichen Augen musterten mich nur ruhig – sekundenlang –‚ dann trat ein kaum merkliches Lächeln in ihren Blick. Sie sah der Deneuve so verteufelt ähnlich, dass ich ganz schwach wurde. Es war das feine, schon fast aristokratische Spiel ihrer Mimik, das mich mit einem Male wie versteinert dasitzen ließ. Sie hatte mittelblondes Haar – etwa die Tönung, die ich als Farbe meiner Wahl bezeichnen würde. Die Falle, die uralte Falle, hatte wieder mal zugeschnappt!

      Herrgott, dachte ich, nicht noch mehr Probleme. Ich schüttelte ihren Eindruck ab wie der Elefant die junge Raubkatze, die auf seinen Rüssel gesprungen ist, und winkte dem Kellner.

      Ihre Brille war ausgesprochen hässlich. Ich versuchte mich auf die Hässlichkeit dieser Brille zu konzentrieren. Bisher hatte ich durch sie hindurchgesehen.

      »Ich konnte ja nicht ahnen, dass Sie nichts davon wissen«, meinte sie. »Ich dachte, Sie suchen sich Ihre Mädchen nach den Bildern im Personalkatalog aus.«

      »Nicht wissen – was?«

      »Dass ich nicht Regina bin. Regina ist meine Freundin, ich vertrete sie nur.«

      »Sie sind …?«

      »Als Ersatz gekommen«, bestätigte sie.

      Das machte mich hellhörig. »Personalkatalog? Wieso?«

      Ich hatte vergessen, F. nach der Rolle zu fragen, die ich diesmal spielte. Wie meistens, ließ ich es einfach auf mich zukommen. Sie würden mich schon früh genug darüber aufklären, ob ich russischer Überläufer, ein noch zu bekehrender Angehöriger des tschechischen Außenministeriums oder ostdeutsches ZK-Mitglied war.

      »Regina hat … sie ist – ich meine, sie fühlt sich etwas unpässlich. Offen gestanden, sie wurde von ihrem Freund verprügelt und sieht im Augenblick nicht gerade ansprechend aus. Wir wollten es aber vermeiden, Sie zu enttäuschen. F. ist immer so ungehalten, wenn etwas dazwischenkommt, er legt es gleich als Unwilligkeit aus und bringt einen Vermerk in der Personalakte an. Natürlich habe ich von dem Tausch nichts erwähnt, weil …«

      »Lenken Sie nicht ab.«

      »Ablenken, wovon?«

      »Vom Personalkatalog.«

      Der Kellner kam an unseren Tisch, er neigte sein früh ergrautes Haupt.

      »Möchten Sie etwas essen?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Suppe? – Omelett? Das gehört zu Ihren Pflichten als Gesellschafterin.«

      »Dann nehme ich Civet de Iangouste«, sagte sie, »und vorher Tourain bordelais. Auch etwas Wein dazu – einen Vouvray neunzehn-zweiundfünfzig.«

      Der Kellner nickte und lächelte zufrieden. Vermutlich, weil das Teuerste war, das die Küche zu bieten hatte.

      »Also?«, erkundigte ich mich, als er gegangen war. »Wie war das mit dem Bilderbuch

      Zwei langbärtige Heinzelmännchen kamen herein und setzten sich in die Bank

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