Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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      Was war nun so Bemerkenswertes daran? Es handelte sich um eine Studie über die Effektivität der kommunistischen Parteien im Westen. Sie hieß Neue Wege und behandelte in dreizehn Thesen die Unterwanderung der westlichen Parteien durch kommunistisches Gedankengut. Eine dieser Thesen lautete:

      ‘Wegen des westlichen Materialismus, der Versklavung des Menschen durch den Konsum, kann nicht mehr mit dem Erfolg revolutionärer Strömungen gerechnet werden; der Kommunismus muss sich vielmehr der Wolf-im-Schafspelz-Taktik bedienen und das kapitalistische System von innen heraus – über jeweils augenscheinliche Missstände – an seinen Schwachpunkten angreifen, um eine so formierte große Volksbewegung im entscheidenden Augenblick in seinem Sinne zu beeinflussen.’

      These sieben lautete: ‚Selbst terroristische Aktivitäten sind zu unterstützen, weil durch sie ein revolutionäres Potential geschaffen wird.’

      Es war die Absicht Ihrer Frau, Sie im Osten – was für ein grandioses Missverständnis! – mit dem Beweis Ihrer orthodoxen Haltung zu entlasten. Doch zu jener Zeit konnten Sie daran gar nicht mehr interessiert sein, denn Sie bereiteten sich auf eine völlig andere Aufgabe vor …«

      »Eine Aufgabe? Ich verstehe nicht?«

      »Ein Projekt, das der KGB und vermutlich waren auch Wholff und Achenbach vom Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit daran beteiligt – für Sie ausgearbeitet hatte.«

      »Davon weiß ich nichts«, erklärte er lakonisch.

      »Warum starb Ihre Frau dann in der Haft?«

      Kofler schwieg. Er schien nachzudenken – aber es sah nicht aus, als sei er sehr erfolgreich damit …

      »Was Sie über das Ultimatum der polnischen Behörden sagen, ist zutreffend«, lenkte er ein. »Es gab diese Drohung. Als man sie inhaftierte, legte man ihr ein Papier vor, sich von mir scheiden zu lassen und ihren alten Namen Warwara Alexandrowna anzunehmen – sozusagen als ein Zeichen der Distanzierung. Am Tage vor dem Interview, als ich noch zögerte, rief mich das Mitglied einer Organisation aus der Schweiz an, die sich für politische Gefangene einsetzt, und teilte mir mit, dass meine Frau in die Spezialklinik eingeliefert worden sei.

      Erst später stellte sich heraus, dass es eine Namensverwechslung war. Es handelte sich um eine andere Alexandrowna. Ich glaubte, sie hätten aus humanitären Gründen und weil die Operation drängte, darauf verzichtet, ihre Drohung wahr zu machen – zumal es ohnehin ohne den Anruf der Schweizer Organisation keine Möglichkeit für mich gegeben hätte, von der Verlegung zu erfahren: es bestand ein Einreiseverbot in die Sowjetunion.«

      »Gut«, sagte ich. »Nehmen wir für den Augenblick an, diese Version sei wahr. Wie erklären Sie den Widerspruch zwischen dem, was Sie als Ihre gegenwärtige Auffassung ausgeben und den Papieren, die nach dem Tode Ihrer Frau von einem Anwalt in Frankreich veröffentlicht wurden?«

      Kofler schwieg und kratze sich am Kopf. Fast tat er mir ein wenig leid in der schwierigen Rolle eines Mannes, der jedes Wort auf die Goldwaage legen musste.

      »Kann ich rauchen?«, fragte er dann. Es klang nervös.

      Ich suchte nach der Zigarettenpackung, die ich noch vom Abend vorher in der Jackentasche hatte, und bot ihm eine daraus an.

      »Eigentlich hatte ich das Rauchen aufgegeben«, meinte er und lächelte ein wenig hilflos. »Schon vor drei, vier Jahren. – Die Papiere des Anwalts sind ein Text, den ich mit vierzehn Jahren verfasste, noch als Schüler – nicht recht ernst zu nehmen. Damals glaubte ich, was man mir über den Marxismus sagte, und dachte über seine Zukunft in den westlichen Ländern nach. Ich kam zu dem Schluss, dass man den Westen zu seinem Glück zwingen musste. Notfalls auch ohne die etablierten kommunistischen Parteien. Für mich selbst nannte ich es Die Strategie des Trojanischen Pferds

      »Sie haben auf alles eine Antwort, nicht wahr?«, fragte ich scharf. »Aber von den Leuten, die Sie instruierten, wurde etwas Wichtiges übersehen.«

      »Wieso instruierten? Das wäre?«, erkundigte er sich.

      »Der Text, den der Anwalt Ihrer Frau in Frankreich publizierte, war kein Manuskript aus Ihrer Schulzeit. Es war auf einer modernen elektrischen Kugelkopfschreibmaschine getippt.«

      »Völlig richtig«, bestätigte Kofler. »Ein japanisches Modell, es wurde mir von einem guten Freund über die ungarische Botschaft besorgt – dieselbe Maschine, mit der ich in der letzten Zeit alle meine Manuskripte getippt habe. Und die Erklärung dafür ist recht einfach« – er hob die Papiere, die auf seinem Schoß lagen –, »es handelt sich um eine neue Arbeit. Ich griff darin auf Überlegungen aus meiner Schulzeit zurück und stellte sie meinen gegenwärtigen Auffassungen von der Wahlfreiheit des Individuums, der unbedingten Priorität des Willens zum Guten, der übrigens immer auch Handlung impliziert, und der Verzichtbarkeit auf Ideologien gegenüber …

      Es war der Versuch, Schritt für Schritt den Entwicklungsgang meiner Gedanken darzulegen. Selbstverständlich sollte diese Arbeit auch längst überholte Auffassungen enthalten, vor allen Dingen aber eine Darstellung der Verführungskraft, die der Marxismus in meiner Jugend auf mich ausgeübt hatte. Es war ein verstümmelter Text, ein halbfertiges Manuskript, aus dem Zusammenhang gerissen und ohne Anfang und Ende. So musste im Westen der Eindruck entstehen, meine Strategie sei eine völlig andere.

      Was heutzutage in Zirkeln und Gruppen unter meinem Namen kursiert, vor allem auch hier in der Bundesrepublik, scheint hauptsächlich auf den Einfluss dieses Fragments zurückzugehen. Ich glaube, es ist der eigentliche Grund für die Fehlinterpretation, der meine Lehre im Westen ausgesetzt ist. Meine Töchter haben sich bemüht, das Missverständnis durch die Veröffentlichung der fehlenden Manuskriptteile – ich musste sie aus dem Gedächtnis rekonstruieren – zu beseitigen. Ohne Erfolg. Bei der Ausreise nahm man sie fest und beschlagnahmte die Papiere.

      Als ich entdeckte, dass es sich in der Klinik gar nicht um meine Frau handelte, wandte ich mich sofort an die Behörden. Ich war bereit, alle Bedingungen zu erfüllen. Ich bot ihnen an, auf meine Professur zu verzichten, ich bot ihnen ein politisches Schweigegelöbnis an. Ich schrieb sogar an die Sowjetführung – doch durch meinen Brief schien man dort überhaupt erst auf mich aufmerksam zu werden.

      Wenig später wurde mir mitgeteilt, dass die polnische Regierung meine Ausweisung erwogen habe. Die Verlegung meiner Frau in eine Spezialklinik aus ärztlichen Erwägungen sei nicht erforderlich.

      Offenkundig benutzte man beides zunächst – die Krankheit meiner Frau und meine Ausweisung – als Mittel der Einschüchterung – ich glaube nicht, dass man wirklich mit ihrem Tod rechnete. Man wartete ab, welche Konsequenzen ich, nach dem Fernsehinterview aus ihren Warnungen ziehen würde. Sogar meine Professur konnte ich ungehindert weiterführen.

      Was Sie über meine Mitarbeit bezüglich des KGB oder polnischer und ostdeutscher Stellen sagen, entbehrt jeder Grundlage. Ich weiß nicht, wie Sie zu diesem absurden Verdacht gelangt sind aber ich bitte Sie, mir zu vertrauen und mir zu glauben, dass ich weder vor meiner Ausweisung noch zu einem früheren Zeitpunkt mit solchen Institutionen zusammengearbeitet habe. Ich muss gestehen, dass mich diese Unterstellung tief erschüttert – weil sie meinen wirklichen Absichten so völlig zuwiderläuft …«

      Er saß auf der Bettkante und schüttelte trübsinnig den Kopf, als habe man ihm bitteres Unrecht angetan.

      Ich musterte ihn nachdenklich und hatte plötzlich den Eindruck, dass er die Wahrheit sagte …

      »Ich würde Sie gern von der Unhaltbarkeit Ihrer Annahmen überzeugen«, meinte er grüblerisch.

      »Niemand

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