Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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in der Nebenstraße angerufen. Er war ungeheuer verärgert gewesen.

      »Was, zum Teufel, haben Sie dem Mädchen erzählt?«, brüllte er ins Telefon.

      Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, von wem die Rede war. Sie war schwanger geworden und hatte abtreiben lassen. Der Kerl vor der Bäckerei hieß Wenzel und war ihr Freund. Und natürlich hatte sie ihm unser Tete-à-Tete gestanden, als ich nichts mehr von mir hören ließ.

      Vermutlich hatte sie sich Hoffnungen über unsere Beziehung gemacht. Da ich für sie der Chef war, der allmächtige Chef, der mit ihr über Gehäkeltes, Erkenntnistheorie und Bölls Ansichten eines Clowns diskutiert hatte, war das kaum verwunderlich.

      Gegenwärtig verhörten F.s Leute ihren Freund, um herauszufinden, wie er von der Adresse in der Luckauer Straße erfahren hatte. Bei all der Aufregung schien F. völlig vergessen zu haben, sich danach zu erkundigen, was ich dem neuen Mädchen »angetan« haben könnte. Würde sie womöglich auch schwanger? Ich hatte nicht die Absicht, ihm auf die Nase binden, dass seine Tochter für ihre Freundin eingesprungen war …

      Doch mehr als das beschäftigte mich die Frage, wie sich einige andere Merkwürdigkeiten in Koflers Vergangenheit erklären ließen, wenn ich bei meiner augenblicklichen Vermutung blieb, dass er unschuldig war. Schließlich schien sie auf nicht viel mehr als auf einem gefühlsmäßigen Eindruck und der vertrauensvollen Art zu beruhen, mit der er mich darum gebeten hatte, ihm zu glauben.

      Vor allem aber: Wer, wenn nicht Kofler, war der echte »rote Kakadu«, den der Leipziger Ring angekündigt hatte? Etwa Amrouche, der gehbehinderte Briefträger in Osnabrück? Oder ein dritter, noch unbekannter Mann, der unbemerkt von F.s Abschirmdienst die Grenze überquert hatte?

      Und was würde geschehen, wenn ich F. gegenüber ernsthaft die These von Koflers Unschuld vertrat?

       War sein Tod nicht längst beschlossene Sache?

      Aber warum sollte man ihn töten, wenn er unschuldig war? Oder gab es Hintergründe, die ich nicht kannte, Motive völlig anderer Art? Zum Beispiel, weil er eine Gefahr für die regierenden Parteien darstellte, eine politische Kraft unabhängig von der Frage, ob der KGB oder das MfS ihn bezahlte?

      Sicherlich eine seltsame Vorstellung, wenn man Koflers naiven Glauben an den guten Willen berücksichtigte (der natürlich vorgeschoben sein konnte). Doch man musste die Realitäten sehen: jene Bewegung, die sich nun einmal – ob nur ein Missverständnis seiner Anhänger oder nicht – um ihn gebildet hatte.

      Nicht wer er war, sondern für wen man ihn hielt, entschied über seinen Tod.

      Mir wurde übel bei dem Gedanken. Auf ähnliche Weise war auch Pysik ums Leben gekommen…

      Ich ahnte, dass es Fragen waren, die ich nicht lösen würde. Schon weil die Lösbarkeit aller Fragen ein Mythos ist. Die Realität ist ein Nebel, ein Dunst aus Vagheiten, Ahnungen und Vermutungen. Und eine Tat, für die man Zeugen hat oder ein Täter, der gesteht, ändern an dieser Ungewissheit wenig, denn Zeugen sagen falsch aus und Wirrköpfe belasten sich mit Verbrechen, um sich interessant zu machen.

      Ich hatte das Gefühl, dass ich mich entscheiden musste – entscheiden aufgrund genau der gleichen Intuitionen und Unwägbarkeiten, die zum Tode von Koflers Vorgängern geführt hatten. Denn auch das Umgekehrte galt: Gefühl und Intuition – jenseits aller Beweise, die vor Gericht taugten – entschieden über sein Leben.

      Sofort hatte ich wieder das Bedürfnis, diesen Schwierigkeiten zu entfliehen. Ich tastete in der Jackentasche nach dem Ampheton. Meine Fingerspitzen umspannten die Schachtel. Ich hörte das Knistern der Folie … und es beruhigte mich.

      Der grüne Garten mit den Birnbäumen fiel mir ein, unter denen ich als Kind gelegen hatte. Eine unbeschwerte Zeit. So unwirklich wie die Gegenwart. Es war ein weitläufiger Garten mit abfallenden Wiesen, den meine Mutter meinem Vater abgerungen hatte, kurz bevor sie beide (geplatzter Vorderreifen) mit einem schwarzen Opel bei einhundertzwanzig km/h von der Landstraße abgekommen waren, die am Haus vorbei in die Stadt führte.

      Eine alte Haushälterin, die schon zur Familie der Großeltern zählte, als meine Mutter noch unverheiratet war, übernahm meine Erziehung. Ich mochte sie nicht: Sie war streng, hatte ein Raubtiergesicht und trug tagaus, tagein denselben Lodenmantel (als werde sie schlecht bezahlt) und einen braunen Hut mit schwarzer Kordel über dem Haarknoten.

      Eines Tages lag ich wieder unter den Birnbäumen im Garten und beobachtete, wie eine Frau im Lodenmantel mit genau ihrem krummen Hexenrücken – diesmal trug sie einen Strohhut über dem Haarknoten – und ein älterer beleibter Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte, vorfuhren. Sie blickten sich um, als sie ausstiegen, sahen am Haus empor, dann zu den Wiesen hinunter, wo ich lag, und gingen hinein.

      Die Tür war nur angelehnt. Das Auto war ein dunkler Kastenwagen, von dem die Farbe abblätterte. Ich nahm an, dass der alte Kerl ihr Freund war und dass sie ihn mitgebracht hatte, um ihm mit der gleichen Selbstherrlichkeit das Haus zu zeigen (als sei sie seine rechtmäßige Erbin), wie sie auch über mich verfügte, denn es gab niemanden mehr von der Familie, der es ihr verwehren konnte.

      Zu meiner Überraschung kamen sie nach einer Weile heraus, halb verdeckt von zwei großen Gemälden, die sie – mit den Bildseiten nach innen – ins Auto trugen. Sie verschwanden damit auf Nimmerwiedersehen …

      Nur unsere Haushälterin kehrte am Nachmittag zurück. Angeblich war sie gegen Morgen zum Einkaufen ins Dorf gegangen, und sie habe länger als gewöhnlich dazu gebraucht, weil es ihr wegen des schönen Wetters in den Sinn gekommen sei, um den See zu spazieren.

      Der Nachlaßverwalter, ein Anwalt aus der Stadt, stellte fest, dass zwei wertvolle moderne Gemälde gestohlen worden waren. Ich berichtete ihm von meiner Beobachtung: der Frau im Lodenmantel und dem Mann mit dem Kastenwagen. Er fragte mich mit ernster Stimme, ob ich wirklich die Haushälterin erkannt hätte. Er war ein großer, imponierender Mann mit wallendem Bart (wie ich mir Moses vorstellte), und ich hatte ziemliche Angst vor ihm.

      Trotzdem nickte ich, weil ich dachte, ich könnte ihn immer noch vors Schienbein treten und weglaufen, wenn er mich zwingen würde, etwas anderes als das zu sagen, was ich gesehen hatte (aus irgendeinem Grunde argwöhnte ich, er stecke mit ihr unter einer Decke …).

      Um der Wahrheit willen erwähnte ich aber, dass sie diesmal, anders als sonst, einen Strohhut getragen habe.

      Er ermahnte mich, gut nachzudenken, denn alles, was ich sagte, würde vor Gericht gegen sie verwendet werden.

      Nun – ich blieb bei meiner Aussage!

      Zwar wurden weder die Bilder noch der Strohhut bei ihr gefunden, doch man verurteilte sie zu einer Gefängnisstrafe. Ich selbst kam in ein Heim und dachte trübsinnig an unsere grünen Wiesen, die Birnbäume und das schöne Haus zurück.

      Das Haus wurde bald verkauft. Bis zu meiner Volljährigkeit bekam ich keinen Pfennig davon.

      Aber die Gemälde tauchten eines Tages in einer Auktion auf!

      Als man ihren Weg zurückverfolgte, stieß man auf ein Pärchen, das mit Altwaren und Antiquitäten handelte. Der Mann besaß einen Kastenwagen wie den, den ich vor dem Haus beobachtet hatte – und seine Frau trug Lodenmäntel. Aus der Nähe betrachtet glich sie unserer alten Haushälterin allerdings kaum – wenn man von ihrem Haarknoten und dem gebeugten Rücken absah –‚ und ich weiß wirklich nicht, wie ich sie mit ihr hatte verwechseln können. Vermutlich war meine Abneigung daran schuld gewesen …

      Damals

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