Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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      Ich beeilte mich, aus seinem Gesichtsfeld zu verschwinden, ging in einen Hausflur und zur Hofseite wieder hinaus, von der ich wusste, dass dort ein Kinderspielplatz mit einem schmalen Grünweg lag, der in die Straße zur Bäckerei führte. Ich war schon überzeugt, ihn abgehängt zu haben, doch als ich den Bäckerladen betrat, sah ich ihn durch die Schaufensterscheibe auf der gegenüberliegenden Straßenseite herankommen. Etwa in der Mitte des Weges blieb er stehen und blickte sich um – erst in Richtung der beiden Kreuzungen, dann an den Häusern hinauf.

      Ich zahlte die Brötchen, eine Schachtel französischen Streichkäse und ein Glas Marmelade und fragte:

      »Kann ich ausnahmsweise bei Ihnen telefonieren?«

      Die Frau hinter der Theke musterte mich abweisend.

      »Wenn Sie zwei Häuser weitergehen – da ist ein öffentlicher Fernsprecher.«

      »Ich weiß, aber es ist dringend.«

      Sie zuckte die Achseln – »Bitte ….«, und zeigte durch die offenstehende Tür in das Zimmer, das an den Verkaufsraum grenzte. Als ich wählte, kam sie herein und blickte mir über die Schulter, um zu sehen, ob ich eine Vorwahl benutzte, nahm ich an. Wegen des höheren Preises.

      »Nur ein Stadtgespräch …«, sagte ich.

      Gleich darauf meldete sich eine Männerstimme.

      »Hören Sie genau zu: An der Luckauerstraße hat mir ein Kerl aufgelauert. Schon gestern. Und heute wieder.«

      »Wo sind Sie?«, fragte F.

      Ich wartete, bis die Bäckersfrau hinter die Theke zurückgekehrt war.

      »Prinzessinnenstraße, in der Bäckerei. Ich rufe aus dem Hinterzimmer an. Er steht drüben auf der anderen Straßenseite. Trägt eine karierte Jacke mit gelbem Schlips.«

      »Gut, wir kommen. Verhalten Sie sich ruhig.«

      Ich legte auf und wartete ab. Die Frau sah mehrmals von der Theke zu mir herüber. Ein Kind, ein Mädchen von etwa vier, Jahren, betrat den Laden. Es hielt abgezähltes Geld in der kleinen Faust – die Frau musste sich weit herüberbeugen, um es anzunehmen.

      Ich legte eine Mark für das Gespräch auf den Tisch neben das Telefonbuch.

      Das Mädchen verließ die Bäckerei, es überquerte die Straße.

      Der Kerl auf der anderen Seite sprach es an und zeigte in die Umgebung. Es schüttelte den Kopf.

      Kaum war es mit der Brötchentüte in einem Hauseingang verschwunden, stoppte ein silbergrauer Kastenwagen ohne Seitenscheiben am Bordstein …

      Der Rest ging so schnell, dass man an Spuk hätte glauben können …

      Als der Wagen abfuhr, war der Mann mit der karierten Jacke und dem gelben Schlips wie vom Erdboden verschluckt. Nicht einmal Türenschlagen war zu hören gewesen.

      Ich ging an die Scheibe und blickte dem Wagen nach: Münchner Kennzeichen

      Kruschinsky kam mir an der Tür des Fahrstuhls entgegen. Seine Brille hing ihm schief auf der Nase und sein Gesicht zeigte nervöse Flecken.

      »Er ist weg …«, sagte er.

      »War? Kofler?«, fragte ich ungläubig.

      »Verschwunden.«

      »Nicht möglich – « Mit zwei schnellen Schritten war ich an der Tür und sah in sein Zimmer. Das Bett war zerwühlt. Die Manuskriptseiten lagen noch auf dem Tisch.

      »Und der Fahrstuhlkode? Haben Sie im Badezimmer nachgesehen?«

      »Na was sonst?«

      »Wie lange kann er schon weg sein?«

      »Keine Ahnung.«

      »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

      »Gestern Abend.«

      Ich blickte mich nachdenklich um, dann ging ich zum Fahrstuhl und sah nach der Tür. Sie wurde von einer starken Zugfeder ins Schloss gedrückt. Der Mechanismus war gut geölt. Ausgeschlossen, dass sie versehentlich offen geblieben war.

      »Könnte er den Kode entschlüsselt haben?«

      »Nein …«

      In dem Fall schien es nur eine Erklärung zu geben. Ich ließ mich nachdenklich auf den Stuhl neben dem Datenaustauscher sinken. Was, wenn seine Leute ahnten, dass man ihr Spiel durchschauen würde, und ihm den Kode für die Fahrstuhltür beschafft hatten? Die Zahlenkombination war vierstellig – aus dem zehnstelligen Zahlenfeld von null bis neun. Kofler hätte schon Gedankenleser sein müssen, um sie zu finden.

      Hatte er lediglich ausprobiert, wie weit er mit seiner Geschichte kam?

      Na, wie auch immer – das ersparte mir ein paar schlaflose Nächte. Und eine Menge Zweifel und andere „Unpässlichkeiten“.

      Dieser Job war ohnehin zu aufreibend für mich. Koflers Flucht hatte auch ihre guten Seiten. Wenn F. uns beide zum Teufel jagte, konnte mir das nur recht sein. Es zwang mich, nach einer anderen Arbeit Ausschau zu halten und mich von dem geheimen Zwang loszueisen, der zweifellos für meine Arbeit mitverantwortlich war – neben der Trägheit.

      Denn wahrscheinlich hatten viele Schreibtischtäter in den KZ der Nazizeit vor allem aus Bequemlichkeit und weniger aus Überzeugung stillgehalten. Es war die Müdigkeit, sich gegen all die kleinen Unannehmlichkeiten aufzulehnen. Die Vorstellung, einem Vorgesetzten widersprechen zu müssen. Der plötzliche Verlust des Vertrauens, die Arbeitsklima, wenn man morgens seine Bürotür öffnete. Das selbstherrliche Lächeln des Nachfolgers – all die kleinen Repressalien, noch bevor das eigentliche Verfahren begann …

      So ähnlich verhielt es sich auch in meinem Job. Es war immer unklar gewesen, was mit mir passieren würde, wenn ich ausstieg. Mit Sicherheit wurde ich dann in F.s Augen zum – unkalkulierbaren? – Risiko …

      Über den Osten munkelte man, pensionssüchtige und überalterte Agenten würden noch einmal in den Außendienst geschickt. Da sie mit den neuen Praktiken nicht zurecht kämen, sei die Verlustquote besonders hoch. Es mindere, das Risiko, im Suff oder aus Altersschwachsinn Geheimnisse auszuplaudern.

      Mancher Greis wurde – über den Krückstock gestützt – auf der Veranda seines Altenheims unversehens zum Geschichtenerzähler, und gerade jene, die ihr Leben lang geschwiegen hatten, entdeckten das Vergnügen und den Reiz der ausschmückenden Rede.

      Für mich gab es immer noch das Ampheton, ein stark wirkendes Nervengift, das unter anderem den Sprechdrang einschränkte. Wegen seiner halluzinativen Wirkung war es nicht als Medikament zugelassen. Ein ausgezeichnetes Mittel gegen depressive Verstimmung, wenn man sich damit abfand, dass eine grüngestrichene Wand plötzlich zu kichern begann und der Briefbeschwerer zu Eisenherz‘ Schwert wurde oder sich wie eine angriffslustige Kobra spreizte.

      Eine Zeit lang hatte ich täglich etwa eine halbe Schachtel davon eingenommen – und den Verbrauch erst nach dem Verlust mehrerer Zähne eingeschränkt. F. beschaffte mir das Zeug aus einem südafrikanischen Werk. Die Südafrikaner nutzten es angeblich dazu, Schwarze

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