Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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alles für eine Illusion, und dass etwas anderes unsere Gedanken und Willensimpulse so genau bestimmte wie den Blitz, die Wolken und den Regen). Darum erschien mir der Kampf um Ideologien sinnlos.

      Wenn es etwas gab, das mich gleichgültig ließ, dann war es der Glaube an Ideologien: Von dieser Seite gab es keine Hoffnung.

      Gewöhnlicher Defätismus oder Fatalismus resigniert vor der Übermacht der Mächtigen; ich sah zwar diesen Einfluss auch, aber die Mächtigen selbst waren nicht weniger Sklaven einer noch gewaltigeren, blinden Naturmacht.

      Mir war es immer lächerlich erschienen, zu glauben, dass, als mein Vater und meine Mutter durch einen geplatzten Vorderreifen starben, dies nur der Nachlässigkeit des Tankwarts zuzuschreiben war, der den Riss im Gummi hätte entdecken können. Sondern der beschädigte Reifen und die Gleichgültigkeit des Tankwarts hatten gute Gründe, und das Ergebnis musste wiederum zu unausweichlichen Konsequenzen führen – nämlich genau zu jenen, die mir dann tatsächlich zu schaffen machten.

      Ich verstand nicht, wieso ein scharsinniger Mensch wie Kofler das übersehen haben konnte und woher er seine Zuversicht nahm.

      Ich war davon überzeugt, dass ich diese Arbeit tat, weil ich sonst in der Gosse verkommen wäre. Ich hatte mich auf das Machbare verlegt. Dass ich mich darum bemühte, den jeweiligen Schuldigen zu finden, war dem gleichen elementaren Bedürfnis zuzuschreiben – weil es nämlich ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend verursachte und die Wespen und Hummeln in meinem Schädel zu summen begannen, wenn ich einen Unschuldigen ans Messer lieferte!

      Kofler dagegen berief sich auf die Freiheit. Und er setzte auf Ideale – angesichts der Realitäten ein absurdes Bemühen (oder lag der wirkliche, der »bessere« Realismus etwa darin, das Unmögliche zu fordern?). Also stellte ich das Nachtglas auf den Tisch zurück und ging hinein, um seine Meinung darüber zu hören.

      Er brauchte eine Weile, bis er meine Fragen ernst nahm. Wir waren beide ziemlich angesäuselt.

      »Sie sind ein merkwürdiger Kerl«, lachte er. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Oder ist das wirklich Ihre Überzeugung? Glauben Sie denn, mit dem Unsinn leben zu können?«

      Er machte eine Pause und fuhr dann fort:

      »Selbst wenn es wahr wäre, wir dürften es nicht glauben … Wir müssten handeln, als sei es nicht wahr. Glücklicherweise sind das unlösbare Fragen und in der Praxis entscheiden wir immer so, als seien sie nicht gestellt. Wir sind frei. Was uns fehlt, ist Vertrauen und guter Wille.«

      Kruschinsky brachte zwei Flaschen Wein und ein leeres Glas mit, als er hereinkam. Er setzte sich an den Tisch und hörte zu. Sein Mund war halb geöffnet; die Augen in seinem blassen Pickelgesicht rollten fragend hin und her – als versuchte er mit Blicken zu ergründen, welche unerhörte Veränderung vorgegangen war, die aus einem verdächtigen Subjekt einen harmlosen Zechkumpanen werden ließ.

      »Selbst wenn es diese Unfreiheit gäbe«, fuhr Kofler fort, » – als Staatsanwalt hätten Sie schon lange vor dem Fall Pysik die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Denn wo keine Freiheit ist, da gibt es auch keine echte Schuld. Unser Gewissen ist dann nur eine Laune der Natur. Es gilt das Verursacherprinzip. Verursacher werden wie Irrläufer aus dem Verkehr gezogen.

      Die Welt ginge vor die Hunde, wenn wir das glauben wollten«, erklärte er und nahm einen tiefen Schluck. »Nein, nein, an der Freiheit des Individuums halten wir fest, hüben wie drüben, drinnen wie draußen. Ich meine die innere und die äußere Freiheit. Auch wenn Ihre Art von Defätismus – mit der einen oder anderen Begründung – unter der Jugend weit verbreitet ist und die äußere Freiheit im Osten tausendmal verraten wird. – Eine andere Frage: Wie lange wollen Sie mich noch hier festhalten?«

      »In drei oder vier Tagen wird unsere Arbeit erledigt sein«, erwiderte ich. »Dann dürfte der Abwehrdienst seinen Auftrag erfüllt haben.«

      »Tja, Sie haben den Kode der Fahrstuhltür ausgetauscht, nehme ich an? Was bleibt mir also anderes übrig?«, lachte er. »Übrigens werde ich mich dann in der Nähe von Köln niederlassen. Man hat mir ein Haus angeboten. Ein gutes Stück von hier entfernt – aber wenn Sie sich mal in der Gegend aufhalten …? Sie beide, meine ich.«

      »Wir werden kommen«, sagte ich.

      »Das Haus ist zwar schon alt und ein wenig baufällig, aber es liegt weit außerhalb der Stadt im Grünen. Die passende Einsiedelei, um einigen versponnenen Ideen nachzugehen. Ich hoffe, dass meine beiden Töchter demnächst entlassen werden und eine Ausreisegenehmigung erhalten.«

      »Man wird Ihnen dort keine Ruhe lassen.«

      »Das ist der Punkt, um den ich Sie noch bitten möchte! Ich will vermeiden, dass mein Name mit dieser Bewegung identifiziert wird – nicht eher, als bis man hört, was ich zu sagen habe. Ich beabsichtige weder Reden zu halten noch Interviews zu geben.«

      Wir leerten die beiden Flaschen. Kruschinsky vertrug noch weniger als ich. Nach ein paar Gläsern rötete sich sein Gesicht, und seine Augen bekamen einen traurigen Glanz.

      Er legte den Arm um Koflers Schultern. »Keine Interviews, keine Reden …«‚ bestätigte er mit schwerer Zunge. »Und wir besuchen Sie – Ehrenwort!«

      Er fummelte in den Taschen nach einem Zettel, um sich die Adresse zu notieren.

      Kofler Durchhaltevermögen dagegen war ausgezeichnet. Von einer gewissen Menge an schien der Alkohol seine Wirkung auf ihn zu verlieren. Vermutlich, weil er es wie seine Landsleute gewohnt war, den Wodka aus Wassergläsern zu trinken. Er griff in das Regal hinter sich und reichte mir einige Blätter aus seinem Manuskript.

      »Ich gehe hier detaillierter auf die Theorie des guten Willens ein und zeige, wie in Behörden – sagen wir, im Rat des Kreises drüben – der tägliche gute Wille zu schnellerer Bearbeitung von Visaanträgen führt; wie der Schuss des Grenzsoldaten in die Luft geht; wie der radikale Gewerkschafter im Osten durch guten Willen die Gefährdung der Liberalisierung unterbindet; wie der Chemiefabrikant im Westen den Tod einer ganzen Flussfauna für ein neues Werk durch den Verzicht auf Dividenden verhindert; wie der Bauer den unkontrollierten Gebrauch von Hormonen und Antibiotika um einiger zusätzlicher Kilo Fleisch willen unterlässt; wie der frustrierte Arbeitslose darauf verzichtet, Parkbänke in den Teich zu werfen, der unzufriedene Jugendliche, in den Telefonzellen Hörer abzureißen; wie der Eifersüchtige seine Eifersucht, der Unduldsame seine Unduldsamkeit bezwingt; wie der marxistische Theoretiker seine Überzeugungen in Frage stellt und nicht jeden Andersgläubigen zum Irrsinnigen erklärt und ihn in Arbeitslager oder psychiatrische Kliniken steckt, wenn er seiner habhaft werden kann; wie der Präsident nicht aus kostbarem Porzellan isst, solange unter seiner Regierung Menschen verhungern; und dass die Abrüstungsgespräche schließlich gelingen – ich rede nicht von einseitiger Abrüstung –, weil eine Seite zur Vorgabe von mehr Vertrauen bereit ist.

      Solche Appelle an die Freiheit sind blauäugig, ja lächerlich – kein Zweifel. Und sie sind wirkungslos. Sie sind immer lächerlich und wirkungslos, wenn nur ein Einzelner sie ausspricht. Aber lassen Sie es uns zu einem alltäglichen Gedanken, einer konkreten Forderung machen – und auch zu einem Ruf in den Schulen.

      Lassen Sie uns von Kindheit an das phantastische Bild einer Welt malen, die von diesem Willen geprägt ist. Lassen Sie es uns im täglichen Gespräch erneuern, in Briefen, Büchern, im Rundfunk, in Theaterstücken und Zeitungen. Was genau hindert uns eigentlich daran? Lassen Sie uns die direkte Frage stellen, was uns jetzt und in diesem Augenblick daran hindert! Trägheit? Scham? Misstrauen? Oder Skepsis? – Welches Gewicht haben solche Bedenken gegenüber den Gefahren, die uns in der nuklearen Aufrüstung, der Konfrontation der Ideologien und Machtblöcke,

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