Die Vergessenen 02 - Kitsune. Sabina S. Schneider
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Je mehr Menschen stehenblieben, desto stärker fühlte Yuki sich. Energie durchströmte seinen müden Körper und seine Flammen begehrten kraftvoll auf, brannten stetig und licht. Mika freute sich über den Applaus, der folgte. Man drückte ihr Geld in die Hand und fragte nach ihrem Namen, dem ihres Hundes. An jenem Tag wurde auf den kalten Steinen der Straße zwischen Harajuku und Shibuya ein Star geboren. Ein weißes, puschelliges Sternchen, das dem Menschenmädchen folgte, als es zusammenpackte und sich auf den Weg zur Tokyo School of Music machte.
Das braun gekachelte, achtstöckige Gebäude befand ich in einer Nebengasse, und war bis auf ein großes Poster recht unscheinbar. Mit einem muffigen Aufzug fuhren sie in den dritten Stock und betraten einen Raum voller Musikinstrumente und Geräte, die Yuki nicht zuordnen konnte. Mika ging zielstrebig zu einem Stuhl, der etwas abseits stand, stellte ihre Sachen ab und setzte sich. Yuki legte sich neben sie und beäugte die anderen Menschen argwöhnisch.
Mikas Augen waren auf den Boden gerichtet und sie saß bewegungslos da. Ein älterer Herr kam zur Tür herein. Yuki knurrte leise, fast lautlos in sich hinein. Er mochte den Mann nicht. Lange, fettige Haare umrahmten seine Halbglatze wie eine Krone und gaben ihm das Aussehen eines Oktopusses mit zu dünnen Tentakeln. Mit seinen Glupschaugen beäugte er die weiblichen Studenten wie ein Elch zur Brunftzeit. Und alles in Yuki schrie danach seine Zähne tief in dem weichen Hinterteil des Mannes zu vergraben. Doch er hielt sich zurück, für Mika.
Nach der Geduldsprobe kehrten sie wieder nachhause zurück, ohne dass Mika auch nur ein Wort verloren hatte. Die Frau, die sonst Yukis Welt mit Musik und Farbe füllte, wurde an jenem Ort zu einem stummen, glanzlosen Fisch. Glücklich wirkte Mika nur, wenn sie auf dem breiten Gehweg vor ihrem Keyboard stand und sang. So verging Tag für Tag. Sie verließen die wunderbare, bunte Klangwelt der Straße, um in der braunkarierten Stille der Musikschule abzutauchen. Bis ein Auto bei Rot über die Ampel fuhr.
Mika konzentrierte sich auf den Ton der Ampel und hörte nur das Vogelgezwitscher. Das Quietschen von Rädern riss Yuki aus der Welt der grünen Wälder, in die der Gesang der Ampel ihn immer lockte. Er heulte voller Grauen auf, als er den Wagen heranrasen sah. Rot wie Blut. Die Räder rauchten, als der Fahrer bremste und das Lenkrad herumriss. Doch der Toyota schlitterte weiter auf Mika zu. Yuki sprang mit aller Kraft in die Luft, wollte Mika mit seinem Körper rammen, sie aus der Gefahrenzone bringen. Doch er war zu klein, nicht schwer genug.
Das Auto schlitterte weiter, war kurz davor Mika zu erfassen und sie ihm für immer zu entreißen. Er wünschte sich nichts mehr auf der Welt, als größer und stärker zu sein. Um Mika retten zu können. Schutz ... Rettung ... Ein wohl vertrauter Schmerz ergriff ihn, zerklüftete seine Brust. Eine Erinnerung blitzte auf. Kleine, schwarze Ameisen. Eine Arme von leblosen Puppen stürmte auf ihn ein.
„Dieses Mal muss ich sie retten!“, schrie sein Geist. Sein Körper vibrierte, dehnte und streckte sich. Aus kleinen Pfoten wurden kräftige Hände und lange Beine. Sein Fell verwandelte sich in einen weißen Kimono. Seine Haut wurde glatt und farblos wie neu gefallener Schnee.
Starke Händen packten Mika, rissen sie mit sich. Ein warmer Körper legte sich schützend um sie, als ihre Welt sich drehte. Sie klatschten auf den Asphalt und rutschten durch den matschigen Schnee. Viel zu spät erklang die Autohupe. Der Fahrer fluchte, riss das Lenkrad wieder herum, schlitterte wieder und fuhr einfach weiter. Yuki hob Mika hoch und drückte sie fest an sich.
„Orokamono - Dummkopf! Hast du das Quietschen der Räder nicht gehört?“, eisig kalt entschlüpften Yuki die Worte, auch wenn die Sorge heiß in ihm brannte. Mikas Herz klopfte aufgeregt gegen seines, sie zitterte.
„Entschuldigung …“ Ihr Gesicht war blau und sie schlotterte am ganzen Körper. Yuki stand auf, half Mika hoch. Als ihre Beine unter ihr nachgaben, nahm er ihr den schweren Rucksack ab und hob sie hoch.
„Ich bringe dich nach Hause“, sagte er. Die ersten Schritte waren ungewohnt. Yuki musste mit Mika auf den Armen, um Gleichgewicht kämpfen. Doch schnell gewöhnten sich seine Beine daran, ihn zu tragen und seine Schritten wurden sicherer, sein Griff um Mikas Rücken und ihre Knie fester.
Der Wind wirbelte Schnee auf, der sich kalt und nass unter seinen nackten Füßen anfühlte, riss an seinen Haaren, schleuderte sie in die Luft. Ohne darauf zu achten, blickte Yuki auf Mikas Gesicht herunter. Seine Hände pressten ihren Körper näher an seinen. Er spürte ihr Herzklopfen und das leichte Zittern ihres Körpers. Sie wirkte so klein und zerbrechlich. Viel zu schnell standen sie vor der Haustür und Yuki musste Mika herunterlassen und sein Körper vermisste ihre Wärme, als jeder Kontakt zwischen ihnen abbrach.
Ungeschickt verbeugt sich Mika vor ihm und stammelte „Vielen Dank, aber woher wissen Sie, wo ich wohne?“ Yukis Finger fuhren durch sein langes Haar, teilten Strähnen in kleine weiße Bäche, die über seine Schultern liefen.
„Ich … wohne hier“, antwortete er.
„Dann müssen Sie der neue Nachbar sein! Ich heiße Mika Yamadera. Freut mich Herr …“, ihre Finger zitterten noch leicht, als sie sich das Haar hinter die Ohren strich.
„Yuki“, nannte er ihr den einzigen Namen, den er kannte.
„Yuki? Mein Hund heißt Yuki“; dann verstummte Mika und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, ließ leblose Porzellanhaut zurück: „Yuki, mein Hund ...“
„Ihm ist nichts passiert, er versteckt sich vor Schreck sicher in irgendeinem Busch. Ich gehe ihn suchen.“ Abrupt drehte er sich um, lief die Treppe hinunter, zurück zur Kreuzung, als würde er dort wirklich sein tierisches Ich finden. Sein Herz klopfte schnell. Seine Füße trugen ihn, als hätte er sich schon immer auf zwei Beinen und nicht auf vier Pfoten fortbewegt. Ein Automatismus, in Fleisch und Blut übergegangen.
Dann hielt er inne, blickte sich in der bekannten Umgebung um, die ihm doch fremd war. Sah hinunter auf seine Hände. Die Haut war weiß, die Finger lang. Die Nägel liefen spitz zu, waren menschlich und hatten doch etwas Tierisches. Er fuhr mit der linken Hand über die rechte. Glatt, kein Härchen war aufzufinden. Er griff zu seinem Haar, packte eine Strähne, zog sie vor sein Gesicht, roch daran, kaute darauf und leckte sie ab. Es schmeckte wie immer nach geschmolzenem Neuschnee.
Ungewollt und unvorbereitet wurden die Passanten Zeugen einer seltsamen Begebenheit, die nicht einmal das menschliche Gehirn an eine glaubwürdige Realität anpassen konnte. Ein hochgewachsener Mann in einem weißen Kimono stand barfuß im Schnee. Ein schöner Mann, bei dessen Anblick Mütter rot wurden, Töchter in Aufruhr gerieten, Männern und Jungen der Atem vor Bewunderung und Neid stockte. Dieser Mann, einem Traum entstiegen, blickte angestrengt auf den Rücken seiner Hand und … leckte an ihm. Fuhr langsam mit dem feuchten Handrücken vom Kopf über die Wange. Einer Mutter entschlüpfte ein Stöhnen, die Wangen aller leuchteten rot.
In der routinierten Bewegung seiner morgendlichen Wäsche gefangen, bemerkte Yuki die befremdliche Blicke erst nach einigen Runden seines Putzrituales. Als er die Augen auf sich spürte, wurde er von einer gewaltigen Energiewelle erfasst. Sie presste sich in seinen Körper, fegte jeden Gedanken an Müdigkeit weg. Das Gefühl der Sättigung entlockte seinen Lippen ein zufriedenes Knurren. Hocherhobenen Hauptes stolzierte er zum Haus.
Yuki ging durch die offene Haustür und lehnte sich an die kalte Wand. Das Glücksgefühl, das die Sättigung begleitet hatte, war verschwunden. Seine Gedanken kreisten um Mika. Wie sollte er ihr erklären, dass er … Bevor er den Satz zu Ende denken konnte, hallte ein leises Puff durch das Treppenhaus und als sich der leichte