Die Vergessenen 02 - Kitsune. Sabina S. Schneider

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Die Vergessenen 02 - Kitsune - Sabina S. Schneider Die Vergessenen

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übernahm die Gewohnheit die Führung und sie sprangen wie immer über ihre Tonkarte und führten Mika in die Welt der Bilder und Gefühle. Gewohnheit. Mika liebte sie, weil sie ihr Freiheit schenkte. Und sie hasste sie, weil sie nicht ohne sie konnte. Für Mika waren Gewohnheit und Regulierung der einzige Weg, selbständig zu leben. Nur in der Musik fand sie Spontanität.

      Die Melodie des Keyboards erhob sich in die Lüfte. Zuerst leise, kaum hörbar, vereinte sich Mikas Stimme mit der Melodie. Sanft und zart schwang sie in der Luft, umwob die Klänge des Keyboards, wurde eins mit ihnen, um dann abrupt zu verstummen. Die Melodie wurde tiefer und Mikas Körper spannte sich in Erwartung auf die kommende Euphorie an, wenn Yukis Stimme sich erheben würde. Sein Tenor erfüllte die Himmelsphäre. Mika hörte ihre Gefühle in seiner Stimme, die voller Leidenschaft von Liebe und Einsamkeit erzählte.

      Der Wind riss Yukis langes, weißes Haar in die Luft, zerrte an seinem Schal, den er von Mika bekommen hatte, warf seinen Kimono in die Luft. Der Stoff, blau wie der wolkenlose Winterhimmel, flatterte wie ein aufgeregter Vogel und erweckte die Spatzen, mit geschwungenen, schwarzen Linien auf dem seidenen Stoff verewigt, mal kräftig, mal hauch dünn, zum Leben und ließ sie fliegen. Wie ein Sturm fegte die Böe über ihn hinweg, trug sein Lied kilometerweit und zog die Menschen an den Ort der Wunder, an dem Träume wahr wurden.

      Als Yuki sich der Welt, in der nur Musik herrschte, entriss und die Augen öffnete, stand sie vor ihnen. Eine riesige Menschenmenge, die ihnen gebannt zuhörte. Männer und Frauen, Mädchen und Jungen schenkten ihnen ihre volle Aufmerksamkeit. Einige hatten Tränen in den Augen, viele Gesichter umspielte ein Lächeln der Erinnerung. Erinnerung an vergangene Liebe, Gedanken an währende Liebe und ein Traum von kommender Liebe. Energie strömte aus der Menge, schnellte auf Yuki zu, erfüllte seinen Geist und seinen Körper.

      Für einen kurzen Moment gelang ihm ein Blick hinter den Vorhang der Amnesie. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, zu wissen, wer und was er war. Doch als das Lied zu Ende war und die Menschenmenge applaudierte, fiel der undurchdringbare Vorhang und alles wurde wieder schwarz.

      Mika war berauscht von dem tobenden Applaus. So viele Zuhörer hatte sie noch nie gehabt. Ihre Wangen glühten vor Aufregung, ihre Augen funkelten. Sie fühlte sich lebendiger denn je. Ob es wohl dieser Moment war, in dem Mika Yuki für immer verfiel, ihren Schwur und sich selbst verriet?

      Mit jedem Lied versammelten sich mehr Menschen um sie und die Traube stand noch lange da, nachdem die letzte Note verklungen war. Mika plapperte aufgeregt, immer ein Lachen in der Stimmt. Yuki trug den Rucksack mit Keyboard und den kleinen Boxen. Als sie an dem Apartmentkomplex ankamen, trat Yuki wie selbstverständlich in die Wohnung. Mika machte Tee und wurde ganz ruhig. Der Redeschwall war so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Mika wirkte unsicher und wie immer, rief sie nach ihrem Yuki, wenn sie sich unwohl fühlte.

      „Schläft auf der Coach.“ Yuki mochte es nicht, zu lügen, und doch konnte er sich nicht dazu bringen, Mika die Wahrheit zu sagen. Mika nickte und rührte nervös in ihrer Tasse herum.

      „Du bist müde. Ich gehe.“ Bei seinen Worten stieß der Löffel gewaltsam mit dem Tassenrand zusammen und echote wie ein Gong im Raum. Mikas Hand zitterte leicht.

      „Kommst ...“, setzte Mika an und verstummte. Dann atmete sie tief durch und versuchte es noch einmal: „Kommst du wieder?“ Überrascht starrte Yuki sie an und antwortete: „Wenn du es willst.“

      „Morgen?“ Yuki hörte Mikas Herz aufgeregt schlagen. Ihre Wangen färbten sich rot und ein bezauberndes Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht, als er: „Bis Morgen“, brummte.

      Yuki ging zur Tür, öffnete sie und schloss sie, ohne herauszutreten. Dann wurde alles um ihn herum größer und er kleiner. Mit seinen vier puschelligen Beinen tappte er mit erhobenem Haupt leise über das Laminat, ging zu Mika und stupste sie mit seiner feuchten Nase an. Sie hob ihn hoch, setzte ihn auf ihren Schoß und erzählte aufgeregt von dem Auftritt, der Menschenmenge, von dem großen Yuki und seiner tollen Stimme. Etwas peinlich berührt hörte Yuki zu.

      DIE KATZE UND DAS MEER

       Yokohama November 2010

      Der Wind peitschte Linas Haare in die Luft, biss sich mit kalten Zähnen in die Haut. Sie wartete bereits über eine Stunde. Was machte dieser überdimensionale Kater nur? Lina saß auf der Treppe, blickte abwechselnd aufs Meer und in den Himmel. Dann lehnte sie sich zurück, reckte ihr Kinn nach oben und versuchte jeden Sonnenstrahl einzufangen, den sie erhaschen konnte. Die Sonne wärmte ihr Gesicht, während der Meereswind sein Bestes gab, es einzufrieren. Das Meer barg Gefahren. Jetzt mehr denn je und Lina wusste, dass es ihre Schuld war.

      Plötzlich verschwanden die roten Flecken, die zu sehen, waren, wenn das Licht der Sonne, durch die Augenlieder reichte. Das bisschen Wärme war ihr genommen worden. Gleich würde sich über ihre Haut ein weißer Film Eiskristalle legen. Lina öffnete ihre Lider langsam und blickte in blaue Augen. Blauer als der Himmel. Sie starrten sie fragend an, suchend.

      „Du bist spät! Was hast du die ganze Zeit gemacht?“ Lina mochte es nicht, wenn Van sich Sorgen machte und ging in Angriffsstellung über, wie sie es immer tat, wenn sie verunsichert war. Und er verunsicherte sie seit dem ersten Tag, an dem sie sich begegnet waren. Als sie noch nicht gewusst hatte, was er war. Noch Bevor er sie aus Deutschland nach Japan entführt hatte und für sie gestorben war. Vor dem Sex in einem billigen Love-Hotel. Dem wilden, erfüllenden Sex.

      „In weniger als einer Stunde ein Schiff organisiert, das uns von Japan wegbringt, ohne dass es jemand nachverfolgen kann“, erwiderte er ihre bissige Bemerkung ignorierend. Van wusste, dass Lina ein Recht hatte, wütend zu sein. Sie hatte Freunde sterben sehen und war an ein Wesen gebunden, das sie tief verabscheute: ihn. Eine Windböe ergriff seine Lederjacke und zerrte an seinen schulterlangen, gelockten Haaren. Die bronzene Haut lugte im Kontrast zu dem weißen Hemd spielerisch hervor.

      Leicht angeschrägte Augen blickten auf Lina herab. Sie streckte die Hand aus, wollte die schönen Wangenknochen mit den Fingern nachfahren. Lina erinnerte sich an das samtweiche Gefühl seiner Haut unter ihren Fingerkuppen. Doch sie ließ ihre Hand unverrichteter Dinge fallen. Sie hatte das Recht, ihn auf diese Weise zu berühren, verwirkt. Van wusste, dass sie ihn fürchtete und das war gut so. Denn er hatte die Macht ihre ganze Welt, die sich nur noch auf wenigen, wackeligen Pfeilern aufrechthielt, für immer ins Verderben zu stürzen.

      Verderben ... und Tod. Linas Augen füllten sich mit Tränen und Vans mit Schmerz. Sie hatten Kameraden verloren, sie im Stich gelassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Er hatte Akiko zurückgelassen, für Lina. Eine Frau, die ihn und seinesgleichen fürchtete. Zu Recht. Sein Herz krampfte sich zusammen. Ihre schönen grünen Augen schwammen in einem Meer der Traurigkeit. Er würde sie so gerne glücklich machen. Ihr die Welt zu Füßen legen. Und doch war er sich nicht einmal sicher, ob er sie vor ihrem Schicksal retten konnte.

      Van streckte Lina eine Hand hin und half ihr beim Aufstehen. Er nahm beide Reisetaschen und überließ Lina den Rucksack.

      „Ich hoffe, du hast ein Schiff mit bequemen Betten gefunden. Ich weiß nicht, ob ich seetauglich bin.“ Van versteifte sich und wich ihren Blicken aus. Das hieß nichts Gutes. Sie liefen den Pier entlang, an den großen Kreuzfahrtschiffen vorbei in einen Dschungel aus Containern. In allen Farben waren sie aufeinandergestapelt. Kräne streckten ihre langen Hälse wie überdimensionale Giraffen in den Himmel, bewegten sich nur langsam und vorsichtig, fast königlich.

      „Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Lina scharf, als sie einen Kran beobachtete, der einen Container vom Pier auf ein Schiff verfrachtete. Hoch oben in der Luft wirkte der Container klein, wie ein Spielzeug.

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