Die Faehlings - eine Lübecker Familie. Eckhard Lange
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Das alles hatte Hinrich aus dem Westfälischen an die Ostseeküste geführt, denn von hier aus konnte der Fernhändler seine Reisen übers Meer ebenso antreten wie die Fahrten ins Reich, in das sächsische Bardowieck vor allem, wohin die deutschen Kaufleute kamen, die keine Handelsprivilegien der dänischen Könige oder der slawischen Fürsten besaßen und so lieber diesseits der Grenze blieben. Ihnen konnte er verkaufen, was er von den gotländischen Seefahrern erworben hatte, und wenn auch das Risiko beträchtlich war, Schiff und Ware an Seeräuber oder das Wüten des Meeres zu verlieren, so war der Gewinn ebenso groß, den jede glückliche Heimkehr ihm einbrachte. Je mehr Erfahrung sein Schiffsführer dabei sammeln konnte – Kenntnis von Strömung und Untiefen, Einschätzung der Wetterlage, Wissen um den genauen Verlauf der Küsten und die Schlupfwinkel der Piraten – desto geringer wurde auch die Gefahr, die ihnen drohen konnte.
Dankbar blieb er jedoch stets, und manche prächtige Kerze hatte er schon dem Priester übergeben als Gabe für den dreieinigen Gott und für die Heiligen, allen voran Sankt Nikolaus und die allerheiligste Jungfrau, damit er sie nicht vergebens anrufen konnte, wenn Sturm und Wellengang das Schiff bedrohten. Auch diesmal würde ihn sein erster Weg in das hölzerne Gotteshaus der Kaufleute führen, sobald er Schiff und Waren gesichert und die Frau und die beiden Söhne begrüßt hatte. Denn seine Fracht war wertvoll und würde einen guten Preis bringen. Sechs Fässer mit kostbarem Zobel allein hätten die Reise schon gelohnt, weitaus kostbarer als der rötliche Fuchs, der Hinrichs Mantel als Kragen abschloß. Dazu hatte er Wachs und Honig eingehandelt und eine große Menge an Bernstein erworben. Wäre die Ladefähigkeit seines Schiffes nicht begrenzt, er hätte weitaus größere Mengen eintauschen können gegen die Tuche aus Wolle und Leinen, die er mitgeführt hatte. So hatte er manches auch gegen klingende Münze fortgegeben, und der Beutel mit dem Silber hing wohl gefüllt an seinem Gürtel. Ja, Hinrich von Soest war mit sich und seinem Gott zufrieden.
Er musste gegen die tiefstehende Sonne blinzeln, das Schiff hatte die breite Heringswiek durchfahren und glitt nun zwischen dem schilfbestandenen, sumpfigen Gelände zur Linken und einem flachen Hügel rechter Hand den enger gewordenen Fluß hinauf. Hinrich blickte den Stockenten nach, die vom gleichmäßigen Ruderschlag aufgeschreckt einige Runden durch die Luft zogen, um sich dann wieder ins Röhricht hinabzustürzen. Sollte es sein, dass sie in diesem Jahr bereits brüten? Der Kaufmann verfolgte ihren Flug, seine Gedanken wanderten voraus zum Hafen und zu dem hölzernen Hallenhaus, das er ganz in der Nähe errichtet hatte. Bald würde auch er ins Nest zurückkehren und sein Weib in die Arme schließen können.
Er hatte nicht bemerkt, dass der Schiffsführer plötzlich nach vorne zum Bug gelaufen war, und schrak zusammen, als dieser ihn heftig am Arm packte: „Dort, seht Ihr nicht?“ stieß er hervor. Hinrichs Blick folgte der ausgestreckten Hand, und auch er erschrak. Vor der untergehenden Sonne stand, groß und schwärzlich, eine Rauchwolke. Noch versperrte das mannshohe Gebüsch am rechten Ufer den Blick auf Liubice, doch der Brand musste von der Stadt herrühren. Und dann, wenige Bootslängen weiter flussaufwärts, sahen sie auch die Schiffe: Schmale, schlanke wendische Boote, fünfzehn, vielleicht zwanzig waren es, die nebeneinander lagen. Das waren keine Händler, und das war kein friedlicher Besuch! Der Schiffsführer befahl mit gedämpfter Stimme, das Rudern einzustellen, lenkte das Langboot vorsichtig an das linke Ufer, wo das Schilf weit in das Wasser hineingewachsen war. Langsam verschwand der Rumpf im Röhricht, die Männer hatten die Ruder eingezogen und starrten mit Schrecken auf das Schauspiel, das sich ihnen bot.
Die Siedlung rechter Hand auf der schmalen Halbinsel zu Füßen des Burgwalles stand in Flammen, und nun hörte man auch Geschrei und das Klirren von Waffen. In panischer Angst hatten sich einige Bewohner in das immer noch eisigkalte Wasser gestürzt, um ans andere Ufer des Flüsschens Swartowe zu schwimmen, andere liefen um den Burgwall herum, versuchten, über den Hals der Halbinsel zu entkommen. Hinrichs Augen suchten die Kaufmannssiedlung am linken Ufer, doch sie war noch hinter der Krümmung der Trave verborgen. Immerhin schien es dort nicht zu brennen, und auch die Schiffe der Angreifer lagen wohl alle an der rechten Seite.
„Wir sollten die Dunkelheit abwarten,“ der Schiffsführer flüsterte es, obwohl sie viel zu weit von Liubice entfernt waren, als dass man ihn dort hätte hören können. Außerdem schienen die Feinde gerade bemüht, das zur Siedlung hinausgehende Tor im Burgwall aufzubrechen. Andere warfen Feuerbrände über Wall und Palisade, und an einer Stelle schien ein dahinter liegendes Strohdach schon Feuer gefangen zu haben. Die Dämmerung wich langsam der Dunkelheit, doch die Feuersbrunst erhellte den Kampfplatz. An zwei Stellen lehnten Leitern am Wall, man sah Angreifer mit Äxten gegen die Palisade vorgehen, einige waren bereits hinaufgeklettert und kämpften mit unsichtbaren Verteidigern. Und immer wieder klang das Schreien von Freund und Feind herüber.
Verzweifelt schauten die Männer dem Treiben zu. Viele von ihnen hatten eine Hütte dort zu Füßen der Burg, viele hatten Frau und Kinder. Und doch konnten sie ihnen nicht helfen, sie waren um Stunden zu spät gekommen. Wie hätten sie ihre Angehörigen jetzt in dem Getümmel noch finden, aus Brand und Mord noch retten können! Sie würden wohl selber den Tod finden, noch ehe sie überhaupt das Ufer betreten hätten. Und doch – es fiel unendlich schwer, untätig abzuwarten, bis die Angreifer wieder abziehen würden. Das Feuer im Dorf war rasch niedergebrannt, Flechtwände und Schilfdächer boten den Flammen nur kurze Zeit ausreichend Nahrung. Dafür wütete der Brand nun im Inneren der Burg, und die Männer, die alles mögliche herausschleppten, waren keine Flüchtlinge, sondern plündernde Sieger. Es schien, als seien die Verteidiger längst niedergemacht.
Plötzlich trat ein Mann mit eisernem Kettenhemd aus dem zerborstenen Burgtor, einen Lederhelm mit bronzenen Beschlägen in der einen Hand, ein blutbeflecktes Kurzschwert in der anderen. Einer der Männer stöhnte auf: „Das ist Fürst Race! Ranen haben Liubice überfallen. Warum nur kämpfen Brüder gegen Brüder!“ „War es je anders?“ fragte der Schiffsführer zurück. „Seit König Heinrich die Stämme, die Wagrier, Polaben und Obotriten, nicht mehr zusammenhält, herrscht wieder Krieg aller gegen alle. Das ist unser Schicksal.“
Hinrich brach endlich sein Schweigen: „Es ist jetzt dunkel genug, und noch sind sie damit beschäftigt, ihren Raub zusammenzutragen. Wenn die Sonne aufgeht, werden sie die Schiffe besteigen, und dann werden sie uns hier auch entdecken. Wir müssen also fort, und zwar flussaufwärts. Bis zur deutschen Siedlung schützt uns der Schatten der Bäume, die hier nahe ans Ufer treten. Geht an die Ruder, aber taucht die Riemen vorsichtig ein, es herrscht zwar ziemliches Geschrei dort drüben, aber wir dürfen dennoch keinen unnötigen Lärm machen. Los, Männer! In Liubice werdet ihr niemand mehr lebend finden, wenn es Ranen waren. Und wer geflohen ist, wird so rasch nicht zurückkommen. Brechen wir auf, solange wir es noch können.“
Der Schiffsführer trat ans Ruder, das seitlich am Heck hing, die Männer griffen nach dem Schilf, um das Schiff aus dem Röhricht herauszuziehen, einige paddelten auch mit den Händen, dann war der Rumpf im freien Wasser, sie legten die Riemen in die Dollen und bewegten sie vorsichtig. Langsam nahm das Schiff Fahrt auf, der Steuerer hielt es dicht am Bewuchs. Sie erreichten das Waldstück, blieben so nahe wie möglich am Uferrand, während der Bootskörper im Schatten der Buchen und Eichen an Liubice vorbeiglitt. Hin und wieder loderte im Burgbereich Feuer auf, und der Lichtschein traf für Augenblicke auch das Schiff des Kaufmanns, doch niemand achtete darauf, die Ranen trugen die Beute auf ihre Boote, hier und da stritten sich Krieger lautstark um einzelne Stücke, und viele hatten bereits die Biervorräte aus der Fürstenhalle an Ort und Stelle aufgeteilt. Man feierte den Sieg, und es schien nicht so, als ob die Angreifer noch weitere Ziele im Auge hätten. Liubice war der Sitz des Fürsten Pribislaw, und offensichtlich galt diesem der Angriff.
Langsam schob sich das Schiff den Fluß hinauf, jetzt lag die deutsche Siedlung zur Linken. Nichts deutete auf Brand und Zerstörung hin, im Licht des aufgehenden Mondes erkannten die Männer die schilfgedeckten Häuser, die sich am Strand entlang zogen. Hinrich ließ das Boot nicht wie sonst üblich auf das Ufer auflaufen, sondern im flachen Wasser treiben, warf den Mantel ab und sprang in