Alte Rechnung. Erich Szelersky

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Alte Rechnung - Erich Szelersky

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Sie den Brief schreiben werden wir Ihren Sohn freilassen.«

      Melanie nahm den Kugelschreiber.

      »Was soll ich schreiben?«

      Der Fremde diktierte ihr einen Brief. Als sie fertig war nahm er den Briefbogen an sich und las sorgfältig die Zeilen, die Melanie Theißen geschrieben hatte. Er schien zufrieden.

      »Und? Lassen Sie jetzt meinen Sohn frei?«

      Der Fremde nickte.

      »Kommen Sie. Ich bringe Sie nach Hause.«

      Melanie Theißen fasste ein wenig neuen Mut. Als sie nach draußen kamen war es schon dunkel. Nach einer Viertelstunde erreichten sie Melanie Theißens Haus.

      »Ist mein Sohn schon zu Hause?«

      »Noch nicht. Wir haben noch etwas zu erledigen.«

      Ängstlich folgte sie ihm in ihr Haus. Als sie im Wohnzimmer waren forderte er sie auf, auf einen Stuhl zu steigen.

      »Ich kann Sie leider nicht frei lassen.«

      Er nahm einen Strick, der an der Decke befestigt war, und legte ihn um ihren Hals. Paralysiert von dem, was gerade mit ihr geschah, reagierte sie nicht. Dann stieß er den Stuhl um.

      In dem abschließenden kriminaltechnischen Untersuchungsbericht stand, dass Frau Dr. Melanie Theißen durch Erhängen zu Tode gekommen war. Da keine Hinweise auf äußere Gewaltanwendung festgestellt werden konnten, wurde auf Selbstmord als Todesursache erkannt. Daraufhin stellten die Untersuchungsbehörden die Ermittlungen ein.

      Der Tod der jungen Frau erregte die Öffentlichkeit und war über einige Tage Thema der Medien in der Hansestadt Hamburg. Ihr Vater, Herr Dr. Viktor Theißen, emeritierter Professor der Technischen Hochschule Aachen und jahrelanger Topmanager eines internationalen Großkonzerns, hat sie tot aufgefunden.

      Melanie Theißen hinterlässt einen fast erwachsenen Sohn.

      Innsbruck

      Tiroler Landeskrankenanstalten, 12. Dezember 2010

      Allmählich kam ich wieder zu Bewusstsein. In meinem Kopf hämmerte es, als ob ein Schnellzug über die Gleise von Malmö nach Stockholm rasen würde. Alles drehte sich vor meinen Augen. Wo war ich? Was war geschehen? Verschwommene Fragmente einer Erinnerung geisterten in meinem Gehirn umher. Ich lag auf dem Rücken und konnte mich nicht rühren. In meinem Handrücken steckte eine Nadel mit dem Schlauch für eine Infusion. Als ich mich ein wenig auf die Seite drehen wollte durchzuckte ein stechender Schmerz meinen linken Arm. Vor meinen Augen lag ein trüber Schleier, durch den das kalkweiße Licht einer Lampe schien. Köpfe waren über mich gebeugt. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Ich schloss die Augen und drehte meinen Kopf vorsichtig zur Seite.

      Wie lange mochte ich hier schon liegen? Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, aber so sehr ich mich auch anstrengte, irgendetwas blockierte mein Gehirn. Ich wusste nicht, wo ich war, und es fiel mir auch nicht ein, wie ich an diesen Ort gekommen war.

      »Herr Jonsson; hören Sie mich?« Jonsson; das war ich. Lennart Jonsson, schwedischer Staatsbürger, siebzig Jahre alt. Irritiert nickte ich mit dem Kopf, ließ es aber sofort wieder, weil mir der Kopf zu platzen drohte.

      »Herr Jonsson; Können Sie mich hören und sehen?«

      Vorsichtig öffnete ich die Augen. Der milchige Schleier verstellte mir den klaren Blick auf die Person, die mich angesprochen hatte.

      Eine Hand winkte hinter dem Milchschleier vor meinen Augen herum. Mit größter Mühe versuchte ich zu antworten, doch es kam nur ein gequältes Ja aus mir heraus.

      Aus dem einen Kopf wurden langsam mehrere, und alle starrten mich an.

      »Wo bin ich?«

      Die Köpfe kümmerten sich nicht um meine Frage.

      »Sie können mich hören, Herr Jonsson. Können Sie mich auch sehen?«

      »Ja. Wo bin ich?«

      »Im Krankenhaus. Wir kümmern uns um Sie. Machen Sie sich keine Sorgen.«

      »Warum bin ich hier?«

      »Sie hatten einen Unfall, Herr Jonsson.«

      »Einen Unfall?«

      »Ja, einen Unfall.«

      »Was für einen Unfall?« Ich war verwirrt. Mit der Hand, in der keine Nadel steckte, rieb ich mir über die Augen.

      »Ich kann nicht richtig sehen?«

      »Das kommt schon noch. Sie haben lange geschlafen.«

      »Warum?«

      »Das besprechen wir später. Schlafen Sie jetzt wieder. Wir kommen wieder, und dann geht es Ihnen bestimmt schon wieder besser.«

      Düsseldorf-Oberkassel

      Penthaus 8. August 2010

      Er hatte es geschafft. Helmut Sikorra stand auf der Terrasse seines Penthauses in Düsseldorf-Oberkassel und schaute über den Rhein auf die Silhouette der Düsseldorfer Altstadt. Er liebte es, sonntags morgens auf die noch verschlafene Altstadt zu schauen und den Glocken von St. Andreas, St. Maximilian oder der sich vor den Touristen etwas verschämt versteckenden Neanderkirche zuzuhören.

      Besonders liebte er die Neanderkirche. In ihr wurde er konfirmiert, hier wurden seine beiden Kinder getauft, und in ihr hatte er seine große Jugendliebe geheiratet. Das war vor achtunddreißig Jahren; lange her. Er hätte sich gewünscht, dass seine in dieser Kirche geschlossene Ehe unter einem glücklicheren Stern gestanden hätte, aber das hatte sie nicht.

      Helmut Sikorra engagierte sich im Freundeskreis für Musik in der Kirche. Für den Erhalt der Barockkirche, die von evangelischen Christen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtet worden war, und für die musikalischen Veranstaltungen, die in ihr stattfanden, spendete er viel Geld. Sikorra war nicht sehr religiös, aber für ihn war dies ein Beitrag, dass sich das künstlerische Leben in der Stadt auch im Umfeld dieser Kirche weiter entwickelte.

      Hätte man ihn gefragt, was ihm an der Neanderkirche so sehr gefiel, wäre Helmut Sikorra vielleicht die Antwort schuldig geblieben, doch wer ihn kannte wusste, dass es die, für eine in der Blütezeit des Barock entstandene Kirche, ungewöhnliche Schlichtheit war, die ihm gefiel.

      Es entsprach seinem Naturell, nicht mit Wohlstand zu protzen, und deshalb liebte er diese kleine Kirche, die vor mehr als dreihundert Jahren nur in einem Innenhof gebaut werden durfte, weil der römisch-katholische Landesherr eine protestantische Kirche versteckt wissen wollte.

      Erst die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges haben die Kirche stärker ins Blickfeld der Menschen gerückt. Wie durch ein Wunder hatte sie den Krieg annähernd unbeschadet überstanden, während die sie umgebenden Häuser dem Bombenhagel zum Opfer gefallen waren.

      Als die Glocken verklungen waren, ging Helmut Sikorra zurück in seine Wohnung und begann den Tag. Seit sieben Jahren war er ein vermögender Pensionär.

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