Wie der kleine Muck erwachsen wurde. Andreas A.F. Tröbs

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Wie der kleine Muck erwachsen wurde - Andreas A.F. Tröbs

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nicht so einfach erreichbar zu sein. Er irrte durch die Straßen und Gassen des ärmlichen Viertels, sah schreckliche Armut, hörte babylonisches Sprachgewirr und roch den Gestank der Gosse, der zu allem Überfluss auch noch mit unvermeidlichem Ungeziefer wie Fliegen und Moskitos einherging.

      Er blieb verwirrt stehen und erkannte, wie wirklich groß der abgrundtiefe Gegensatz zwischen dem goldenen Palast und den stinkenden Hütten war, nicht nur wegen des tiefen Grabens, der eigentlich leicht zu überwinden war. Doch das schien ihm noch nicht genug, und er forschte weiter, durchstreifte alle Ecken und Winkel und kam zu der ernüchternden Erkenntnis: „Bei allen Heiligen und beim Scheitan! Wie kann man nur in dieser Armut überleben, wenn man täglich diesen Reichtum, den man nie erreichen kann, vor Augen haben muss? Das ist ja so, als ob man verdurstend vor einem großen und kristallklaren See liegt und darf nicht daraus trinken!“ Er stockte: „Ach, was sollen diese absurden Gedanken? Ich habe Hunger und sonst nichts!“

      Ein schwaches Miauen riss ihn aus den Gedanken. Er blickte zu Boden und sah ein kleines, bunt getigertes Kätzchen, das schnurrend um seine Beine strich. Das Kätzchen schien ganz jung, war völlig abgemagert und machte einen struppigen und erbarmungswürdigen Eindruck. Mukhtars Mund entrang sich ein: „Oh, eine kleine Miezekatze!“ Er beugte sich herab, nahm sie auf den Arm, streichelte und liebkoste sie und flüsterte: „Na, du kleines Kätzchen, hast du auch so großen Hunger wie ich?“ Die Katze miaute kläglich, so als ob sie ihn wirklich verstanden hätte und presste sich wie zum Zeichen, dass ihr neuer Beschützer Recht hatte, schutzbedürftig gegen seine Hand. Dabei zitterten ihre schlohweißen und langen Barthaare und ihre antennenartigen Tasthaare über den grünen Augen und signalisierten Angst und Ergebenheit zugleich. Dann begann sie, ihre scharfen Krallen auszufahren und mit ihren kleinen, aber spitzen Zähnen verspielt an Mukhtars Finger zu knabbern. Mukhtar lachte verstehend und rief mit gespielter Besorgnis: „Mich kannst du aber nicht fressen! Ich bin ungenießbar! Schau, Miezchen! Leider habe ich weder etwas zu fressen noch etwas zu saufen für dich! Das einzige, was ich dir schenken kann, ist ein Name! Der ist zwar auch nichts zum Fressen, aber immerhin!“ Er machte eine kurze Pause und erklärte: „Ich werde dich Amina nennen! Was hältst du davon?“ Die Katze schnurrte, fuhr sich mit ihrer kleinen rosafarbenen Zunge durchs Fell und begann Mukhtars Finger zu lecken. Mukhtar rief: „Miezchen, das kitzelt! Was hast du nur für eine Kraft in deiner rauen Zunge!“ Dann lächelte er zufrieden, streichelte das Kätzchen noch einmal, setzte es wieder auf den schmutzigen Boden und rief: „Suche dir was zum Fressen! Ich glaube, dass dir das schneller gelingen wird als mir!“

      Arm und Reich

      Während Mukhtar das arme Viertel der Stadt erkundete, fiel ihm ein penetranter Geruch auf, der immer und überall gegenwärtig schien. Er blieb stehen und suchte die Quelle dieses beißenden Gestanks. Der Gestank schien wie eine unsichtbare Glocke über diesem Teil der Stadt zu liegen. Er schaute sich um und erblickte ein mächtiges Rohr, das, nachdem es den Schutzgraben gut sichtbar und ungestützt hängend überwunden hatte, am Fuße des Elendsviertels irgendwo aus dem Boden trat und Reich und Arm auf eine nichtswürdige Art und Weise trennte. Dem Rohr, das aus Richtung Palast zu kommen schien, entstieg dicker, schwarzer Rauch, der sich wie Wasser über dem Armenviertel von Maon verteilte. „Beim Scheitan!“, murmelte Mukhtar, „was, bei allen Höllen, ist das für ein Teufelszeug?“ Sein Körper belohnte ihn statt mit einer Antwort mit einem heiseren Husten, der ihn fast zerriss und furchtbar im Hals kratzte. Jetzt endlich, nachdem er zahllose Gassen durchstreift und den tiefen Graben leichtfüßig überwunden hatte, verspürte er wieder sein unbändiges Hungergefühl und erreichte, nach erneutem Durchwandern der Straßen und Gassen des gutbürgerlichen Stadtteils, den großen Basar, der seinen Hunger (zu all seinem Ungemach) noch vervielfachte.

      Der Basar stellte sich als große Freifläche gleich hinter dem Sultanspalast heraus, um die herum natürlich die Bürgerhäuser in ihrer typischen flachen Kastenform angeordnet waren. Auf diesem Platz tummelte sich alles, was Geld besaß. Hier gab es keinen Gestank wie bei den Elenden, sondern eher einen neutralen, sogar angenehmen Geruch. Mukhtar erblickte hauptsächlich bärtige Männer und vereinzelt tief verschleierte Frauen, die das Kundenbild bestimmten. Die Händler, mit sorgsam gewundenen Turbanen, farbenfrohen Kaftanen und hohen Schnabelschuhen bekleidet, gaben sich als Frauenversteher aus, um den Männern dieses oder jenes aufzuschwatzen. Dabei kämpften sie wie die Löwen und schreckten selbst nicht davor zurück, die Ware der Konkurrenz kräftig in Verruf zu bringen. „Oh, du Sohn der aufsteigenden Sonne“, hörte Mukhtar einen von ihnen trompeten, „mein Gebieter und Traum meines ärmlichen Daseins, kauft nicht bei diesem schlitzäugigen Markenpiraten nebenan! Der ist mit dem Scheitan im Bunde. Wenn ihr diese Ware nach Hause tragt, wird sie sich in stinkenden Kamelmist verwandeln! Schaut lieber auf meine kostbare Ware, die allesamt den zehnfachen Wert dessen besitzt, zu dem ich es euch nur heute verkaufen kann. Allah ist mein Zeuge, dass die Ware die feinste Qualität besitzt. Ich weiß nicht, warum ich das tue, aber mir ist wahrscheinlich in der Hitze das Hirn verdampft oder ich bin der Wohltäterei verfallen. Macht mit mir, was ihr wollt! Ich bin Euer Sklave. Aber, was rede ich, seht doch selbst: Brokat, Atlas, Damast, Seide, Musselin und Angora, alles feinste gewirkte, gewobene und gekämmte Qualität, alles, was Euer Weib begehrt!“ Er schleuderte die Stoffballen quer über den Tisch, ließ die Sonne durch ein mit Goldfaden durchwirktes Muster leuchten, warf glitzernden Glasschmuck dazwischen und rief mit jämmerlichem Gesichtsausdruck: „Alles zu einem Preis, der mich morgen garantiert reuen, an den Bettelstab bringen und zu einem Gier-4-Bezieher machen wird!“ Der solcherart Umworbene wandte sich wortlos ab, ließ den immer noch heftig gestikulierenden Händler stehen, schaute in die Auslagen des geschmähten Chinesen und schlenderte weiter.

      Den Basar weit überragend, ließ sich ein modisch verglaster Rundbau nun als großer Einkaufstempel erkennen, den Mukhtar schon von weitem gesehen hatte. Dabei handelte es sich um die sogenannten Kolonnaden, die als nobles Einkaufseldorado galten, so man genügend Geld, genügend Einfluss oder beides besaß. Die Kolonnaden erhoben sich als ein mächtiges, verspieltes Bauwerk, das sich nicht nur mit drei Stockwerken hervortat, sondern sich zudem auch noch (wie der Sultanspalast selbst) zu einem ringförmigen Ganzen (architektonisch interessant) zusammenfügte. Hier residierten die Götter des Handels, denen selbst die Reichen und Mächtigen alle Hochachtung zollten. Nicht nur, weil sie das Rückgrat des Sultanats bildeten, sondern weil es von großem Vorteil war, sich gut mit ihnen zu stellen. In allen Etagen der Kolonnaden herrschte Frohsinn, Geschäftigkeit, Glanz und Glamour, die in all ihrer Pracht eigentlich nur vom Sultanspalast selbst überboten werden konnten. Aber es gab an diesem Geschäftsort auch einen Ort der Entspannung. Nämlich in dem gepflegten und schattigen Innenhof, der auf Höhe der Säulenhallen lag, auf denen der gesamte Bau ruhte. Dort befanden sich nicht nur die verschiedensten Bars, Bistros und Cafés aus aller Herren Länder mit ihren Spezialitäten, sondern auch geruhsame Logen, in denen man sich traf, um Geschäfte abzuschließen, miteinander zu reden oder einfach nur, um dort gesehen zu werden. Der gut betuchte Besucher konnte sich aber auch in den stillen Wandelgängen zwischen den Säulen ergehen, sich am vielstimmigen Vogelsang und an lustig plätschernden Wasserspielen erfreuen oder sich einfach nur von den Einkaufsstrapazen erholen.

      Doch zurück auf den Basar. Hier boten und priesen die Händler ihre Waren an. Waren, die so lecker dufteten und so ausgiebig vorhanden waren, dass sie fast die reich verzierten Einfassungen ihrer Auslagen sprengten. Mukhtar fiel durch sein ärmliches Auftreten und seine dreiste Anwesenheit an diesem Ort sehr auf. Zudem reckte er auch noch seine Nase dem herzhaften Duft nach, der ihn direkt vor den Stand eines Fleischhändlers lotste. Praktisch zur Quelle dieses verführerischen Geruchs: Gesotten, gebraten oder gekocht, alles lag wie zum Anbeißen, Schlemmen und Genießen da! Es duftete so appetitlich, dass er den Händler, ohne es selbst zu wollen, bittend und aus hungrigen Augen anstarrte: „Was glotzt du so blöd?“, ereiferte sich sofort der Händler, „du buckliger Derwisch, du Sohn eines Bettlers! Hier gibt es nichts zu schnorren! Wenn du kein Gold oder keinen Sultano in der Tasche hast, gibt es auch nichts zu beißen, also pack dich! Du vertreibst mir nur meine Kunden!“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn bald sah man Mukhtar nicht nur mit scheelem Blick an, sondern zeigte auch drohend die Fäuste

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