Wie der kleine Muck erwachsen wurde. Andreas A.F. Tröbs

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wie der kleine Muck erwachsen wurde - Andreas A.F. Tröbs страница 8

Wie der kleine Muck erwachsen wurde - Andreas A.F. Tröbs

Скачать книгу

die sensationsgeweiteten Augen der Menschen und rieb sich inbrünstig, das gute Geschäft witternd, beide Hände. Alle sahen nur das Spiel der Schlange und keiner den falschen Glanz in den Augen des Dorfältesten und keiner seine Hände, die er sich geschäftstüchtig rieb, weil er wusste, dass Mustafa N’Atter ein erfahrener Schlangenbeschwörer ist. Solche Fakire und Lebenskünstler hatte er, während eines Einkaufbummels mit seinem Weib, schon mehrmals in den gläsernen Kolonnaden des Sultans erlebt. Nie taten die Schlangen etwas anderes als ihnen ihr Herr befahl. Mit diesem Wissen schaute Hassan Ibn Odd Set dem schaurig-schönen Tanz des giftigen Reptils mit glitzernden Augen weiter zu. Arif, dem die Aufregung der vormittäglichen Rettungsaktion Mustafa N’Atters noch in den Knochen gesteckt hatte, rief, wie eben zu sich gekommen, erbost aus: „Schlangen befreien? Bist du blöd? Ich habe keine Lust, von einer Schlange gebissen zu werden, um dann für alle ein jämmerliches Schauspiel und Grund für eine weitere Wette zu geben!“

      Alle schauten auf Achmed, der Arifs Einwand gar nicht so unbegründet fand. Doch plötzlich begannen Achmeds Augen zu leuchten: „Bei den Giftzähnen aller Schlangen, Arif hat recht! Aber dort steht Mukhtar. Passt mal auf, da ist mir doch in diesem Augenblick etwas eingefallen! Gleich gibt es was zu lachen!“ Und ohne eine Antwort von seinen Freunden abzuwarten, begann er sich an den buckligen Jungen heranzuschleichen. Arif rief noch leise und warnend: „Mit Mukhtar ist nicht gut Kirschen essen. Ich kenne da eine Geschichte ...!“ Asad, der von dem Unmut Achmeds angesteckt schien, erklärte so gleichmütig wie Achmed: „Bleib mir ja mit deinen Geschichten vom Leibe! Alles ist besser als dieser Schlangentanz hier!“ Dabei verdrehte Asad gekonnt die Augen, wog sich in den Hüften und ahmte die Bewegung Mustafa N’Atters nach, warf sich in den Sand und ließ ihn durch die Finger rinnen: „Es ist sooo stinklangweilig, los, Achmed, du hast doch immer die besten Ideen, trau dich!“ Achmed, der von allen unbemerkt begonnen hatte, sich an Mukhtar heran zu schleichen, schaute Asad entgeistert an und flüsterte: „Was glaubst du, was ich hier gerade mache? Hä? Wonach sieht es denn aus?“

      Kopfschüttelnd erreichte Achmed Mukhtar, der wie gebannt dem Spiel mit der Schlange zusah, von hinten. Langsam richtete sich Achmed auf, spannte sich wie eine Schlange vorm Zustoßen, sprang Mukhtar auf den Rücken und rief laut: „He, du König aller Maulwürfe und Wanderratten, ich will auf dir reiten! Bleib einfach, wie du bist, wir werden beide einen kleinen Ausritt zum Sultan unternehmen.“ Was nun folgte, geschah im Bruchteil einer Sekunde, es währte gerade so lange wie ein Augenaufschlag. Achmeds hinterhältiger Anschlag und Mukhtars erschrockener Aufschrei kamen gerade in dem Augenblick, als sich die tanzende Schlange auf Augenhöhe und im Blickkontakt mit Hassan Ibn Odd Set, dem Dorfältesten, befand. Mustafa N’Atter stand dem Geschehen vollkommen ohnmächtig gegenüber: Er konnte die Schlange weder packen noch von ihrer Schockreaktion abhalten. Es geschah wie durch Allahs Fügung. Die Schreie der Jungen, das Innehalten der Schlange und ihr Zustoßen schienen in ihrer logischen Abfolge wie aus einem Guss. Die Schlange hatte ihre langen Giftzähne pfeilschnell durch die Halsschlagader von Hassan Ibn Odd Set geschlagen und sich ebenso schnell wieder zurückgezogen. Der Dorfälteste griff sich reflexartig mit beiden Händen an den Hals, sein Gesicht lief blau an, die Augen traten aus ihren Höhlen. Er sank auf die Knie und fiel bäuchlings in den Sand, wo er am ganzen Leib zuckend und laut röchelnd liegen blieb, um sich nach wenigen Minuten überhaupt nicht mehr zu bewegen.

      Mustafa N’Atter hatte seine Schlangen geistesgegenwärtig und schnell im Korb verstaut und starrte fassungslos auf den leblosen Körper des Dorfältesten. Die Zuschauer waren, nachdem sie ihren ersten Schock verwunden hatten, laut schreiend wie ein vom Habicht bedrohter Hühnerhaufen auseinander gestoben. Das junge Weib des Dorfältesten stand zuerst wie zu einer Salzsäule erstarrt, kniete gleich darauf laut jammernd vor ihrem toten Mann nieder, warf sich immer wieder Sand aufs Haupt, verdrehte schrecklich die Augen und stieß laute Gebetsformeln in den Himmel.

      Die beteiligten Jungen standen noch wie ein steinernes Denkmal an der Stelle ihrer Untat: Achmed auf Mukhtars Rücken und Arif und Arad daneben, zu Tode erschrocken und schweigend.

      Auf dem Weg zur Sultanstadt

Bild 148056 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      Der Entschluss

      Dieser tragischer Zwischenfall blieb für Mukhtar nicht ohne Folgen. Schon kurze Zeit nach dem tödlichen Ereignis kehrte sich die Wut von Tamima, der Witwe des Dorfältesten, mit aller Schärfe und Unbarmherzigkeit gegen Mustafa N’Atter und die Jungen. Noch während sie schreiend am Leichnam ihres Mannes verharrte, suchte sie nach Steinen, die sie gegen die vermeintlich Schuldigen schleudern wollte. Sie drehte sich jäh um und warf den ersten Stein auf Mustafa N’Atter, der ihn hart an der Schulter traf. Er richtete seinen Blick reumütig und ergeben nach unten, wich aber allen folgenden Steinen geschickt aus, schulterte in einem günstigen Augenblick blitzschnell seinen Schlangenkorb, lief mit schnellen Schritten die Düne hinauf und war bald allen Blicken entschwunden.

      Doch die Schuldzuweisungen der Witwe blieben. Sie kehrten sich nun gegen die noch vor Schreck gelähmten Jungen: „Und ihr, ihr habt diesem Mörder noch das Leben gerettet! Das Leben gerettet, um meinen Mann zu töten. Oh, Schuld und Fluch über euch! Verschwindet aus meinen Augen!“ Sie weinte laut und schrie: „Oh weh, wer soll denn nun mit mir shoppen gehen? Wer soll mir meine neuen Schuhe und wer mein Collier bezahlen, das ich eigens für mich bei SCORPIER, dem Hof-Juwelier des Sultans, habe anfertigen lassen? Wer soll mir nun jeden Wunsch von den Augen ablesen, wer mir mein weiteres Leben und mein Altenteil versüßen? Oh, bei Allah, Schande über den Alten. Allah möge ihm den Weg zum Paradies versperren und ihn auf ewig im Höllenfeuer schmoren lassen! Oh, bei allen Höllen! Er war einfach zu geizig für eine Lebensversicherung zu meinen Gunsten, denn er sagte immer, dass ihm die Prämien bei der SULTAN WÜSTENHEIMER zu hoch sei, und ich muss es nun büßen! Aber jedes Jahr ein neues Kamel der Oberklasse, das galt als Sport für den Alten, das war Pflicht! Und ich muss mich nun mit der Kür herumschlagen, die mehr als mager ausfallen wird!“

      Dann kam sie zu sich und starrte die Jungen, die sie während ihres Anfalls von Selbstmitleid vergessen zu haben schien, aus stumpfen Augen an und murmelte drohend: „Vergesst, was ihr hier gesehen und gehört habt! Sonst …!“ Sie hob einen Stein auf und machte einen entschlossenen Eindruck. Die Jungen starrten die Witwe verständnislos an, schüttelten den Kopf, und Achmed rief entsetzt: „Die Alte ist wahnsinnig geworden, schnell fort von hier!“ Sprach’s und rannte zusammen mit den anderen wie vom Leibhaftigen getrieben laut schreiend davon. Mukhtar war unterdessen in der Hütte seines verstorbenen Vaters angekommen. Er überlegte lange, was nun zu tun sei, und plötzlich spürte er, was schon lange überfällig war. Nämlich, dass er nicht länger in diesem Dorf bleiben konnte. „Was hilft es mir, Trübsal zu blasen! Habe ich etwa Hassan Ibn Odd Set, den Dorfältesten, umgebracht? Nein! Bin ich schuld an seinem Tod? Nein! Wird man das hier im Dorf verstehen oder verstehen wollen? Nein! Ich glaube, meine Zeit hier im Dorf ist jetzt erfüllt. Das Maß ist voll, es reicht! Mein Vater, der alte Schuhflicker, ist tot, es ist niemand mehr da, dem ich mein Herz ausschütten und der mir beistehen kann. Zu dem üblichen Spott und Hohn im Dorf werden nun noch die Anfeindung und die Verachtung kommen. Oh, das kann ich mir gut vorstellen! Muss ich das haben? Nein! Mein Vater, der alte Schuhflicker, sagte immer: ‚An dem Ort, an dem die Münze geprägt wird, taugt sie nichts!’ Was mag das bedeuten? Wahrscheinlich, dass es nun an der Zeit ist, diesen Ort, meine geliebte Geburtsoase, zu verlassen, weil es bestimmt an einem anderen Ort besser ist, denn schlechter kann es nicht werden! So werde ich jetzt in die Welt hinausgehen müssen, um dort mein Glück zu machen. Aber Glück, was ist das? Für mich bedeutet Glück, ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Wasser, eine trockene Bleibe und keine Gefahren von Banditen und wilden Tieren auf meinen Wegen. Wenn mir Allah dann auch noch Mut und Kraft für mein neues Leben verleiht, will ich damit zufrieden sein. Wenn mich Allah noch weiter begleitet und nicht aufhört, mir gnädig zu sein, so werde ich mein Glück in der Fremde finden.

Скачать книгу