Tod einer Minnedame. Elisa Scheer
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Die Agnesgasse war eng, deshalb hatte er ja so abseits parken müssen, und düster, weil die Sonne wohl nur im Hochsommer in die Straße fiel und die meisten Fassaden seit der Nachkriegszeit keinen frischen Anstrich mehr bekommen hatten. Der vorherrschende Eindruck war graubraun, und Felix fühlte sich an „Sonnenallee“ erinnert. Den könnte er eigentlich wieder mal anschauen, überlegte er. Wenn der Fall gelöst war. Vorher wurde es ja doch nichts.
Nummer 12 war auch nicht schäbiger als die Nachbarhäuser, und das Klingelschild Halbritter machte einen ganz konventionellen Eindruck – nicht etwa handschriftlich und mit vergilbendem Tesafilm befestigt, nein, ein ordentliches Metallschildchen und mit allen zwei Schrauben an der Tafel verankert.
Er läutete und drückte, als der Summer ertönte, die abscheuliche Milchglastür auf, die die Sechziger diesem Haus wohl als einziges spendiert hatten.
Drinnen roch es muffig und nach abgestandenem Essen. Nach gut bürgerlichem Essen. Irgendwas Fleischernes und viel gekochtes Kraut. Felix rümpfte die Nase und machte sich an den Aufstieg. Dem Klingelschild zufolge dritter Stock rechts. Rechts, das war ja wohl typisch, dachte er und verbot es sich sofort – allmählich wurde es albern. Außerdem sollte er objektiv ermitteln und nicht alles glauben, was die Wiesner sagte.
Außerdem hatte sie eigentlich nur Traumtänzer gesagt. Er seufzte, atmete ein paar Mal tief durch und klingelte.
Stille, dann Schritte, die Tür wurde langsam geöffnet. „Ja?“
Felix zückte seinen Ausweis. „Herr Halbritter? Guten Tag. Ich hätte noch einige Fragen im Mordfall Meesen…“
„Da war schon ein Kollege von Ihnen da“, war die mürrische Antwort.
Felix musterte Halbritter aufmerksam. Relativ groß, schlank, nicht übel aussehend, aber etwas farblos. Hellbraunes Haar, korrekt geschnitten, kein Bart, keine Brille, blaue Augen, dazu passendes Hemd, Krawatte, sandfarbene Chinos, kein Sakko. War das die einzige Konzession an den Feierabend? Unwillkürlich sah er auf die Uhr. Halb vier – verflixt früh für Feierabend.
„Sie haben Urlaub?“, fragte er also, während er sich an Halbritter vorbei drängte.
„Urlaub? Nein.“ Die Stimme war weiterhin mürrisch. Selbstmitleid, konstatierte Felix, der Halbritter auf Anhieb unsympathisch fand.
„Schließlich kann ich doch nicht arbeiten, wenn Margie…“ Die weinerliche Stimme brach ab.
„Verständlich“, log Felix. „ich bin sicher, Herr von Meesen kann sich zurzeit auch nicht auf seinen Beruf konzentrieren.“
„Der? Der hat Margie doch gar nicht verstanden! Bestimmt schachert er schon wieder um alberne Filme. Nein, ich bin der einzige, der richtig um Margie trauert. Sie war so – ach, das kann man gar nicht in Worte fassen…“
Er wischte sich theatralisch die Augen, und Felix bemerkte eine sehr teure Uhr an seinem Handgelenk.
„Hübsche Uhr“, lobte er freundlich.
Halbritter schniefte. „Ein Geschenk. Ein Liebesgeschenk. Von Margie natürlich. Sie hatte so einen guten Geschmack…“
Gleich heult er wieder, dachte Felix mäßig begeistert und schlug sein Notizbuch auf, um die Stimmung etwas weniger emotionsgeladen werden zu lassen.
„Sie haben angegeben, dass Sie Ihre Freundin? Lebensgefährtin? für die Täterin halten. Welche Gründe haben Sie dafür?“
„Gründe? Ich brauche doch keine Gründe dafür – das spürt man doch, wenn man ein bisschen sensibel ist… Emma – also, meine Lebensgefährtin ist sie eigentlich nicht, oder – naja, vielleicht doch, ich weiß nicht – Emma auf jeden Fall war so richtig kalt in den Tagen vor dem Mord. Herzlos eben. Kein Einfühlungsvermögen… ich meine“, er beugte sich eifrig vor, als habe er Angst, Felix könne ihn nicht richtig verstehen, „Margie war meine gute Fee, ja, so könnte man sagen – aber glauben Sie, Emma hatte dafür Verständnis? Sie war direkt höhnisch! Sie hat Margie gehasst, obwohl die ihr doch nie etwas getan hat – das hätte sie ja gar nicht gekonnt…sie war ein so reines, engelhaftes Wesen… und dann immer dieses spöttische Gesicht…“ Er sah Felix mit nassen Augen an und Felix starrte etwas verwirrt zurück. „Sprechen Sie jetzt von Frau Meesen oder Frau Wiesner?“
„Bitte? Aber da ist doch ein himmelweiter Unterschied! Die beiden kann man doch gar nicht vergleichen!“
„Dann drücken Sie sich gefälligst etwas klarer aus“, empfahl Felix leicht gereizt, „so geht doch alles durcheinander. Haben Sie außer unklaren Gefühlen noch irgendetwas, was für die Schuld Ihrer – also, von Frau Wiesner spricht?“
„Wozu?“
„Weil man bei der Untersuchung eines Verbrechens eben Fakten braucht und nicht nur irgendwelche Gefühle. Wo waren Sie übrigens, als Ihre, also, als Frau Meesen getötet wurde?“
„Von Meesen“, verbesserte Halbritter. „So viel Zeit muss sein.“
Das musste ja kommen, ärgerte sich Felix. Minnesänger? Eher Korinthenkacker!
„Also, haben Sie ein Alibi?“, wiederholte Felix mit steigender Ungeduld.
„Alibi? Sie wollen doch nicht etwa unterstellen, dass ich - ? Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?“
„Reine Routine“, murmelte Felix wenig überzeugend. „Und? Wo waren Sie? Am 08. September? Zwischen sechzehn und neunzehn Uhr?“ Er hielt den Zeitrahmen bewusst vage, obwohl er selbst nicht wusste, was er sich davon versprach.
„Das weiß ich doch jetzt nicht mehr“, murrte Halbritter. „Vermutlich in der Arbeit. Um sechzehn Uhr bin ich doch noch nicht fertig, ich bin ja kein Beamter!“
Felix überlegte, wie viel Ärger er bekäme, wenn er einem Zeugen eins reinhaute – er hatte gute Lust, aber ließ es natürlich doch besser.
„Im Gegensatz zu Ihnen muss ich auch am Wochenende arbeiten, und zwar open end, wenn ein Fall es erfordert. Und in meiner Position bekommt man die Überstunden weder bezahlt noch ausgeglichen“, konnte er sich aber doch nicht verkneifen. „In der Arbeit waren Sie nicht, das hat mein Kollege schon nachgeprüft. Sie sind an diesem Tag – und das ist schließlich erst sechs Tage her, also brauchen Sie hier nicht Gedächtnisschwund vorzutäuschen – mittags gegangen, weil Sie sich angeblich nicht wohl fühlten.“
„Was heißt hier „angeblich“?“, zeterte Halbritter. „Wollen Sie mir unterstellen, ich sei gar nicht krank – ernsthaft krank! – gewesen? Das ist ja wohl die absolute Höhe!“
„Wenn Sie so ernsthaft krank waren, wundert es mich aber schon, dass Sie das so völlig vergessen konnten. Oder gehen Sie so oft früher nach Hause, dass sich Ihnen ein bestimmter Termin gar nicht mehr einprägt?“
Felix registrierte zufrieden, dass Halbritter etwas blass wurde und verbockt schwieg.
„Nun gut“, fuhr er dann fort, etwas seidiger in der Stimme, „lassen wir das vorläufig, wir werden dem ja noch weiter nachgehen. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Frau Wiesner? Ich frage mich ja schon, wie man mit jemandem befreundet sein kann, dem man sofort einen Mord zutraut.“
„Ach“, machte Halbritter. „Emma,