Four Kids. Byung-uk Lee
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Bluebird27: Hätte nicht gedacht, dass du dich noch meldest. Warum hast du nicht auf meine Nachrichten reagiert?
Browneyes55: Da fragst du noch? Nach der Nummer, die du letztes Mal abgezogen hast. Uncool sag ich dir, wirklich uncool.
Bluebird27: Sorry
Browneyes55: Komm wir treffen uns?
Buebird27: Wo?
Nachdem Haekwon den muffigen Bus verlassen hatte, stand er vor einem weiß gestrichenen Betonklotz, der von Geistern bewohnt zu sein schien. So verwahrlost wie ein Straßenköter und umringt von verdorrtem Gras hätte er perfekt eine Filmkulisse für einen Horrorstreifen abgeben können. Die schwere Metalltür, die sich schon fast aus den Angeln hob, stand offen und konnte er nur mühsam nach vorne schieben, da sie stark über den Boden schleifte. Haekwon wagte sich langsam in den Schlund des Betonmonsters und stieg schwitzend die Steintreppen hoch. Verdammt war er unsportlich geworden. Softdrinks und Cracker hatten seinen organischen Tempel zum Einsturz gebracht. Das hölzerne Treppengeländer gab es stöhnendes Knarren von sich, als er sich darauf stützte. Mit einer gewissen Neugier betrachtete er die Wände, die nur sporadisch mit grüner Farbe bekleckst waren, als wäre der Streicher während der Arbeit eingeschlafen. Im obersten Stockwerk stand ihm nur noch eine rostige Eisentür im Weg. Diese knarrte laut, aber der Junge, der auf dem Dach saß und in den stahlgrauen Himmel blickte, hatte sich nicht umgedreht. Das Flachdach war mit Kies ausgelegt und unter seinen Nikes knirschten seine Schritte, die nur noch zwei Meter von Soo-Jung entfernt waren. Der kahlgeschorene Kopf wirkte so farblos wie das himmlische Deckengewölbe. Seine blaue Regenjacke wurde gelegentlich vom Wind erfasst und wachte im Sekundentakt aus dem Koma auf. Noch eine Weile stand Haekwon hinter ihm. An der Kunststofflasche des Sixpacks fehlten bereits zwei Dosen.
„Setz dich“, sagte Soo-Jung, ohne sich umzudrehen.
Haekwon tat es und es baumelten vier Beine vom Geisterhochhaus, dessen Fenster teils zerborsten waren. Lange Risse, die sich durch seine ganze Existenz zogen.
„Hier komme ich her, wenn ich allein sein will.“
„Warum dieser Ort?“, fragte Haekwon, und ohne Weiteres zog er die dritte Dose aus der Lasche.
„Veraltete Hallen und Hochhäuser erinnern mich an Vergänglichkeit und Unvollständigkeit, deswegen liebe ich diese Orte. Sie passen zu mir. Manchmal fühle ich mich auch unvollständig.“
Nachdenklich blickte Haekwon zum Himmel, auf der Zunge einen schaumig bitteren Geschmack, an den er sich wohl nie gewöhnen würde.
„Da geht´s mir nicht anders, aber ich würde nie auf den Gedanken kommen, in alten Lagerhäusern rumzulaufen.“
Der fahle Kahlkopf drehte sich zu ihm. Ernsthaftigkeit hatte seine Züge versteinern lassen.
„Warum nicht?“
Haekwon nahm noch einen langen Zug, bevor er antwortete, so als müsste er eine Prüfungsfrage beantworten. Druck war das Letzte, das er im Leben gebrauchen konnte, aber auch das, was paradoxerweise notwendig war. Nur unter Druck konnte schließlich auch ein Kohlestein zum Diamanten werden.
„Ich finde es einfach merkwürdig.“
„Merkwürdig? Denkst du ich bin merkwürdig?“
So langsam wurde ihm der Kahlkopf unheimlich.
„Nein, du bist sogar, um ehrlich zu sein, der Normalste, den ich kenne. Meine Eltern sind merkwürdig. Ich verstehe sie häufig nicht. Ich kann einfach nicht zu ihnen durchdringen. Es ist, als gäbe es in unserem Haus eine unsichtbare Barriere, die wir noch nie überwunden haben. Mein Vater, ich kenne ihn nicht, und das Gesicht meiner Mutter ist nur ein Gesicht.“
Soo-Jung zerknüllte die Dose in seiner Hand und warf sie in die Tiefe. In schrägen Bahnen segelte sie hinunter, wurde vom Wind erfasst und trieb wieder hoch, nur um dann weiter zu fallen. Die beiden Jungs betrachteten schweigend das Zusammenspiel zwischen Material und Naturgewalt. Unten angelangt wiegte sich die Dose mit einer gewissen Sanftmut ins vertrocknete Grasbett. Ein starker Windzug erfasste die Fassaden der umliegenden Gebäude und für einen kurzen Moment schien das tote Gestein, umringt von verwehtem Laub, der von den kahlen Bäumen gewaltsam runtergerissen worden war, zu erwachen. Inzwischen waren nur wenige Worte gewechselt und das Bier geleert.
„Meine Eltern leben nicht mehr, glaube ich zumindest. Ich durfte sie nie kennenlernen. Keine Erinnerungen zu haben, das ist mein Schicksal. Ich würde mir gern ein Urteil über sie bilden, aber wo keine Erde ist, kann auch nichts wachsen.“
Einige Spatzen zogen weit oben an ihnen vorbei. Man erkannte sie kaum, da sie sich farblich wenig vom grauen Himmel abhoben. Gut getarnt bahnten sie sich ihren Weg durch höhere Sphären, die nie ein Mensch ohne technische Hilfsmittel durchqueren konnte. Mit zittrigen Fingern deutete Soo-Jung auf den Schwarm.
„Siehst du den einen Vogel?“ Noch immer seinen Arm in Höhe gestreckt blickte er Haekwon ins Gesicht. „Der eine fliegt ganz allein seine Flugbahn, während die anderen in der Gruppe bleiben. Ich frage mich, kann er nicht mit den anderen mithalten oder will er nicht im Schwarm fliegen? Ist es reine Willkür oder Unvermögen?“
Haekwon kam sich plötzlich so dumm vor. Wieso war er hier? Was erhoffte er sich von dem Treffen? Glaubte er wirklich, dass Soo-Jung sein Freund war?
„Vielleicht ist es von beidem etwas. Der kleine Spatz hat geglaubt, dass er zur Gruppe gehören will, aber er hat erkannt, dass die anderen ihn nicht akzeptieren, daher gibt er sich absichtlich keine Mühe mehr. Jede weitere Kraftanstrengung wäre wertlos. Die anderen Spatzen fühlen sich in ihrem Vorurteil bestätigt und er hat schließlich die Einsamkeit, die er wollte. Alle sind letztendlich zufrieden.“
„Du scheinst den Spatzen viel zuzutrauen.“
Das schallende Gelächter des Kahlkopfs bedeckte die maroden Dächer der umliegenden, architektonischen Fossilien wie kalte Asche. Soo-Jung erhob sich und stand nun direkt am Rand. Ehrfürchtig, aber auch mit einem Schimmer Sehnsucht blickte er in die Tiefe. Haekwon erschrak, als er in das fahle Gesicht blickte und genau die Gefühlsmischung in der sonst toten Mimik erkannte. Er tat es seinem Kollegen gleich. In einem tödlichen Balanceakt standen beide da und schwankten im Wind, als befänden sie sich in einer Art Agonie. Der Todeskampf hieß das Leben und das Leben war ein Todeskampf.
„Denkst du manchmal an den Tod?“, fragte Soo-Jung.
„Nie.“
„Ich frage mich, wann es bei mir soweit sein wird. Es ist tragisch, dass man sein ganzes Leben mit dieser Ungewissheit leben muss. Wenn das Lamm zur Schlachtbank geführt wird, trauern die anderen Lämmer.“
„Mich würde keiner vermissen.“