Das Haus der Luftblumen. Nancy Salchow
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Читать онлайн книгу Das Haus der Luftblumen - Nancy Salchow страница 7
Ich ärgerte mich über meine Feigheit, die mich davon abhielt, ihr einfach den Rücken zuzukehren.
„Vorhin erst habe ich fast eine Stunde lang mit einer guten Bekannten telefoniert“, sagte sie. „Kennengelernt habe ich sie durch einen Urlaub, den sie hier vor einer Weile mit ihrem Mann verbracht hat.“ Sie lächelte. „Übrigens in demselben Ferienhaus, in dem du gerade wohnst.“
„Schön“, antwortete ich knapp.
„Sie war übrigens ganz begeistert von dem Haus. Noch heute schwärmt sie davon. Die dunkelrote Holzfassade und die weißen Fensterrahmen erinnern sie an Schweden.“
„Tatsächlich“, murmelte ich abwesend.
„Sie sagt, dass sie, wann immer sie auf die Bank hinter dem Haus saß, den Himmel so gut beobachten konnte wie sonst nirgends. Die Wolken sehen hier anders aus, meint sie. Wie Luftblumen.“ Sie lachte. „Seitdem spricht sie immer vom Luftblumenhaus.“
Ihre Sätze wurden zur monotonen Ansammlung ausdrucksloser Worte. Wie ein nicht enden wollender Piepton zog sich ihr Wortschwall in die Länge.
„Aber Mella verbindet nicht nur positive Erinnerungen mit dem Haus“, fuhr sie fort. „Immerhin wird sie dieser Ort immer an den letzten Urlaub erinnern, den sie mit ihrem Mann vor der Trennung verbracht hat. Nicht unbedingt etwas, an das man gern zurückdenkt.“
Ich blieb stehen. Auch wenn es mich wunderte, dass es überhaupt eines ihrer Worte in mein Bewusstsein geschafft hatte – ich spürte, dass dies kein Zufall sein konnte.
„Wie war der Name noch gleich?“, fragte ich.
„Luftblumenhaus.“
„Nein, der Name der Frau.“
„Mella. Wieso?“ Sie blieb ebenfalls stehen. „Ist das wichtig?“
„Nein“, antwortete ich, während ich versuchte, meinen tobenden Gedanken Einhalt zu gebieten. „Eigentlich nicht.“
*
Wer auch immer Mella war, sie hatte recht. Irgendwie sahen die Wolken von der Bank hinter dem Haus tatsächlich wie Luftblumen aus. Nicht auf den ersten Blick. Auch nicht auf den zweiten. Wenn man jedoch von hier aus nach oben schaute, tief durchatmete und sich bedingungslos seiner Phantasie hingab, wurden die Wolken mit der Zeit zu Blumen. Die Blumen zu Gedanken. Und die Gedanken zu Gefühlen, die jede Faser des Körpers belebten.
Wie friedlich es hier war! Ein Frieden, der wie von selbst alles ein wenig schöner aussehen ließ. Aus dem Augenwinkel sah man das Wasser. Es war über einen kleinen Sandweg erreichbar, der an den Ferienhäusern vorbeiführte. Außer der Bank, auf der ich Platz genommen hatte, gab es auf dem kleinen Grundstück hinter dem Haus einen schmalen Streifen mit gelben und roten Tulpen, der an einem weißen Holzzaun entlangführte. Ein Tor trennte den akkurat gemähten Rasen vom Sandweg; daneben standen zwei Fliedersträucher mit weißen und violetten Blüten.
Ich senkte den Blick erneut auf das Buch mit dem blassgelben Einband, das noch immer auf meinem Schoß lag. Das Gästebuch des Hauses. Klein, aber liebevoll gestaltet. So wie das Haus selbst.
Ich spielte nicht ernsthaft mit dem Gedanken, etwas in das Buch zu schreiben, schon gar nicht zu Beginn meines Aufenthaltes. Den Grund, aus dem ich in dem Buch blätterte, konnte ich allerdings ebenso wenig benennen. Vielleicht war es Neugier. Vielleicht auch nur ein Versuch, der Arbeit an den Songs aus dem Weg zu gehen, die sich bisher äußerst seltsam gestaltet hatte.
Als ich die dritte Seite des Buchs erreicht hatte, fiel es mir wieder ein. Die Suche nach dem Namen Mella, der mir bereits mehrmals auf unerklärliche Weise begegnet war und den Celine vor wenigen Stunden am Strand erwähnt hatte, war ebenfalls ein Anlass gewesen, im Gästebuch zu blättern. Und genau hier, auf Seite 3, tauchte er tatsächlich auf.
Die schönsten Ferien, die man sich vorstellen kann, im wunderschönen Boiensdorf
Mella & Samuel
Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich vielleicht bereits bei meiner Anreise im Buch geblättert und mir dadurch unbewusst den Namen Mella eingeprägt hatte. Nein. Erst vor einer Stunde hatte ich das Buch im Regal unter dem Spiegel im Eingangsbereich entdeckt. Aber welche Erklärung gab es sonst für diese seltsamen Vorfälle beim Schreiben der Texte?
Mit einem tiefen Atemzug schlug ich das Buch wieder zu. Was hatte es für einen Sinn, weiter darüber nachzudenken? Reden konnte ich ohnehin mit niemandem über diese merkwürdige Begebenheit. Im Grunde war es auch egal, was es damit auf sich hatte. Ich war übermüdet, emotional angegriffen, da spielten einem die Gedanken schon mal einen Streich. Vermutlich war ich mit meinem Faible für Worte und deren besondere Konstellation besonders empfänglich für bizarre Schwingungen. Auch wenn die Schwingungen ihren Ursprung in meinem eigenen Kopf hatten.
Ich schaute erneut zum Himmel. Die Sonne strahlte an diesem Nachmittag besonders hell, so dass ich meine Strickjacke auszog, mein Haar mit einem Gummi zusammenknotete und mich mit geschlossenen Augen zurücklehnte. Das war sie also, meine Zeit. Meine ganz eigene Zeit. Ein Ferienhaus nur für mich. Vier Wochen lang.
Der Grund für meine Anwesenheit rückte plötzlich in weite Ferne. Stattdessen wuchs die Dankbarkeit für ein wenig Abstand vom Stress der Großstadt.
Gerade als ich darüber nachdachte, den Liegestuhl aus dem Fahrradschuppen zu holen, streifte mich ein Windzug, der nicht so recht zur frühsommerlichen Stille passen wollte.
Und wenn ich einfach zu ihm fahre? Wenn ich vor ihm stehe, wird er mir zuhören müssen.
Instinktiv öffnete ich die Augen. Was war das? Wer war das?
Aufgeschreckt schaute ich mich um. Ich war sicher, eine Frauenstimme gehört zu haben, doch weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
Ich erhob mich von der Bank und ging um das Haus herum, doch weder auf dem Sandweg noch in der Nähe des Hauses war auch nur die Spur einer Person zu erkennen. Mit verschränkten Armen vor der Brust blieb ich neben der Eingangstür stehen. Hatte sich Celine wieder einmal angeschlichen, weil sie gerade rein zufällig in der Nähe war?
Obwohl ich im Schutz der Hauswand stand, streifte mich erneut ein Windzug. Diesmal sogar etwas heftiger als vor wenigen Minuten. Wieder war ich mir sicher, eine Stimme zu hören. Und wieder war keine Menschenseele zu sehen.
Wenn wir uns direkt gegenüberstehen, wird er meinen Worten nicht mehr aus dem Weg gehen können.
Es klang wie der Fetzen einer Unterhaltung. Eine Unterhaltung, die jedoch keinen Ursprung zu haben schien. Wie auf der Flucht vor den eigenen Gedanken stürmte ich zurück ins Haus und warf die Tür hinter mir ins Schloss. Wie war das möglich? War ich allergisch auf Ruhe? Funktionierte ich nur unter Stress und neigte zu Wahnvorstellungen, sobald ich aus dem üblichen Trubel herausgerissen wurde?
Auf der Suche nach Ablenkung fiel mir ein Flyer auf, der an der Pinnwand neben dem Spiegel hing. Ein Abend mit Live-Musik in Percys Tanzscheune. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Kurz nach fünf. Genug Zeit also, um unter die Dusche zu springen und in ausgehtaugliche Klamotten zu steigen. Die Songschreiberei würde mir nach einer kleinen Pause sicher umso leichter von der Hand gehen.
*