Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban

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Adler und Leopard Gesamtausgabe - Peter Urban

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Pastelltöne ausgewählt. Im Licht der Kronleuchter schimmerten die weich fließenden Stoffe fast weiß. Keines der jüngeren Richmond-Mädchen trug Geschmeide. Nur hübsche, kleine Sträußchen aus frischen Blumen waren adrett am Dekolleté befestigt. Stimmengewirr und Gelächter klangen zu ihnen. Es überlagerte ein populäres Tanzmenuett des Wiener Komponisten Josef Haydn, das aus dem Ballsaal im ersten Stock leicht zu ihnen hinunterschwebte. Peitschenknallen, Hufgetrampel, lautes Wiehern und die Flüche zahlloser Kutscher draußen auf der Straße kündigten noch mehr Gäste an. Dieser Abend eröffnete die Wintersaison des Jahres 1805 in der Hauptstadt des Inselkönigreiches. Die gute Gesellschaft Londons hatte sich um Lady Hollands Einladungen gestritten. Man wollte sehen und gesehen werden. Man kam in der Hoffnung, seinen Namen am nächsten Tag in den Gesellschaftsspalten der Sun oder der Times wiederzufinden. Am besten war es natürlich, in einem Zug mit einer wichtigen Persönlichkeit aus der Politik oder aus dem Hochadel erwähnt zu werden. Damit bewies man sich und den anderen, dass man etwas galt in diesem Lande. Als sie das amüsierte und wenig damenhafte Grinsen ihrer Ältesten bemerkte, warf die Herzogin von Richmond ihrer Tochter einen strafenden Blick zu. „Selbstverständlich, Mama.“, zischte Sarah durch die Zähne, ohne ihren Gesichtsausdruck zu ändern, “ich habe es versprochen! Ich werde die Höflichkeit selbst sein. Keine taktlosen Bemerkungen und kein Gelächter, außer es handelt sich eindeutig um einen Witz!“ Sie legte die Rechte aufs Herz, während sie mit der Linken ihr Cape bändigte. In einer schubsenden Menschentraube die Treppe in den ersten Stock zu bewältigen, ohne Schaden an Haartracht und Abendgarderobe zu nehmen, war schwierig. Georgiana nickte zufrieden, wenn auch nicht ganz überzeugt. Die Herzogin kannte ihre Älteste. Sie wusste, dass Sarah stur war, wie ein Maultier. Ihre Tochter betrachtete gesellschaftliche Verpflichtungen als unnütze Zeitverschwendung. Sie hasste es, mit uninteressanten Menschen geistlosen Klatsch auszutauschen. Mit pikiertem Gesicht geziert ein Champagnerglas durch die Gegend zu balancieren lag ihr ebenso wenig.

      „Guten Abend, meine Liebe“, Lady Holland strahlte die Herzogin von Richmond an, “wie reizend, Sie zu sehen!“ Die Gastgeberin war eine große, aufrechte, hagere Frau. Sie überragte viele der Männer im Ballsaal. Obwohl sie fast siebzig Jahre alt war, trug sie das ergraute Haupt stolz erhoben. Sie hielt sich so aufrecht, wie ein Gardegrenadier. Das hochgesteckte Haar krönte ein ausgefallenes, sehr modisches Diadem. Es funkelte im Schein der Kronleuchter, wie ein Regenbogen. Sie hatte ein Kleid in einem ganz außergewöhnlichen Farbton ausgewählt, weder Silber, noch grau. Die Aufmachung war meisterhaft. Sämtliche Details dienten nur einem Zweck: Lady Hollands feinen Züge, ihre makellose Haut und ihre ungewöhnliche Haarfarbe zu unterstreichen. Nachdem sie Georgianas Hand einen langen Augenblick freundschaftlich festgehalten hatte, wandte sie sich an die älteste Tochter der Herzogin: “Dr.Lennox, eine seltene Freude, einen viel beschäftigten, begabten Mediziner in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Wie geht es Sir James McGrigor? Wir erwarten mit großer Spannung den Wohltätigkeitsball für das Krankenhaus des Malteser-Ordens.“ Sie zwinkerte Sarah, wie eine Verschwörerin zu. Diese trug den offiziellen Titel Lady Lennox. Doch sie schätzte es, mit ihrem hart erarbeiteten Doktortitel angesprochen zu werden. Vor allem in der Öffentlichkeit. Sarah hatte achtzehnjährig, bei Nacht und Nebel ihrer Heimat den Rücken gekehrt, um an der berühmten Medizinschule von Montpellier im Herzen des französischen Feindeslandes zu studieren. Sie war davon besessen gewesen, Chirurg zu werden. Erst vor zwei Jahre war sie wieder nach England zurückgekehrt. Sie hatte einen abenteuerlichen, gefährlichen. Umweg über das unbesetzte Gebiet der Hansestadt Hamburg gemacht und war als Mann verkleidet gereist. Es war natürlich der perfekte Skandal gewesen. Ganz London hatte sich wochenlang den Mund über die Älteste des Herzogs von Richmond zerrissen. Trotzdem war sie heute eine der wenigen Frauen Englands, deren Fachwissen und Kompetenz in der Öffentlichkeit Beachtung fanden. Nachdem Lady Holland noch ein paar kurze Worte mit jedem der drei jüngeren Richmond-Mädchen gewechselt hatte, wandte sie sich wieder ihren anderen Gästen zu. Ein Lakai rief die Namen der Herzogin und ihre Töchter aus und die zunächst Stehenden wandten sich um. Eine stattliche Frau, etwas älter, als Georgiana und mit einem Gesicht, dass auf eine sehr eigenwillige Art attraktiv war, löste sich sofort aus einer Gruppe, glitt auf sie zu und streckte ihr beide Hände entgegen: „Haben Sie Neuigkeiten aus Dublin, meine Liebe? Konnten der Herzog und der junge Wellesley-Pole irgendetwas erreichen?“, Lady Bessborough war die Gemahlin von Sir William Ponsonby. Er galt als die graue Eminenz der Liberalen. Was die Whigs mit ihren politischen Gegner im Parlament nicht regeln konnten, lösten oftmals Lady Bessborough und Georgiana während irgendeines Balls, Dinners oder bei einem gemeinschaftlichen Theaterbesuch. „Unterschätzen Sie die Radikalen nicht, Ann! Dieser O‘Flaherty ist genau der Mann, den die Katholiken sich gewünscht haben. Er ist nicht nur in seinen eigenen Kreisen beliebt, sondern hat es auch geschafft, zusätzliche, konservative Wähler anzuziehen. Er überfordert nie den Intellekt seiner Zuhörer. Er rührt auch nicht an den traditionellen Vorurteilen, die die protestantische Wähler, vor allem die Kaufleute und die andere Mitglieder der gewerbetreibenden Mittelschicht des County Galway haben!“

      Die jüngeren Richmond-Schwestern waren folgsam neben ihrer Mutter stehen geblieben. Sie lächelten charmant, hielten den Mund und benahmen sich so, wie man es von braven Töchtern aus gutem Haus erwartete. Sarah gab Georgiana und Lady Bessborough ein Zeichen mit dem Kopf. Dann verschwand sie in der Menge. Sie war nicht auf diesen Ball gekommen, um vorgestellt zu werden. Sie hielt auch nicht nach einem Ehemann Ausschau. Nach den Maßgaben der guten Gesellschaft gehörte sie mit ihren siebenundzwanzig Jahre bereits zum alten Eisen. Man hatte sie als einen unbelehrbaren und unverbesserlichen Blaustrumpf abgelegt. Da ihr Vater, der Herzog von Richmond, sich allerdings noch in Irland aufhielt und sie nicht zu diesem Fest begleiten konnte, übernahm Sarah gekonnt die Rolle, die ansonsten dem Ehemann oder einem ältesten Sohn zugefallen wäre: Sie besorgte für Georgiana und Lady Bessborough zwei Gläser mit kühlem Champagner. Dann rief sie drei jüngere, unverheiratete Herren aus der näheren Bekanntschaft der Familie freundlich aber bestimmt dazu auf, mit ihren kleinen Schwestern zu tanzen. Als alle versorgt waren, suchte sie sich einen Sitzplatz am Rande der Tanzfläche, um darüber zu wachen, dass sich sowohl die Tanzpartner, als auch ihrer jüngeren Schwestern gesittet benahmen. Ab und zu grüßte Sarah jemanden oder winkten Freunden zu. Natürlich tanzte sie selbst auch gerne. Wenn ein geistreicher und interessanter Partner sie aufforderte, konnte sie Stunden zufrieden in einem Ballsaal verbringen. Doch an diesem Abend war sie nicht gekommen, um sich zu vergnügen. Ihre Mutter und Ann Bessborough mussten sich wieder einmal auf neutralem Boden unauffällig besprechen. Es ging um ein Thema von höchster, politischer Brisanz. Aus diesem Grund hatte Sarah ihrer Mutter versprochen, die drei Js im Auge zu behalten: Jane, Jemima und Justinia.

      Ihre jüngeren Schwestern hatten aus einer Laune der Natur heraus jeweils nur ein Jahr Altersunterschied. Wohl aus einer ähnlichen Laune heraus hatte Georgiana beschlossen, das Trio gleichzeitig in die gute Gesellschaft einzuführen. Natürlich waren die Js zum Heiraten noch viel zu jung. Aber sie hatte gedrängelt und wie immer hatte man dem Quengeln der Kinder nachgegeben. Während Sarah an ihrem Glas nippte und die Js mit ihren Kavalieren beobachtete, ging ihr durch den Kopf, wie sonderbar es doch war, das ausgerechnet ihr Vater, der im gesamten Königreich als knallharter Politiker berüchtigt war, seiner Familie gegenüber so unglaublich nachgiebig war. Zuvor, als er noch Soldat gewesen war, war er auch nicht gerade Samthandschuhen angehabt. Trotzdem schlug er keinem seiner neun Kinder auch nur den geringsten Wunsch ab, egal wie verrückt oder hanebüchen dieser war. Als sie selbst mit knapp achtzehn Jahren losgezogen war, um zu studieren, hatte ihr Vater sie nicht nur heimlich unterstützt. Er hatte sie sogar noch darin bestärkt, ihren eigenen Weg zu gehen. Er hatte sie nie gezwungen, den Konventionen der Gesellschaft zu gehorchen. Und er hatte ihr Recht gegeben, als sie verkündet hatte, dass sie nicht, wie alle Mädchen heiraten wollte, sondern lieber ihr Leben der Wissenschaft verschrieb. Sarah war felsenfest davon überzeugt, dass Georgiana noch heute einen gewaltigen Wutanfall bekommen würde, wenn sie je erfahren sollte, wie tief ihr Gemahl wirklich in das waghalsige und skandalöse Studienprojekt seiner ältesten Tochter in Montpellier verstrickt gewesen war.

      „Guten Abend, Sarah.“, riss eine unbekannte und doch irgendwie vertraute Stimme sie aus den Betrachtungen über ihr glückliches Familienleben. Ohne um Erlaubnis zu bitten, hatte ein Mann in einer schlichten, dunkelgrünen Redingote neben ihr Platz genommen. Das Kleidungsstück wirkte ein bisschen

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