Voll voraus, DODI!. Claus Beese
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Mittlerweile hatten sich auch alle an das Hupkonzert der vor den Schleusentoren wartenden, neu hinzugekommenen Schiffe gewöhnt und man lud einfach alle ein, sich an dem fröhlichen, wenn auch nicht geplanten Schleusenfest zu beteiligen. Der Grillmeister hatte zum wiederholten Mal Kohle auf den Grill gekippt, denn viele der Neuankömmlinge hatten noch einen großen Vorrat an Würsten und Fleisch dabei, als unser Notruf-Melder mit hochrotem Kopf und heiserer Stimme verkündete, dass er die fleißige Wäscherin davon hatte überzeugen können, sich auf das nächstbeste Rad zu schwingen und ihren angelnden Mann zu suchen.
Das hatte sie sogar geschafft und der verhinderte Petrijünger hatte versprochen sich auf den Weg von Stade hierher zu machen. Sein Eintreffen würde allerdings wohl noch eine Stunde auf sich warten lassen. Als so gar niemand ob dieser Meldung applaudieren wollte, ließ er enttäuscht sein Handy sinken. Der Ärmste hatte sich die Ohren und Finger wund telefoniert, und darum auch gar nicht damit gerechnet, dass die fröhliche Runde nunmehr überhaupt nicht daran dachte, mit der lustigen Schleusenparty aufzuhören. Ganz im Gegenteil: Man würde sogar handfesten Widerstand leisten, wenn es denn sein musste. Freiwillig würde man die Schleusenkammer nicht räumen!
Tatsächlich erschien nach einer guten Stunde ein schlüsselgewaltiger Staatsdiener und bekam große Augen als er das muntere Treiben sah. Oben auf der Schleusenmauer wurde inzwischen zu den Klängen einer Mini-Stereo-Anlage gerockt und gerollt, der Grill qualmte noch immer und die Kinder trauten sich auch schon von der Schleusenmauer in das kühle Nass zu hüpfen.
»Die Schleuse ist wieder frei, ihr könnt also....! Hallo, würdet ihr mal bitte...?! Ey! Ihr könnt jetzt die Kammer räumen! Verdammte Bagage, raus mit euren Eimern aus der Schleuse!!!«
Der Schleusenmeister kratzte sich am Kopf. So etwas war ihm noch nicht untergekommen. Eine hübsche Bikini-Fee reichte ihm ein kühles Bier und zog ihn mit auf die improvisierte Tanzfläche. Na gut, wenn er heute schon keinen Fisch bekam, dann wenigstens ein Bier. Und getanzt hatte seine Agathe schon seit der Silberhochzeit nicht mehr mit ihm. Und, Junge, Junge, hatte er einen Kohldampf. So ein Holzfäller-Steak, ja, das wäre schon was. Der Grillmeister hatte den hungrigen Blick nicht übersehen und im Nu war der arme geplagte Mann mit einem dampfenden Stück Fleisch versehen.
Irgendwo aus den Tiefen der Schleusenkammer, ertönte ein immer aufdringlicheres, weil ständig lauter werdendes Geheul.
»Uäääh! Papa hat es mir aber versprochen! Und ich will mein Eis mit Sahne und Früchten! Nein, nicht morgen! Heute, hat er gesagt!«
Beinahe schlagartig wurde es ruhiger. Die Bootscrews schauten sich bezeichnend an, denn zumindest die, die eigenen Nachwuchs an Bord hatten, wussten was jetzt zwangsläufig geschehen würde. Wie ein extrem gefährlicher Virus würde sich dieses Wort von Boot zu Boot verbreiten, sich in den Gehörgängen der Kinder festsetzen und von dort einen siegreichen Feldzug vom Magen bis zum Gehirn beginnen. Und das alles in Rekordzeit.
»Wenn Markus ein Eis kriegt, will ich auch eins!«, tönte es bereits vom Nachbarschiff, und oben auf der Schleusenmauer warf ein anderer Bengel seine Angelrute aus der Hand und sprang auf.
»Ich auch, aber mit Schokosoße«, forderte eine andere Stimme und nur Sekunden später halte es schaurig durch den Schleusenkessel: »Eis! Eis! Eis!«
Das eben noch in partymäßigen Small Talk vertiefte Boots-Völkchen ergab sich kampflos und begann, die inzwischen über das ganze Schleusengelände verstreuten Spielsachen, Stühle, Tische, Gläser, Becher usw. wieder einzusammeln und zu sortieren. Einige Dinge wurden hin und her gereicht, weil der wirkliche Besitzer scheinbar nicht so ohne weiteres zu ermitteln war.
»Der Skipper hier ist deiner! Ich hatte einen mit weniger Haaren!«
»Nein, das kann nicht meiner sein, der hier ist ja ganz rot und ich weiß genau, dass meiner viel käsiger im Gesicht war.«
»Sagt mal, weiß denn jemand, wem dieser Bengel gehört? Ich habe ihn gerade dabei erwischt, wie er unserem Bordhund das Tauchen beibringen wollte!«
»Geeerdaaa! Du lässt jetzt sofort den Schleusenmeister los und kommst an Bord! Gerdaaa!! Hast du gehört? Sofort!«
Grummelnd und schwarze Wölkchen paffend sprangen die ersten Diesel an, Leinen klatschten ins Wasser und einige Boote versuchten sich aus dem Päckchen mittels drücken und schieben zu lösen. Fassungslos stand ein einsamer Mann auf der Schleusenmauer und schaute kopfschüttelnd hinter den in Richtung Bederkesa entschwindenden Booten her. Jetzt hatte der Gegenverkehr freie Einfahrt und weil sie so lange darauf hatten warten müssen, wollte natürlich jeder der Erste sein, der auf der anderen Seite seine Fahrt fortsetzen konnte. Knirschend verkeilten sich eine Stahljacht und ein Kunststoffboot in der Schleuseneinfahrt, wobei das Letztere ein wenig an Breite einbüßte, dafür aber den Stahlbottich so festklemmte, dass beide nicht vor und zurück konnten.
Der noch immer kopfschüttelnde Schleusenmeister ahnte, dass sein Wochenende gelaufen war. Bis er die Schleuse endgültig geräumt und wieder befahrbar haben würde, wäre seine Agathe wahrscheinlich mit dem Weißen Riesen durchgebrannt. Seufzend ging er in sein Häuschen, griff zum Telefon und benachrichtigte nacheinander die Wasserschutzpolizei, die Feuerwehr, den Katastrophenschutz, einen Scheidungs-Anwalt und seinen Psychiater.
Drei Kilometer weiter schloss gerade der Hafenmeister von Bederkesa sein Hafenbüro um den wohlverdienten Feierabend zu genießen, als um die Kanalbiegung eine ganze Flotte von Sportbooten heran nahte. Täuschte er sich oder grölten wirklich alle Besatzungen der Boote vergnügt Seemannslieder? Wenn sie sich doch wenigstens auf eines hätten einigen können, schoss es dem Meister über alle Liegeplätze durch den Kopf, denn in der Tat klang es so, als würde auf jedem Boot ein anderer Shanty lautstark dargeboten.
Ein kurzes Getümmel gab es, als die Boote mit Nachwuchs-Matrosen an Bord sich um die Liegeplätze rangelten, die in unmittelbarer Nähe des Seerestaurants Dobbendeel lagen. Wer Bederkesa kennt, der weiß, dass es dort die besten Eisbecher gibt. Alle anderen Boote lösten sich aus dem Gewusel und fuhren freiwillig ein kleines Stück weiter um die etwas entfernteren Liegeplätze zu belegen. Hafenmeister Willy sprang auf sein Rad und spurtete zur Kanalbrücke, wo es wegen der engen Durchfahrt und den eisnahen Plätze zu einer Pulkbildung gekommen war.
»Zum Donnerwetter! Kann mir mal jemand sagen, was hier eigentlich los ist?«, donnerte er stimmgewaltig über den Kanal, sprang vom Drahtesel und lief den Deich hinab.
»Wir wollen Eis!«, jubelte mein eigen Fleisch und Blut ihm zu. »Hier, Onkel Willy! Halt mal!«
Mit diesen Worten warf sie ihm die Heckleine zu, die sie eigentlich am Steg ordentlich zu belegen hatte und rannte davon. Wozu am Poller festbinden, wenn auch der Hafenkapitän das Boot festhalten konnte? Im Laufen drehte sie sich nochmals kurz um und rief uns zu, dass wir sie im Dobbendeel finden könnten. Johlend stob eine ganze Horde Kinder hinter ihr her, während auf dem Steg ein verstörter Hafenmeister mit einem Tampen in der Hand stand und langsam dunkelrot anlief.
»Neptun!«, presste er zwischen den Zähnen hervor und war bemüht ruhig zu bleiben. »Was habe ich dir getan, dass du mich wieder einmal mit der DODI strafst? Bederkesa ist ein so netter kleiner Hafen bis zu dem Moment, wo dieses Boot auftaucht. Bitte schick diesem Katastrophenskipper eine Million, damit er sich einen so großen Dampfer kaufen kann,