Der Herr des Krieges Gesamtausgabe. Peter Urban
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Das Verteidigungssystem, das General Sir Arthur Wellesley, der sich seit seinem Sieg über die Franzosen bei Talavera Lord Wellington nennen durfte, erdacht hatte, war komplex und ziemlich kompliziert. Obwohl er sich ganz genau vorstellen konnte, wie alles am Ende funktionieren und zusammenpassen würde, fiel es ihm nicht leicht, auf einem Blatt Papier seine ‚Wälle von Torres Vedras‘ zu erklären: Römisch-maurisch-portugiesische Burgen, Burgklöster und Wachtürme thronten auf Bergen, beherrschten die Hügel der Halbinsel, schmiegten sich an sanfte Höhen oder klebten an schroffen Felsen. Einst, in längst vergangener Zeit, wachten sie über das gesamte Umland Lissabons und über die Estremadura bis zur spanischen Grenze. Manchmal waren nur noch traurige Ruinen übriggeblieben; oft jedoch hatte man die Gemäuer über die Jahrhunderte sorgsam erhalten und sie strahlten immer noch Wehrhaftigkeit aus. Um die Hauptstadt des Landes zu beschützen, mußte nur noch jemand die Energie finden und diese manchmal düsteren Festungen, oft aber auch romantischen Märchenschlösser mit kastenförmigen, eng stehenden Türmen ohne Spitzen, mit den sonderbaren Wehranlagen ohne Burg, aber mit gewaltigen, kubischen Mauermassen, miteinander zu verbinden. Flüsse mußten mit Dämmen gebändigt werden, um im Falle eines Angriffs durch die Franzosen kurzfristig künstliche Überschwemmungen zu schaffen, die den Armeen der Adler den Übergang unmöglich machen würden. Die Dämme selbst wollte der Ire zum Schutz vor feindlichen Übergriffen stark befestigen. Die Zitadelle von Torres Vedras und ähnliche steinerne Trutzburgen aus dem Mittelalter würden mit zusätzlichen Schutzwällen modernisiert. Jeder unbebaute Hügel bekam seine Verteidigungsanlage, sowohl entlang des ersten Ringes, als auch entlang des zweiten Walles. Das Gelände selbst war zerklüftet und kaum zugänglich. Tausende von Portugiesen arbeiteten unter Aufsicht der wenigen, britischen Militäringenieure, über die Arthur verfügte, frenetisch an der Verteidigung von Lissabon. Sein gesamtes Konzept beruhte darauf, soviel Land wie nur irgend möglich, mit so wenigen Männern wie unbedingt nötig zu halten, um größtmögliche eigene und portugiesische Truppenreserven bereitzuhaben, die im Rücken eines frustrierten oder geschwächten Feindes manövrieren und kämpfen konnten.
All diese Arbeiten verliefen unter dem Siegel strengster Geheimhaltung! Der portugiesische Kronrat schwieg, die portugiesischen Arbeiter schwiegen und Wellington selbst ließ trotz der immer härteren Angriffe aus London und dem brutalen Druck, den die Regierung und die öffentliche Meinung seines Landes auf ihn ausübten, kein Wort zu seiner Verteidigung oder Rechtfertigung laut werden. Er konnte und durfte in diesem Augenblick niemanden von den Bauarbeiten zwischen Arruda und Torres Vedras erzählen. Zu groß war die Gefahr, daß ein geltungssüchtiger Politiker zuhause den Plan preisgab, alles in die Presse gelangte und damit ebenfalls zu den Franzosen. Der Erfolg der Wälle von Torres Vedras in Arthurs Gesamtstrategie auf der Iberischen Halbinsel lag nur in ihrer vollständigen Geheimhaltung. Lediglich in einem privaten Brief an Robert Castlereagh ließ der General durchblicken, daß er etwas vorhatte. Doch was, das wollte er auch dem Freund nicht sagen. Robert war zu sehr Politiker, als daß der Soldat Wellington ihm in dieser schwierigen Lage noch sein Vertrauen schenken konnte. Nur an Henry Paget schrieb er: „Besorge dir eine Karte, sieh genau hin und du wirst verstehen, was ich gerade unternehme!“ Dann löste er sich für weitere vier Wochen in Luft auf, ohne irgend jemanden zu informieren, wohin oder warum. Er wurde nur noch von Oberst Richard Fletcher begleitet, dem Chefingenieur seines Feldheeres. Don Antonio Maria Osario Cabral de Castro und Pater Robertson mit seinem Quartett verschwanden ebensomysteriös in den Weiten der Iberischen Halbinsel.
Napoleons ‚Grande Armée‘ hatte im Jahr 1809 wieder eine ihrer verblüffenden Siegesserien gehabt: Bei Tengen, Abensberg, Landeshut, Eckmühl, Ratisbon, Ebersberg und Znaim hatten die Adler die Österreicher geschlagen. Bei Wagram hatte der Kaiser der Franzosen einen großen Sieg errungen. Als Arthur präzise Informationen über diesen 5. und 6. Juli in Händen hielt, erschauderte er. Das kleine Dorf Wagram befand sich nur wenige Meilen von Wien entfernt. Nachdem der Kaiser in einem verzweifelten Zusammenstoß bei Aspern-Esslingen, unter grausamem Blutzoll versucht hatte, die Donau zu überwinden und dabei seinen engsten Waffengefährten, Marschall Jean Lannes, den Herzog von Montebello, verlor, überschritt er in der Nacht vom 4. auf den 5. Juli den Fluß ohne dieses Mal auf österreichischen Widerstand zu stoßen. Erzherzog Karl hatte sich noch nicht mit den Truppen von Erzherzog Johann vereinigen können. Sein Versuch, den Korsen von seinem Brückenkopf abzuschneiden und wieder über den Fluß zu vertreiben, um die Hauptstadt der Donaumonarchie zu retten, schlug fehl. Napoleon gelang es, einen Keil ins Zentrum des österreichischen Heeres zu treiben. Karls Situation war ausweglos, seine Niederlage vollständig! Die Franzosen besetzten Wien, der Kaiser schlug sein Hauptquartier in Schönbrunn auf. Rußland hatte sich der Koalition gegen Bonaparte dieses Mal nicht angeschlossen. Niemand konnte der Donaumonarchie mehr zu Hilfe eilen, und der Habsburger mußte am 10. Juli 1809 den ehemaligen Jakobinergeneral und Revolutionär um Frieden anflehen. Er wurde gezwungen, im Vertrag von Schönbrunn unermeßlich große Teile seines Hoheitsgebietes abzutreten und dem französischen Kontinentalsystem beizutreten. Als Dreingabe forderte Napoleon noch die Hand Marie-Louises von Habsburg! Josephine Beauharnais – seine Kaiserin – hatte ihm keine Söhne schenken können, doch der Korse wollte eine Dynastie gründen. Nach dem Tag von Wagram beschloß er, sein Revolutionärsblut mit dem ältesten Hochadel des europäischen Kontinents zu veredeln – Habsburg! Der Kaiser der Franzosen hatte sich damit zum unangefochtene Herrscher über Europa gemacht.
Während die Portugiesen Tausende von Palisaden und Reisigbündel für die Befestigung der Wälle von Torres Vedras schleppten oder mühsam Straßen durch die Berge bauten, um schwerer Artillerie Bewegungsmöglichkeiten zu geben, wo vormals kaum ein Maultier vorankam, befand Don Antonio Maria Osario Cabral de Castro sich tief im Landesinneren von Spanien. Sein erster Weg hatte ihn in das Bergmassiv des Guadarrama geführt. Dort verbarg sich in der einsamen Schönheit von La Mancha, unweit von Segovia und hoch in den Bergen, ein Mann vor den französischen Häschern, dessen Ruf bereits den Weg über die Grenzen nach Portugal gemacht hatte: Juan Martin Diez. Seine Anhänger und auch seine Feinde nannten ihn nur „El Empecinado“ – den Mann vom Strom. Diez führte eine große Bande von Guerilleros an, die den Franzosen mit waghalsigen Übergriffen das Leben zur Hölle machten. Niemand, der eine blaue Uniform trug, war nachts oder in den Wäldern vor den gnadenlosen und flinken Messern der Gefolgsleute von El Empecinado sicher. Don Antonio gelang es, diesen Partisanenführer für die Sache der Briten zu gewinnen. Diez versprach, alle abgefangenen Franzosen sorgfältig auf Depeschen und andere nachrichtendienstlich wertvolle Schriftstücke abzusuchen und peinlichst zu befragen, wenn dies noch möglich war. Alle Informationen würde er Lord Wellingtons Nachrichtendienst zukommen lassen. Nachdem die Männer der Guadalajara-Region fest auf Seite der Alliierten standen, machte Don Antonio sich auf den Weg nach Kastilien, um sich dort der Unterstützung des berühmten Don Julian Sanchez zu versichern, eines Großgrundbesitzers, dessen gesamte Familie auf grauenvolle Weise von den Franzosen abgeschlachtet worden war, weil er sich geweigert hatte, dem Feind Pferde und Proviant zur Verfügung zu stellen. Auch Don Julian erklärte sich schließlich einverstanden, auf Seiten der Briten für die Freiheit seines Landes zu kämpfen. Und er tat noch mehr für Don Antonio: Er versprach dem Portugiesen, alle anderen Guerilleros ebenfalls für die Sache der Alliierten zu gewinnen. Boten galoppierten nach Osten, Westen, Norden und Süden los, und kurze Zeit