Sieben Gründe, warum wir nicht so gut sind, wie wir sein könnten. Peter Schmidt

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Sieben Gründe, warum wir nicht so gut sind, wie wir sein könnten - Peter Schmidt

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messen ihm aber „an sich“, d.h. unabhängig vom Bewusstsein, eine gleichbleibende Größe bei. „Kleiner“ und „größer“ sind offenbar subjektive Faktoren, hinzugefügt durch unseren Wahrnehmungsapparat, aber nicht am Objekt selbst befindlich. Es gibt also subjektive „Verfälschungen“ des Objekts, die allerdings im praktischen Erkennen und Handeln, hier z. B. bei der Einschätzung der Entfernung, ihren Sinn haben.

      Ähnlich – dann allerdings nicht mehr subjektiv verstanden – sind wohl die meisten Menschen, auch Physiker und Erkenntnistheoretiker, z.B. im Sinne des sogenannten „Kritischen Realismus“ anstelle von naivem Realismus, davon überzeugt, dass die Strecke, die ein Körper im Raum zurücklegt, eine tatsächliche Bewegung ist und nicht einfach bloß wahrgenommen, also nur so erscheinend.

      Selbst wenn es kein menschliches Bewusstsein gäbe, nehmen wir gemeinhin noch an, dass ein Gegenstand sich durch den Raum bewegen kann, es sei denn, wir halten wie die erkenntnistheoretischen Idealisten alles nur für einen „Bewusstseins-Traum“, und unabhängig vom Bewusstsein existiert überhaupt keine Welt.

      Eigenschaften, Bestimmungen dagegen, die abhängig vom Subjekt sind, werden nicht als „objektiv“, „ansichseiend“, also unabhängig vom Subjekt angesehen. So verstanden sind Geschmacksurteile offensichtlich subjektiv.

      In dieser Analyse wird es weniger um strittige historische Tatsachen, um Opferzahlen, um Leugner des Holocaust, um politische Motive oder wissenschaftliche Gründe oder Beweise für historische Richtigkeit gehen, als vielmehr um die auf der „Metaebene unseres Bewusstseins“ zu findenden Gründe unseres Umgangs mit ähnlich exemplarischen Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Solche Gründe werden gemeinhin z. B. in bequemem Mitläufertum gesehen, in mangelnder Empathie, in Angst vor Repressalien und Nachteilen.

      Unsere Meta-Analyse wird dagegen zeigen, dass es eine Reihe weitgehend unbemerkter zusätzlicher Faktoren hoher Wirksamkeit gibt, die die bedauerliche Prognose rechtfertigen, dass wir kaum Chancen haben, unsere gewohnten Verhaltensweisen zu ändern.

      Aber lässt sich denn überhaupt über den Holocaust moralisch streiten? Kann es hier Zweifel und berechtigte abweichende Meinungen geben?

       Was ist eigentlich das genaue Kriterium, um zwischen Ansichtssache, Geschmackssache und „wahren“ moralischen und menschlichen Werten zu unterscheiden?

      Indem wir das womöglich größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte mit der Frage „Kann die Bewertung des Holocaust Ansichtssache sein?“ zum Anlass einer Klärung unserer wohlverstandenen eigentlichen Interessen im Leben nehmen, vermögen wir unseren Blick zu schärfen für einen bisher so gut wie völlig übersehenen moralischen Sachverhalt, der vielleicht das Leiden nicht beendet, aber uns wenigstens in klarerem Wissen über die Gründe unseres Versagens scheitern lässt …

      THESE 1 „Analytische Defizite“

       Schon ein zehnjähriges Kind hätte eigentlich zur Zeit des Nationalsozialismus bei durchschnittlicher Intelligenz erkennen können, dass Juden kein gemeinsames Merkmal (z. B. charakterlich, physisch, ideologisch, religiös, der Abstammung nach) haben, für das es einen Grund geben könnte, sie in Konzentrationslager zu verbringen und zu ermorden.

      Der Nachteil der Intelligenz

      besteht darin, dass man

      ununterbrochen gezwungen

      ist, dazuzulernen.

      (George Bernard Shaw)

      Wie auch immer man das Judentum und den „Juden“ definiert – z. B. als historisches jüdisches Volk, als Religionsgemeinschaft, als „Rasse“ oder als Ethnie, durch kulturelle Merkmale wie Sprache, geografische Herkunft, Traditionen, Gebräuche und Geschichte und/oder Abstammung – im Grunde liegt doch selbst für das schlichteste Gemüt nach kurzem Nachdenken auf der Hand, dass zahllose Menschen sich hinsichtlich der Propagandathesen gegen das Judentum in einer Art geistigem Dornröschenschlaf befanden …

      Hätte man Hitler gefragt, was denn genau der jüdische Besitzer des Kaufhauses an der Ecke, das jüdische Mütterlein mit ihrem Ziegenstall im Dorf, der Geldverleiher im Mittelalter, der Gemüsehändler nebenan, der Rabbi in der Synagoge und das jüdische Kind auf der Schulbank an negativen Charaktereigenschaften, bösartigen Absichten und amoralischer oder krimineller Vergangenheit gemeinsam haben, sei es nun als einzelnes Merkmal oder Gruppe, dann wäre es ihm kaum möglich gewesen, solche Gemeinsamkeiten nachzuweisen.

      Der wissenschaftlich weitgehend abgelehnte Rassenbegriff, z. B. als „semitische Rasse“, ändert an diesem analytischen Defizit praktisch nichts. Denn selbst wenn man einen genetischen Unterschied feststellen könnte (was zur Zeit des Nationalsozialismus wissenschaftlich ohnehin nicht möglich war), hätte das kaum Aussagekraft für den jeweils individuellen Charakter, negative Merkmale zu konstatieren, da dieser sich dynamisch entwickelt, zum Beispiel im kulturellen Wechselspiel, in der Erziehung, und man jeden Fall gesondert betrachten muss.

      Laut Hitler haben Juden im Wesentlichen folgende Eigenschaften, Motive und Absichten:

      1) Schädigung der arischen Rasse durch Vermischung mit minderwertigem jüdischem Blut, durch die deren Untergang droht.

      2) Verschwörung zur „wirtschaftlichen Eroberung der Welt“, deren politischer Unterjochung und zur „Weltherrschaft“.

      3) Schädigung und Senkung des kulturellen Niveaus durch geringes eigenes Niveau.

      Offensichtlich lässt sich aber keines dieser Merkmale dem sogenannten Juden evident zuordnen. Und schon gar nicht im Sinne der Verallgemeinerung, alle seien gleich.

      Zu 1) Ob „jüdisches Blut“ geringeren Wert als „arisches“ besitzt, ist an der bloßen Subsumierung eines Menschen unter eine Kategorie (Jude, Farbiger, Indianer usw.) nicht zu erkennen. Vielmehr müsste der Nachweis in jedem Einzelfall geführt werden, da die Begründung immer nur induktiv sein kann: von einigen oder allen bekannten Fällen fälschlich auf weitere oder alle.

      Zu 2) Für eine politische Verschwörung gilt das Gleiche. Es gibt keine seriösen Hinweise darauf, dass der Jude danach gestrebt hätte, den Deutschen bzw. „Arier“ auszurotten oder in irgendeiner Weise zu unterdrücken. Wir müssten dann das Kind, die alte Frau, den Rabbi, den Gemüsehändler usw. unter diese Kategorie subsumieren können und ihnen eine gemeinsame Absicht unterstellen, was erkennbar nicht möglich ist.

      Zu 3) Ebenso ist keine Senkung des kulturellen Niveaus durch Juden zu erkennen, eher im Gegenteil:

      Von 1905 bis 2012 verzeichnet das sogenannte Judentum über 180 Nobelpreisträger. Die Welt verdankt bahnbrechende und wegweisende geistige und wissenschaftliche Fortschritte bekanntlich ausgerechnet dem Judentum, z. B. durch Einstein, Freud und Marx.

      Wenn überhaupt „minderwertiges Blut“, „Weltverschwörungsambitionen“ und „negativer kultureller Einfluss“ nachgewiesen werden könnten, dann wäre eine ungeprüfte Verallgemeinerung solcher Kennzeichen nur durch eine Art gesellschaftliche Sippenhaft denkbar.

      Wohlgemerkt geht es dabei noch nicht um Konsequenzen, zum Beispiel öffentlich Stellungnahme und Kritik, wie etwa riskante politische Opposition, sondern zunächst einmal um die schlichte persönliche Bestandsaufnahme jedes Einzelnen für sich selbst.

       Das Schafherden-Modell

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