Abrechnung in London. Thomas Riedel

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Abrechnung in London - Thomas Riedel

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es hätte sich wieder angefunden?«

      Bradley schüttelte den Kopf. »Meine Auftraggeberin wurde böse, als ich die Schmuckkassette auch nur erwähnte. Das Collier kenne ich nur von der Beschreibung am Telefon her, als sie mich bat, danach zu suchen.«

      »Wenn die Herren einmal zu mir kommen würden?«, meldete sich plötzlich der Gerichtsmediziner, begleitet von einer auffordernden Geste mit der Hand. Dann richtete er sich auf, zog seine Handschuhe aus und packte sein Besteck in den Arztkoffer.

      »Und?«, fragte Primes und sah dabei auf das wächserne Gesicht der jungen Frau.

      »Gift!« entgegnete der Arzt und sah den Chief Inspector an. Dann fuhr er mit dem Finger hinter seine Brillengläser und wischte darüber. »Gift...! Aber keines der üblichen Symptome wie bei Veronal, Strychnin oder Zyankali. Das hier muss ein besonders aktives Toxin sein, ich schätze, ein organisches Gift, kein metallisches. Der Tod scheint binnen zwei bis drei Minuten eingetreten zu sein. Die Tat könnte zwei bis zweieinhalb Stunden zurückliegen. Genaueres kann ich erst nach der Autopsie der Leiche sagen«, berichtete der Arzt.

      »Können Sie mir schon sagen, wie das Gift verabreicht wurde?«, hakte Primes nach.

      Der Mediziner bückte sich, erfasste den Rand des hochgeschlossenen Kleides der Toten, nachdem er sich wieder den rechten Handschuh übergestreift hatte, und zog es vom Hals ein Stück abwärts. »Sehen Sie, hier? … Ein winziger Nadelstich! Die leichte Verfärbung, rührt eindeutig von einer subkutanen Injektion her.«

      Primes und Bradley machten sich darüber ihre eigenen Gedanken, während der Gerichtsmediziner das Kleid wieder emporzog und seinen Handschuh in die Tasche zurückwarf.

      »Den mysteriösen Anruf, der mich hergeführt hat, erhielt ich vor gut dreieinhalb Stunden «, bemerkte Bradley halblaut. »Der Mann könnte die Tat möglicherweise verübt haben. Zeit hatte er dazu jedenfalls genug.«

      »Ist ein Suizid denkbar, Doktor?«, erkundigte sich Primes, der ähnliche Gedanken hegte wie sein Freund.

      »Denkbar ist das gewiss, aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass sich Betreffende eine bequemer erreichbare Stelle suchen … Zumeist den Arm oder …«

      »In dem Fall würde auch eine Spritze zu finden sein«, ergänzte Bradley.

      »Und ein Unfall ist ebenfalls auszuschließen?«, bohrte Primes weiter, aber nur um jede Möglichkeit ausgeschlossen zu sehen, die außer Mord als Todesursache in Betracht kommen konnte.

      Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Höchst unwahrscheinlich ... Wo sollte sich die Tote gestochen haben? Zumal an dieser Stelle!« Er wandte sich von den beiden ab und gab Anweisung, die Leiche hinauszuschaffen.

      »Kann es sein, dass Dorsey dich angerufen hat?«, fragte Primes unvermittelt und sah einem seiner Beamten zu, der sich eingehend mit einem zertrümmerten Stuhl beschäftigte.

      Bradley war der neugierige Blick seines Freundes nicht entgangen. »Der ging zu Bruch, als Dorsey über ihn fiel!«, schmunzelte er. »Aber, um auf deine Frage zu antworten, Alexander: Ich halte es für mehr als unwahrscheinlich, dass es Dorsey war, der mich angerufen hat. Warum hätte er sich dann davongeschlichen und sich mit mir herumgeprügelt? Mal ehrlich: Das scheint mir gegen jede Vernunft.«

      »Den werde ich mir vorknöpfen«, entschied Primes. »Und du bleibst hier, auch wenn es ihm nicht passt!«, fügte er hinzu, als er sah, dass Bradley sich seinen ›Homburger‹ angeln wollte.

      Bradley fiel die Schmuckkassette ein, die er eingesteckt hatte. Er zog sie aus der Tasche und übergab sie Primes. »Hätte ich fast vergessen.«

      »Kennst du diesen Roger Kensington?«, fragte Primes, als er die Widmung auf der Innenseite des Deckels gelesen hatte.

      »Nein.« Er ließ sich in einem Sessel nieder, während sein Freund einem der Beamten den Auftrag gab, Dorsey zu holen.

      »Gut … Also ein Unbekannter mehr in dieser Angelegenheit«, meinte Primes und setzte sich ebenfalls. Er meinte damit Kensington, der Mrs. Dorsey ganz offenkundig das Geschenk gemacht hatte. »Was könnte Mrs. Dorsey hier gewollt haben? Warum hat weder sie noch ihr Mann uns gerufen? Das sind durchaus belastende Momente … Andererseits, … welches Motiv sollten sie für eine solche Tat haben?«

      Eine Weile hingen die beiden ihren eigenen Gedanken nach. Als vom Flur her Dorseys lautes Schimpfen zu hören war, sahen sie gespannt zur Tür. Gleich darauf betrat er das Zimmer. »Was soll das, Chief Inspector?«, knurrte er zornig. »Sie behandeln mich wie einen Verbrecher! Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass ich unsere Hausangestellte getötet habe, oder?«

      »Hat jemand davon gesprochen, dass Ihre Bedienstete umgebracht wurde?«, hakte Primes sofort ein. »Haben Sie sie vielleicht untersucht?«

      »Natürlich … nicht!«, erklärte Dorsey hastig. »Und ich protestiere aufs Schärfste … gegen Ihr Verhör und vor allem gegen die Anwesenheit dieses Herren, Mr. Hadley!« Er deutete auf Bradley.

      »Colin Bradley!«, korrigierte dieser umgehend.

      »Scotland Yard sollte derartige Vorfälle lieber verhindern, anstatt angesehene Bürger zu verdächtigen!«, erwiderte Dorsey bissig. »Ich habe eine Reputation zu verlieren!«

      »Wollen Sie eine mitrauchen?«, fragte Primes beiläufig und reichte dem Arzt seine Schachtel hin, aber Dorsey, der vor dem Tisch stand, lehnte ab. »Ach, Sie müssen entschuldigen, ich vergaß, dass sie ja nur ›Abdullas‹ rauchen, nicht wahr, Mr. Dorsey?« Primes sah ihn dabei voll an, griff in die Anzugtasche, zog das Etui hervor und hielt es ihm unter die Nase.

      »Woher haben Sie das? Es gehört mir!«, reagierte der Psychiater barsch. »Geben Sie es her!«

      Hatte er damit gerechnet das Etui zurückzubekommen sah er sich getäuscht, denn Primes steckte es wieder ein und trat dicht vor ihn hin. »Sie waren als letzter mit Ihrer Bediensteten zusammen, und Sie haben eine filterlose ›Abdulla‹ geraucht … eine ›Flower of Virgina‹, um genau zu sein. Als Mr. Bradley kam, versteckten Sie sich und flohen anschließend!« Primes sprach in einem ausgesprochen scharfen Ton und verfolgte die Reaktion seines Gegenübers. »Ihr Verhalten erscheint seltsam, wie Sie wohl selbst eingestehen müsse, Mr. Dorsey!«

      Bei jedem seiner Worte steigerte sich sichtlich Dorseys Zorn. »Schweigen Sie auf der Stelle!«, tobte er schließlich los. »Ich bin von diesem Mann«, er wies auf Bradley, »hinterrücks überfallen worden! Und ich werde dies dem Kronanwalt Mitchell berichten, und dafür sorgen, dass man Leuten wie ihm, die des nachts in fremde Wohnungen eindringen, das Handwerk legt!«

      »Tun Sie, was Sie wollen, zunächst aber werden Sie mir antworten, Mr. Dorsey«, konterte Primes, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Sie täten gut daran, sich nicht zu widersetzen! … Was suchten Sie also in diesem Zimmer und in der Wohnung Ihrer Bediensteten überhaupt?« Seine Miene war so eisig, wie der Ton seiner Worte.

      »Ich habe mich versteckt!«, erwiderte Dorsey spöttisch.

      »Rauchend?«, lächelte Bradley zurück.

      In Dorseys Augen funkelte es gefährlich. Ehe er darauf etwas erwidern konnte, setzte Primes nach: »Vor wem? Und schön der Reihe nach! Wann und warum kamen Sie in das Zimmer?«

      »Von mir erfahren Sie nichts mehr, Chief Inspector!«, schnaufte der Psychiater. »Und ich verspreche Ihnen: Ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihren Posten verlieren!«

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