Das Dorf Band 18: Utopia. Karl Olsberg
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Chili, die Bäuerin, die mit Boküs zu Besuch war, entdeckt sie als erste. Doch anstatt sie zu begrüßen, rennt sie zu einer Glocke, die an einem Gestell neben einem Baum hängt, und läutet wie wild.
„Alarm, Alarm!“, ruft sie. „Eine Hexe! Eine Hexe greift an!“
Ruuna sieht sich verdutzt um. „Echt jetzt? Wo denn?“
Boküs und einige der anderen Dorfbewohner kommen angelaufen. Auch der Dorfgolem trabt mit schweren Schritten auf die Neuankömmlinge zu. Seine Augen glühen rot vor Zorn.
„Halt!“, ruft Primo und hebt die Arme. „Wir tun euch doch nichts! Ich bin Primo aus dem Dorf am Rand der Schlucht. Und das sind Willert und Ruuna. Sie ist zwar eine Hexe, aber ganz harmlos!“
„Quatsch!“, krächzt Robinson auf Ruunas Schulter. „Volle Deckung! KAWUMM!“
„Sie hat ein sprechendes Huhn auf der Schulter!“, ruft einer der anderen Dorfbewohner. „Bestimmt ist das ein friedlicher Dorfbewohner, den sie verhext hat! Rette sich, wer kann!“
Er rennt davon, doch die übrigen kommen neugierig näher.
„Ah, Primo“, ruft der Dorfpriester. „Ihr kommt unerwartet. Es tut mir leid, aber wir ’aben noch nischt fertig gekocht das Essen.“
„Das macht nichts“, meint Primo. „Wir sind bloß hier, um euch nach ein paar Rezepten zu fragen.“
Boküs macht ein finsteres Gesicht. „Rezepte? Du willst meine Rezepte?“
„Ja“, bestätigt Primo. „Dann könnten wir uns nämlich einen neuen Golem ...“
„Niemand bekommt meine Rezepte!“, unterbricht ihn Boküs und fuchtelt zornig mit den Armen. „Isch bringe eusch gerne bei die Grundlagen des Kochens, aber meine Rezepte sind ge’eim. Nur Boküs kocht, wie Boküs kocht! Und jetzt geh und sag diesem aufgeblasenen Wischtigtuer Magolüs, er kann gerne ’erkommen und meine wunderbare Essen kosten, wenn er sisch entschuldigt für seine Gemecker von neulisch.“
„Pah, wenn du uns deine Rezepte nicht verrätst, verrate ich dir meine auch nicht!“, sagt Ruuna.
Boküs runzelt die Stirn. „Rezepte? Von eine ’Exe? Kannst du denn über’aupt kochen?“
„Und ob ich das kann!“, erwidert Ruuna.
„Ehrlisch? Nun gut, dann kannst du es uns gleisch beweisen! Wir werden veranstalten eine Wettkochen, du gegen misch. Wer besser kocht, ’at gewonnen.“
„Gut“, sagt Ruuna. „Aber wenn ich gewinne, tauschen wir unsere Rezepte aus, einverstanden?“
„Einverstanden“, bestätigt Boküs. „Du ’ast keine Chance, ’exe! Isch werde dir kochen das perfekte Dinner! Du wirst se’en!“
„Ich weiß ja nicht“, meint Primo. „Eigentlich wollten wir doch bloß ...“
„Isch ’ab’s doch gewusst“, ruft Boküs. „Ihr macht eine Rückzie’er. Ihr seid Feiglinge!“
„Gar nicht wahr!“, erwidert Ruuna. „Die Wette gilt!“
Primo seufzt. Eigentlich wollte er ja zum Abendessen wieder zu Hause sein, aber daraus wird wohl nichts. Erst hat Ruuna im Wald herumgetrödelt und nun will sie auch noch an einem Kochwettbewerb teilnehmen. Andererseits mag er gegenüber dem arroganten Boküs nicht klein beigeben.
„Lass nur“, meint Willert. „Dieser Priester kann bestimmt nicht so gut kochen wie meine Ruuna. Und wenn er verliert, muss er uns die Rezepte geben, deretwegen wir hergekommen sind, und wir können wieder nach Hause gehen. Und außerdem, was soll bei einem Kochwettbewerb schon schiefgehen?“
5. Ausgekocht
Unter der Regie der Bäuerin Chili werden auf der Wiese neben der Kirche Tische und Bänke aufgebaut, während sich die beiden Kontrahenten an die Vorbereitung ihres Essens machen. Boküs legt auf einem Tisch neben dem Ofen, der rasch im Freien zusammengebaut wurde, sorgfältig seine Zutaten zurecht: Frisches Rindfleisch, Gemüse, Brot und Gewürze. Ruuna hingegen hockt im Gras. Um sich herum hat sie Fläschchen mit Flüssigkeiten in allen Farben und zahllose Zutaten ausgebreitet: Mehl, Zucker, Eier, Honig, verschiedene Sorten Pilze, fermentierte Spinnenaugen, verfaultes Nachtwandlerfleisch und andere Leckereien. Für Primo sieht es so aus, als ob sie einfach planlos von allem etwas in den großen Topf wirft, der auf einem Lagerfeuer neben ihr steht.
„Uh, oh“, krächzt Robinson, der über dem Topf im Kreis herumflattert. „Das geht bestimmt daneben!“
Von Boküs’ Kochstelle verbreitet sich ein angenehmer Duft von frisch geröstetem Fleisch, untermalt mit dem Aroma frischer Kräuter. Primo würde das Wasser im Munde zusammenlaufen, wenn da nicht die dicke schwarze Qualmwolke wäre, die aus Ruunas Topf aufsteigt und einen üblen Geruch verströmt.
Boküs wirft einen verächtlichen Blick zu ihr und grinst siegesgewiss.
„Jetzt müsste es eigentlich gleich gut sein“, meint Ruuna, während sie die stinkende Brühe umrührt und noch etwas schwarzes Pulver hinzugibt. „Nur noch eine Prise meiner Spezialzutat, und ...“
KAWUMM! Eine gewaltige Explosion wirft die Hexe und alle Umstehenden zu Boden.
„Ding Dong! Alarm! Alarm!“, kreischt Robinson.
„Ups, das war wohl etwas zu viel Knallpulver“, meint Ruuna. „Na egal, dann backe ich eben einen Kuchen.“
„Willst du unser Dorf in die Luft jagen, ’Exe?“, schimpft Boküs. „Isch glaube, du bist die schleschteste Köschin aller Zeiten! Isch schlage vor, du gibst auf!“
Primo findet das keine schlechte Idee, doch die Hexe denkt gar nicht daran.
„Mir ist doch bloß ein Topf explodiert“, sagt sie. „Sowas passiert jedem guten Koch hin und wieder. Da ist doch nichts dabei!“
Unverdrossen sammelt sie ihre Zutaten ein, die überall auf der Wiese verstreut liegen, knetet sie zu einem zähen graubraunen Teig und formt daraus einen Kuchen. Als Boküs den herrlich duftenden Braten aus dem Ofen holt, schiebt Ruuna die klebrige Masse hinein.
„Den gibt es zum Nachtisch“, verkündet sie.
Alle Dorfbewohner setzen sich zum Festmahl. Da Boküs nur einen Braten für das ganze Dorf und die Gäste gemacht hat, bekommt jeder nur ein winziges Stückchen auf seinen Teller.
„Meine Kusine Nuwell sagt immer: Weniger ist mehr!“, erklärt Boküs dazu.
Primo betrachtet missmutig den winzigen Happen auf seinem Teller, der immerhin mit etwas Gemüse hübsch angerichtet ist. Noch weniger geht wohl nicht. Doch als er das Stück Fleisch in den Mund steckt, stockt ihm der Atem. Das schmeckt sogar noch besser als die Spezialitäten, die Boküs bei seinem Besuch mitgebracht hatte.
„Das ist wirklich köstlich!“, ruft er aus.
Die anderen stimmen ihm begeistert zu. Auch Ruuna äußert sich lobend: „Schmeckt fast so gut wie der Sumpfspinnenpudding, den ich früher immer gekocht habe.“
Boküs macht ein finsteres