Als Erich H. die Schule schwänzte. Hans-Georg Schumann

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Als Erich H. die Schule schwänzte - Hans-Georg Schumann

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ohne dass Erich es bemerkt hatte.

      »Herr Hoofeller! Was ist?«

      Jetzt nannte diese dumme Person auch noch seinen Namen. Soll sie doch gleich bei der Zeitung anrufen, damit es dort morgen drinsteht: »Hoofeller, Lehrer einer Gesamtschule, schwänzt den Unterricht.«

      »Was ist?«, hörte er noch einmal die Frage und erkannte die Stimme seiner Schülerin.

      »Alles in Ordnung!«, beeilte er sich zu sagen, und wiederholte noch einmal: »Alles in Ordnung!«

      »Sie waren wohl weggetreten?«, fragte Hülya.

      Und Erich nickte. »Ja«, erwiderte er, »irgendwie war ich weggetreten.«

      »Ist ja auch kein Wunder, denn als Lehrer haben Sie bestimmt noch nie geschwänzt«, meinte Hülya und lächelte ihn verschmitzt an, »Jetzt wissen Sie, wie das ist. Und sind auf den Geschmack gekommen.«

      Schnell schüttelte Erich den Kopf. »Nein«, sagte er, »ganz gewiss nicht!«

      »Aber warum sind Sie denn heute nicht in der Schule?«, fragte sie und schaute ihn an.

      Er zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich bin heute Morgen zur Schule losgefahren, wie immer. Aber ich bin dort nicht angekommen.«

      Hülya blickte ihn verwirrt an: »Wie? Sie hätten doch bloß bei der Schule anhalten und aussteigen müssen. Versteh ich nicht. Haben Sie sich verfahren?«

      »Gewissermaßen«, nickte Erich.

      »Aber warum sitzen Sie jetzt hier. Warum haben Sie sich krankgemeldet? Warum schwänzen Sie?«

      »Ich weiß es nicht«, seufzte Erich, »ich weiß es wirklich nicht.«

      Er schwieg einen Moment. Und auch Hülya wusste offenbar nichts zu sagen.

      »Eigentlich«, sagte Erich leise vor sich hin und richtete seinen Blick auf den Boden, »hätte ich sofort umkehren müssen. Eigentlich hätte ich längst von diesem Tisch aufstehen müssen. In die Schule fahren und meine Unterricht aufnehmen müssen. Eigentlich.«

      »Was heißt dieses Eigentlich?«

      »Ich hab’s nicht getan. Irgendetwas ist schiefgelaufen. Jahrelang hab ich meinen Job gemacht, jahrzehntelang. Und jetzt läuft etwas schief. Und ich weiß nicht was.«

      Als er aufschaute und Hülya ansah, erkannte er sofort, dass sie ihn nicht verstanden hatte. Und sie bestätigte das prompt: »Was? Ich verstehe überhaupt nichts von dem, was Sie da reden.«

      »Wie ist das, wenn du dich entschließt zu schwänzen?«, fragte Erich.

      »Ich tu es einfach«, erwiderte Hülya, »Ohne zu überlegen. Ich tu's.«

      »Hm«, machte Erich nachdenklich.

      »Sie doch auch«, meinte Hülya.

      Er brauchte einen Moment, um sie zu verstehen. Sie hatte recht: Er war doch ebenfalls spontan weitergefahren, hatte es einfach getan: geschwänzt.

      »Zahlen!«, rief er auf einmal, als er den Kellner sah.

      »Sie wollen gehen?«, fragte sie, »Wohin?«

      Als der Kellner kam, bezahlte er beide Getränke. Dann stand er auf.

      »Vielleicht nach Hause«, beantwortete er ihre Frage.

      Hülya erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl.

      »Und was tust du?«, fragte er.

      »Ich weiß es nicht.«

      »Wirst du morgen wiederkommen? Zur Schule, meine ich?«

      »Ich weiß es nicht«, sagte sie noch einmal.

      »Soll ich dich nach Hause fahren?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Meine Eltern denken doch, ich wäre in der Schule.«

      »Dumme Frage«, wollte er sagen, schluckte aber nur.

      Und auch den nächsten Satz sprach er nicht aus: »Willst du mitkommen?« Er wäre zu missverständlich gewesen. Wie konnte er, ein Lehrer, der die Schule schwänzte, eine Schülerin, die ebenfalls schwänzte, auffordern, mit zu ihm nach Hause zu kommen?

      Sofort ging ihm durch den Kopf, was die anderen wohl denken würden. Die Kollegen, Hülyas Mitschüler, die Öffentlichkeit, ihre Eltern, sie selbst.

      »Also dann tschüs!«

      Er schrak auf. Sie lächelte ihm zu und ging ein paar Schritte zurück. »Und Danke für den Drink!«, rief sie ihm zu und winkte noch einmal. Dann drehte sie sich um, ohne eine Reaktion von ihm abzuwarten.

      Erich sah ihr nach. »Ich war wohl wieder weggetreten«, sagte er leise zu sich.

      03

      Hülya hatte den ganzen Vormittag in der Innenstadt verbracht. War durch die Straßen geschlendert, hatte zahlreiche modische Klamottenläden besucht. Kleidung anprobiert, aber nichts davon gekauft.

      Geld war in ihrer Familie eher knapp. So hatte Hülya gelernt, sparsam damit umzugehen. Doch gucken und anprobieren kostete nichts.

      Viele ihrer Kleidungsstücke hatte sie selbst genäht. Eine Tante von Hülya war Schneiderin, hatte ihr das Nähen beigebracht. »Textil« war auch das einzige Fach, in dem sie eine Zwei oder eine Eins hatte.

      Hülya liebte bunte Stoffe. Sie hatte ihren eigenen Stil, daraus Kleider zu machen. Von dem, was bei den meisten ihrer Mitschülerinnen gerade angesagt war, hielt sie nichts. Hülya mochte keine Hosen, die nur knapp am Körper saßen. Oder Shirts, die zu kurz waren.

      Hülya war schlank, fast dünn. Hatte lange dunkelbraune Haare, meist hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. So war ihr Gesicht von vorn und von der Seite gut zu sehen. Dass sie von orientalischen Eltern abstammte, war unverkennbar: Ihr Vater Mahsun kam aus der Türkei, ihre Mutter Farida war im benachbarten Irak geboren. Beide waren Kurden.

      Ihre bisweilen eigenwillige Kleidung machte Hülya nicht zur Außenseiterin. Viele ihrer Mitschülerinnen schienen sogar eher beeindruckt zu sein, dass sie sich ihre eigene Mode schuf. Und die sich über ihre Kleidung lustig machten, waren vorwiegend Jungs.

      Freundinnen hatte Hülya keine. Jedenfalls nach ihren eigenen Maßstäben. »Gute Kumpels« nannte sie die Mädchen, mit denen sie meistens zusammen war.

      Was das Fehlen im Unterricht anging, hielt Hülya einen einsamen Rekord. Dennoch war ihre Versetzung nie gefährdet, immer kam sie irgendwie über die Runden. Bei den Klassenarbeiten war sie da und erreichte dort zumindest ausreichende Zensuren.

      Ihr häufiges Fehlen wurde durch die Mutter gedeckt. Hülya brauchte sie nur zu bitten, dann unterschrieb sie die Entschuldigungen. Die hatte Hülya selbst verfasst, manchmal auch auf Vorrat, das Datum fügte sie erst später hinzu.

      Wenn einige misstrauische

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