Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen

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Der Rote Kolibri - Alexander Jordis-Lohausen

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      Kindheit

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       Es sind Bilder des Lichts und der Geborgenheit, Erinnerungen an eine glückliche, unbeschwerte Kindheit. Heute kennt niemand mehr den Namen des Dorfes am Mittelmeer, in dem ich sie verlebte. Seine Häuser sind verlassen und verfallen. Nur Möwen nisten noch in den Ruinen. Und doch liegt es nur wenige Meilen von der großen Hafenstadt Marseille entfernt.

       Man schrieb das Jahr 1704. In Versailles herrschte noch der alte König Ludwig XIV. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden.

       Unser Dorf lag wie Schutz suchend an hohe Felsen geschmiegt, die das Land wie eine Tausend-Klafter-Mauer gegen die Brandung aufgebaut hatte. An dieser Stelle ragte auch eine Felszunge schräg ins Meer hinaus und bildete einen natürlichen, kleinen Hafen, der Strand und Dorf und den Booten bei Unwetter Schutz gewährte. Etwa ein Dutzend kleiner Hütten standen dort, aus Stein fest gefügt und mit runden Ziegeln gedeckt. Ihre Türen und Fenster waren blau, grün, rot oder gelb angemalt und sahen fröhlich in die Welt hinaus. Wir gehörten, meine Eltern und ich, einer kleinen Gemeinschaft von Fischern an, in der jeder jedem half und aller Gewinn gleich und gerecht verteilt wurde. Das war meine Welt. Dort lebte ich glücklich von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Ich kannte und brauchte keine andere. Und über die Zukunft machte ich mir keine Gedanken.

       Ich erinnere mich noch lebhaft an jenen Tag, an dem sich alles änderte. Es war ein klarer, sonniger Spätsommermorgen. Doch lag etwas Bedrohliches in der Luft. Gelegentliche starke Böen kündigten an, dass wohl noch vor Ende des Tages ein Sturm zu erwarten sei. Fast alle Frauen und Kinder waren über den schmalen Pfad auf die Felszunge hinausgestiegen, von wo aus sie ihre Männer vom nächtlichen Fischfang zurückerwarteten.

       Nur meine Mutter und ich waren zurückgeblieben, denn es war der Tag, an dem sie für die ganze Woche Brot buk. Mutter hatte schon frühmorgens den Teig in einer großen, irdenen Schüssel angerührt und geschlagen, nun stand er mit einem weißen Tuch bedeckt in der Sonne, um zu gehen. Meine Aufgabe war es, am Strand Treibholz zu sammeln, es klein zu machen und in der Feuerstelle aufzuschichten. Unseren einfachen Backofen hatte Vater erdacht, als er seinerzeit unser Häuschen mit Hilfe der anderen Fischer Stein auf Stein zusammenfügte. Die Feuerstelle war durch eine Öffnung in der Außenwand zugänglich und heizte von unten eine Ziegelplatte, über die sich wie eine kleine Kuppel der eigentliche Backofen wölbte, doch der öffnete sich zum Inneren des Hauses hin. So bleiben alle Asche und aller Rauch draußen, und nur der Duft des frisch gebackenen Brotes erfüllte die Stube. Mutter war sehr stolz auf Vaters Erfindung. Einige Fischer hatten sie bei sich sofort nachgeahmt, denn jeder buk sein eigenes Brot.

       Um kostbares Holz zu sparen, musste der Ofen zu einer ganz bestimmten Zeit angezündet werden. Weder zu früh noch zu spät durfte er heiß werden. Ich saß also vor dem Feuerloch und wartete auf Mutters Zeichen. „Mach’ Feuer, Sebastian!“ rief sie mir aus dem Hause zu. Ernst, als sei ich der Dorf-Älteste bei einer wichtigen Zeremonie, entzündete ich das trockene Gras, das zu unterst lag. Bald loderte es im Feuerloch und schlug mir heiß entgegen. Jetzt hieß es, das Feuer bei gleichmäßiger Stärke zu unterhalten. Ein Stück Holz nach dem anderem verschwand im feurigen Schlund. Ich hatte meiner Mutter oft genug bei dieser Arbeit geholfen, um zu wissen, wie das Holz zu liegen hatte, um am stärksten zu brennen, wann mit dem ledernen Blasbalg nachzuhelfen, und wie sprühende Funken zu vermeiden seien. „Das ist kein Spiel, Sebastian, das ist Verantwortung!“ hatte Mutter mir immer wieder eingeschärft.

       Dass ich dennoch das Gesicht und die Hände bald voller Ruß hatte, war nicht zu ändern und erstaunte niemanden. „Das hast du gut gemacht!“ sagte meine Mutter, als ich nach verrichteter Arbeit in die Stube kam. Ich liebte meine Mutter über alles und hielt sie für die schönste Frau, die es jemals gegeben hat. Sie hatte ein junges, fröhliches Gesicht, und ich glaube, ich hatte sie, trotz unseres harten Lebens, nie traurig gesehen. Ihr langes kastanienrotes Haar glänzte in der Sonne und ihre großen, grünen Augen lachten mich an.

      „Aber los jetzt! Ins Wasser mit dir! Du siehst ja aus wie ein Schornsteinfeger! Bleib nicht zu lange -- Vater und die anderen werden bald zurück sein.“

       Ich lief über den Strand ins Wasser hinein. Kleider hatte ich außer einer kurzen Leinenhose keine und diese wurde bei solchen Gelegenheiten gleich mitgewaschen. Das Hafenbecken war spiegelglatt und klar. Jeden Stein und jede Muschel konnte ich am Grund sehen. Auf den Felsen gegenüber schwenkten die Frauen des Dorfes ihre Tücher. Ich hörte ihre Rufe und wusste, nun würden die Fischerboote bald in den Hafen einfahren. Ich tauchte unter. Das Wasser war erfrischend kühl nach dem heißen Feuer. So gut es ging, wusch ich mir im salzigen Wasser den Ruß und die Asche von der Haut und schwamm dann auf die andere Seite hinüber.

       Schwimmen hatte mir Vater schon früh beigebracht. Es war mir nicht schwergefallen, verbrachte ich doch während der Sommermonate fast mehr Zeit im Wasser als am Land. „Ein Fischer muss schwimmen können!“ sagte Vater immer. Er selbst war ein sicherer Schwimmer, was ihm einmal bei einem Schiffbruch das Leben gerettet hatte. Doch auch hier hatte er andere, neuere Ideen als die anderen, insbesondere die älteren Fischer, die dieser Beschäftigung äußerst misstrauten. „Wir sind doch Fischer und keine Fische!“ pflegten sie zu sagen. Mir hatte dieser Ausspruch lange Zeit Angst gemacht. Ich war überzeugt, mir würden Flossen wachsen und ich würde mich nach und nach in einen Fisch verwandeln, wenn ich zu lange im Wasser bliebe.

       Doch an jenem Tag bedrückten mich solche Gedanken nicht mehr. Vergnügt schwamm ich quer über die kleine Bucht. Ich war gerade auf die ersten Klippen geklettert, als die kleine Flotte plumper Holzboote mit ihren farbigen Dreieckssegeln in den Hafen einfuhr. Ein vielstimmiger Chor von Rufen und Gegenrufen begleitete die Heimkehrer. Die allgemeine Heiterkeit deutete auf einen reichen Fang. In jedem Boot saßen zwei, manchmal drei Männer. Vater arbeitete mit einem alten Fischer zusammen. Ich winkte ihm zu, aber ich glaube nicht, dass er mich sah. Er war damit beschäftigt, das Segel herunterzulassen und dann das letzte Stück der Fahrt mit einem langen Ruder zu bewältigen.

       Inzwischen war das ganze Dorf bei den Booten zusammengelaufen. Die einen klaubten die Fische in große Weidenkörbe, die anderen hängten die Netze auf die Pfosten, die tief in den Sand geschlagen waren. Um vor dem Sturm in Sicherheit zu sein, wurden die Boote dann auf jeweils zwei Rundhölzern hoch auf den Strand hinaufgerollt und dort festgemacht. Überall herrschte Tätigkeit, bei der vom Kind bis zum Greis, jeder seine Aufgabe hatte.

       Als alles gerichtet war, trugen die Männer die schweren Körbe voll glänzender Fische hinauf zur kleinen Steinkapelle. Dort stellten sie sich im Halbkreis drum herum und der Dorf-Älteste sprach die heiligen Worte, segnete die Gabe Gottes, und jeder betete sein eigenes Gebet.

       Nach der Rückkehr vom Fischfang gab es bei uns zu Hause Frühstück, auf das ich mich immer besonders freute. War der Fang reichlich ausgefallen, durfte Mutter einen Fisch braten, dazu gab es eine Scheibe Brot, das ja heute ganz frisch und heiß aus dem Ofen kam und ein Stück Ziegenkäse.

      “Da bist du ja, Sebastian.“ rief Vater, als er zum Frühstück heraufkam. Er hob mich mit seinen starken Armen hoch über seinen Kopf in die Luft. Mein Vater hatte ein braun wie Leder gegerbtes Gesicht von blondem Haupthaar und Bart umrahmt. Seine blauen Augen sahen zuversichtlich und neugierig in die Welt. “Solchen Augen und solchen Händen

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