Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen
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„Ich heiße Nikolaus und bin der Schiffszimmermann. Ich soll dich in alles Nötige einweisen, und dich dann zum Capitán bringen!“ Und er sagte und tat es mit einer Herzlichkeit, die mir wohltat. Denn ich war mir plötzlich nicht mehr ganz so gewiss wie in der Sicherheit meines Dorfes, ob ich da wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
„Der Capitán“, erklärte mir Nikolaus, „stammt aus den spanischen Niederlanden und ist dort in der Tradition des Kampfes gegen die Spanier aufgewachsen. Sein Großvater war Wassergeuse8 gewesen. Er selbst ist schon jung als Seeräuber zur See gefahren, erst im Ärmelkanal und jetzt im Mittelmeer. Er hat es auch hier hauptsächlich auf die Spanier abgesehen. 'Die werden wir rupfen, solange Federn vorhanden sind', hat er mir mal gesagt. Wie viele spanische Handelsschiffe haben das zu spüren bekommen! Doch hat er es im Laufe der Jahre mit dem Unterschied zwischen spanischen und anderen christlichen Handelsschiffen nicht so genau genommen. Daher verfolgen sie uns nun fast alle, die Spanier, die Venezianer, die Neapolitaner, die Genuesen, … Sie haben uns aber bisher nicht erwischt. Die Spanier nennen ihn Capitán Diablo9, und unter dem Namen ist er im ganzen Mittelmeer bekannt.“
Damit ließ er mich vor der Kajüte des Capitán auf dem Achterschiff allein. Ich klopfte an und trat ein. Ein prunkvoll geschmückter Raum. Alle Möbel waren aus wertvollem Holz und hätten eher in ein Schloss gepasst als auf ein Seeräuberschiff. Der Capitán saß kerzengrade hinter einem einfachen, aber eleganten Schreibtisch und musterte mich. Er hatte ein langes Gesicht mit einer großen Hackennase, sauber gestutztem Schnurrbart, Spitzbart und Allongeperücke. Er war in Samt und Seide gekleidet mit weißem Spitzenkragen. Man wäre versucht gewesen, ihn für einen Edelmann zu halten, wenn nicht eine schwarze Augenklappe sein fehlendes linkes Auge bedeckt und eine breite rote Narbe sich vom rechten Ohr über den Mund bis zum Kinn hinabgezogen hätte. So glich er letztlich doch eher einem jener unheimlichen Unholde aus den Märchen.
„Du bist Sebastian, der neue Schiffsjunge! Ich frag dich nicht, warum du unter die Seeräuber gehen willst. Hier hat jeder das Recht auf seine Vorgeschichte. Die geht mich nichts an.“ sagte er derb, aber nicht unfreundlich. Ich war enttäuscht, denn ich hätte ihm gerne von meinem Rachegrimm auf die Pfeffersäcke erzählt. Aber er war offensichtlich nicht interessiert. Dagegen fuhr er fort:
„Ich will dir auch keine goldenen Berge versprechen. Dagegen will ich dir gleich eins sagen, und schreib es dir hinter die Ohren: erstens, dieses Schiff ist kein Fischerboot, die Fische, die wir fangen, können gefährlich sein und wir werden nicht zimperlich mit ihnen umgehen. Wenn du dazu nicht den Mut hast, ist es besser, du schiffst dich gleich wieder aus!“ Ich nickte.
„Zweitens, hier sind alle gleich, aber dennoch kann nur einer befehlen, und auf diesem Schiff befehle ich! Ich erwarte unbedingten Gehorsam von dir! Verstanden?“
Ich nickte.
„Du siehst mir intelligent aus. Wenn du dich an diese Regeln hältst, wirst du es nicht bereuen. Bis auf weiteres wird dich Nikolaus einweisen.“ Ich schwieg.
„Und noch etwas! Du scheinst nicht unnötig redselig zu sein. Das ist gut! Denn was immer ich dir zu sagen habe, geht nur dich und mich an! Verstanden?“ Ich nickte wieder.
„Und was bekomm ich von dir, Kapitän?“ wagte ich zu fragen
Dem Capitán blieb erst mal der Mund offen, so sehr schien ihn meine Frage zu verblüffen.
„Du hast wohl einen Sparren zu viel oder zu wenig, du Grünschnabel! Glaubst du vielleicht, wir sind in einem Krämerladen? Du kannst von Glück sagen, dass ich dich überhaupt aufgenommen habe. Protektion kriegst du von mir, hörst du? Meine Protektion! Und wenn dir das nicht genügt, kannst du noch heute wieder von Bord gehen!“ schnaubte er wütend.
„Ich gebe dir sechs Monate Probezeit, wenn du die nicht bestehst, wirst du bei nächster Gelegenheit wieder ausgesetzt. Und jetzt verschwinde!“
Nikolaus nahm mich vor der Kajüte des Capitán wieder in Empfang. Er stellte keine Fragen.
„Ich werde dir jetzt deine fürstlichen Gemächer zeigen.“ meinte er lachend und stieg mit mir hinunter ins erste Zwischendeck10.“ Hier wirst du deine süßen Träume träumen!“
Aber ich sah nichts als eine niedere Balkendecke, unter der sich ein weiter offener Raum ausdehnte. Die Luft war stickig.
„Hier schlafen wir nachts in Kotzen oder Mäntel gehüllt. Einer neben dem anderen. Das hält warm. Einige haben auch Hängematten.“ Er lachte. „Du wirst dich schon dran gewöhnen! In der Früh wird alles weggeräumt, denn hier darf nichts im Weg sein, wenn wir „ran“ müssen! Manchmal haben wir hier auch Schafe oder Ziegen oder Federvieh „zu Gast“. Es stinkt dann noch ein wenig mehr, aber was tut man nicht alles für einen frischen Braten. Wir sind hier gerade unter den schweren Kanonen, die du oben auf dem Hauptdeck festgezurrt gesehen hast.“ Dann zog er eine kleine Flöte aus der Tasche, spielte eine Soldatenmusik und marschierte mit mir wieder die Treppen hinauf. Ich folgte etwas nachdenklich. Nikolaus, der wohl meine Gedanken erriet, fügte hinzu: „Hier an Bord haben nur der Capitán und der Steuermann eine eigene Kajüte.“ Ich sagte nichts, aber ich nahm mir vor, bald selbst Kapitän oder Steuermann zu werden.
„Man wird dir ein paar Daunen rupfen, mein lieber Sebastian.“ hatte mir Nikolaus gleich bei meiner Ankunft mitgeteilt. „Aber mach dir nichts draus, es gehört nun mal zu den Sitten dieses Schiffes, dass sich jeder Neuankömmling „taufen“ lassen muss.“
„Und was steht mir da bevor?“ fragte ich beunruhigt.
„Mit dem Pulver-Max musst du dich messen, ein Zweikampf, bei dem fast jeder ein paar Federn lässt, denn Pulver-Max ist der Stärkste der Mannschaft. Für die Mannschaft ist das jedes Mal ein lang erwartetes Heidengaudium. Und glaub’ mir, sie werden sehr genau beobachten, wie du dich hältst. Aber mach’ dir nicht zu viele Sorgen, mit dir wird der Pulver-Max nicht kämpfen wollen, bei Schiffsjungen ist eine Tracht Prügel üblich. Du kannst dich natürlich wehren, aber......“ Ich wusste wohl, was sein Achselzucken bedeutete. Ich begriff vor allem, dass dabei um meinen künftigen Ruf auf diesem Schiff gespielt würde. Und ich war nicht bereit, mich so leicht unterkriegen zu lassen.
Die „Schiffstaufe“, wie sie es nannten, ereilte mich schneller als ich dachte. Denn als wir vom Zwischendeck wieder aufs Oberdeck hinaufkamen, wartete schon die ganze Mannschaft auf mich. Um bei dem Schauspiel nicht im Wege zu stehen und um einen guten Überblick zu haben, hingen sie alle, wie ausgeschwärmte Bienen in den Wanten11 des Groß-12 und des Fockmasts13 und harrten gespannt, wie das Schauspiel diesmal ausgehen würde. Mich störte es, dass sie da alle hingen, denn dieser Weg nach oben hätte mir helfen können. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen.
Pulver-Max stammte, wie der Capitán, aus Flandern und war ihm mit Leib und Seele ergeben. Er war ein brutaler Draufgänger. Sein schwerer Körper wirkte trotz seiner Größe gedrungen, und seine Muskeln waren beeindruckend. Sein großer, runder Glatzkopf, seine dicken sinnlichen Lippen, zu einem siegesgewissen Grinsen gespalten, und seine Glupschaugen gaben ihm einen dummdreisten Ausdruck, der große Eisenhacken, der seinen linken Arm abschloss, einen unheimlichen.
Ich hatte Angst. Ihm widerstehen