Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen

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Der Rote Kolibri - Alexander Jordis-Lohausen

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bringen!“ sagte er schließlich, „Vielleicht hast du recht, denn hier kann ich nichts mehr ausrichten. In einem Jahr soll ich die Weihen empfangen, aber ich fühle mich schon lange nicht mehr dazu berufen. Aber was wird dein „gran capitano“ dazu sagen? Wird er mich aufnehmen wollen?“

      „Weißt du, bei den Seeräubern gibt es viele Muskeln und wenig Hirn. Wenn sich da einmal ein Hirn anbietet, das Klugheit und Überlegung mitbringt, dann wäre der Capitán dumm, es abzulehnen. Nur was wir eben an höheren Zielen besprochen haben, lass vorerst unser Geheimnis bleiben. Ich kenn unseren Capitán noch nicht gut genug, um zu wissen, wie er dazu steht.“

      „Es sei, kleiner Bruder!“ Ich jauchzte innerlich vor Freude. „Gebt mir ein anderes Gewand und ich trete bei Euch ein, solange ihr mich nicht zum Töten zwingt.“

       Gerade, als er das sagte, wurde unten am Strand ungeduldiges Geschrei laut: “ Kolibri! Kolibri!“

       Wir eilten beide den Felsenpfad hinunter, denn ich hatte wenig Lust hier zurückgelassen zu werden. Das Erstaunen war groß, als ich unten plötzlich mit einem jungen Mönch auftauchte, der noch dazu fragte, ob er bei uns eintreten könne. Ich hatte ein Risiko auf mich genommen. Würde das gut ausgehen? Doch ich hatte mich nicht geirrt, der Capitán besprach sich mit El Indio und sie kamen überein, meinen neuen Freund aufzunehmen.

      „Für euer Ave Maria und Laudate Dominum haben wir hier an Bord keine Verwendung und für ein Halleluja auch nur, wenn der Handelsmann die Flagge streicht. Aber wenn du Seekarten lesen kannst, wenn du von Berechnungen was verstehst, wenn du einen Sinn für Strategie und Verhandlungen hast, und vor allem, wenn du bereit bist, dich meinen Befehlen zu unterwerfen, dann kann ich dich gebrauchen!“ sagte der Capitán. Damit waren sie einig geworden. Und zum Töten wolle man ihn auch nicht zwingen.

       Mein großer Bruder wurde wegen seines Wissens und seiner Klugheit bald von allen Bruder Salomon genannt. Und man sah ihn immer häufiger im Gespräch mit dem Capitán oder in dessen Kajüte über Seekarten oder Schriftstücke gebeugt.

       Dennoch hat Bruder Salomon immer Zeit gefunden, mich mit echter Zuneigung, unter seinen Talar zu nehmen, wie er es nannte, um mich zu hobeln und zu rülpen, mir gute Manieren beibringen und aus mir einen „Studierten“ zu machen. Ich war wissbegierig und bin daher gerne darauf eingegangen. Denn nicht lesen und schreiben zu können, kam mir in dem Kampf gegen die reiche, ungerechte Welt als ein großer Nachteil vor.

       So saß ich denn in den nächsten Monaten in den Stunden, in denen ich nicht auf Deck die Planken schrubbte oder oben in den Rahen hing oder mit dem Perspektiv39 im Hosenbund hinauf in den Ausguck kletterte, oder sonstige Dienste verrichtete, mit Bruder Salomon zusammen, um Buchstabe für Buchstabe und Wort für Wort in jene hohe Kunst des Lesens und Schreibens einzudringen. Es tat sich mir damit eine ganz neue Tür auf, hinter der eine unendlich weite Welt zu liegen schien. Meist allerdings kam ich erst nach der anstrengenden Arbeit an Bord dazu. Mehr als einmal war ich drauf und dran, aus Erschöpfung und Ärger alles hinzuwerfen. Doch Bruder Salomons freundlich-herausfordernde Art hielt mich immer wieder bei der Stange, weil ich ihm zeigen wollte, dass ich trotz seiner vorgeblichen Zweifel triumphieren und ihn Lügen strafen würde.

       Er wusste, was er tat und ich habe Bruder Salomon zu verdanken, dass ich nicht nur Schreiben und Lesen gelernt, sondern in den darauffolgenden Jahren in unzähligen Gesprächen viel Kenntnis gesammelt habe über Literatur, Geschichte, Kunst und Philosophie, vor allem aber auch über die Menschen und ihr Zusammenleben. Kurz, ihm verdanke ich fast all meine Bildung und damit auch die Fähigkeit, später in einer Welt gelassen aufzutreten, die mir sonst fremd geblieben wäre.

       Bruder Salomon besaß die herrliche Gabe sich auch für die unscheinbarsten Dinge zu interessieren und zu begeistern, ihnen nachzuforschen und sie lebendig werden zu lassen. Ich habe in der Folge versucht, mir diese Gabe zu eigen zu machen, als ich merkte, wie sehr sie das Leben bereichert.

       In all der Zeit hat mein Streben nach Gerechtigkeit und nach Rache an Zeck und all den Pfeffersäcken nicht nachgelassen. Das gab mir Kraft. Bruder Salomon, dagegen, der einmal stark an etwas geglaubt und diesen Glauben verloren hatte, war ein unverbesserlicher Skeptiker. Wir waren daher auch nicht immer einer Meinung, aber das hat unsere Freundschaft nie getrübt. Im Gegenteil, es hat mir geholfen, meine eigenen Vorstellungen neu zu überdenken, sie klarer auszudrücken und meine Sicht der Welt im Einzelnen deutlicher werden zu lassen. Doch irgendwann genügte es mir dann nicht mehr, mich nur mit Gedanken auseinanderzusetzen. Ich drängte darauf, sie auch in die Tat umzusetzen, um zu prüfen, ob sie der harten Wirklichkeit standhalten würden. Bruder Salomon begleitete mich auch dabei mit seinem Rat. Kurz, unser brüderliches Verhältnis hat sich mit der Zeit zu einer echten Freundschaft entwickelt. Gemeinsam besprachen wir unser Streben und lebten es später aus, wobei er meist die denkend-vorbereitende Rolle übernahm, ich die handelnd-organisatorische. Wir ergänzten einander trefflich.

       Nikolaus hat sich sehr schnell an Bruder Salomon gewöhnt und ihn als einen wertvollen Ratgeber anerkannt, aber richtige Freunde sind sie nie geworden. Auch an meinem Unterricht und unseren Gesprächen wollte er nicht teilnehmen. „Ich dank dir, Kolibri! Aber weißt du, Lesen und Schreiben habe ich gelernt. Und mit hohen Gedanken konnte ich nie viel anfangen. Da bleib ich doch lieber bei meiner Flöte, die hilft mir über die Runden!“ hat er mir geantwortet.

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