Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen

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Der Rote Kolibri - Alexander Jordis-Lohausen

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Lichtsignalen von statten ging.

       Oben angekommen breitete sich eine liebliche Hügellandschaft vor mir aus. In der Ferne ein langgestrecktes Gebäude mit einer Kirche, davor vereinzelte Bauernhöfe. Sonst nur Felder, hier und dort ein paar Kiefern oder schlanke Zypressen. Die Sonne ging gerade auf.

      „Stell dich dorthin, wo du sowohl das Schiff als auch den Weg ins Hinterland überschauen kannst und ruf herunter, sobald jemand kommt, besonders, wenn es Zöllner oder Soldaten sind. Aber geh nicht zu weit weg!“ hatte Nikolaus mir eingeschärft. „Und vor allem sei unauffällig!“

       Ich strebte den Kiefern zu. Dort glaubte ich alles überblicken zu können.

       Als ich bequem gegen einen Stamm gelehnt auf den trockenen Kiefernnadeln saß, überkam mich langsam die Übernächtigkeit. Und bald schwebte ich wohlig zwischen Schlaf und Wachen. Doch plötzlich knackte es hinter mir und noch ehe ich aufspringen konnte, stand ein großer, schlanker Mönch vor mir. Er war vielleicht doppelt so alt wie ich, hatte ein hageres Gesicht mit spitzer Nase und ein verschmitztes Lächeln auf dem breiten schmalen Mund.

      „Wer kein Aufsehen erregen will, muss sehen ohne gesehen zu werden, piccolo capitano!“ sagte er spöttisch.

       Ich schwieg unwillig. Es ärgerte mich, dass ich mich hatte überrumpeln lassen, was zu verhindern ja gerade mein Auftrag gewesen war. Als er meine offensichtliche Bedrängnis sah, fuhr er fort:

      „Nimm es nicht so ernst! Ich werde euch niemandem verraten! Mach dir auch keine Sorgen, ich bin ganz allein. Ich gehe oft hier spazieren und habe euch nicht aufgelauert. Aber Geräusche steigen hoch, deswegen hört man oben alles, was unten am Strand gesprochen wird.“

      „Dann weißt du auch, wer wir sind?“

      „Du siehst zwar gar nicht danach aus, aber ich nehme an, dass ihr Schmuggler und Seeräuber seid.“

      „Warum sehe ich nicht danach aus?“

      „Nur so ein Eindruck. Es scheint mir, dass Mord, Totschlag und Reichtümer nicht deine Lebensziele sind.“

       Ich schwieg.

      „Ist es nicht so?“

       Er sah mich jetzt mit einem so freundlichen Lächeln an, dass ich mich entschloss, ihm zu erzählen, warum ich unter die Seeräuber geraten war. Ich hatte ja nicht viel zu verlieren. Diesen jungen Mönch, dachte ich, würde ich nie wiedersehen. Seine Frage kam mir sogar gelegen, denn ich wollte mir jetzt, nach ein paar Monaten auf See, mal wieder darüber klarwerden, ob ich wirklich auf dem Pfad war, den ich hatte einschlagen wollen. So schilderte ich ihm in allen Einzelheiten, wie es dazu gekommen war.

       Als ich geendet hatte, hockte er sich vor mir nieder und fasste mich freundschaftlich bei den Schultern.

      „Kleiner Bruder, wie gut ich dich verstehe. Ist es mir nicht ähnlich ergangen? Aber sag mir, befriedigt dich, was du nun erlebst?“

      „Kleiner Bruder“ hatte er gesagt. Wie oft hatte ich mir insgeheim einen großen Bruder gewünscht. Und nun stand da jemand vor mir, der mir sofort vertraut war, der mich sofort zu verstehen schien.

      „Ich weiß es nicht!“ antwortete ich ihm, „Es freut mich, meinen Freunden im Dorf und meinen Eltern das geben zu können, was sie schon lange hätten bekommen sollen. Aber stellt das wirklich Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit her?“

       Er lachte, setzte sich neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern.

      „Poverino! Du hast offensichtlich vom Leben noch herzlich wenig mitbekommen, sonst hättest du schon begriffen, dass es eine wahre Gerechtigkeit und eine wahre Freiheit in dieser Welt nicht gibt. Und Gleichheit ist sowieso eine Täuschung. Soll ich dich aus deinem Traum erwecken?“

       Ich wollte ihm widersprechen. Aber er fuhr ohne meine Antwort abzuwarten fort. Ich merkte, wieviel auch er auf dem Herzen hatte und jemandem anvertrauen wollte.

      „Schau mal, niemand ist dem anderen gleich und wird es nie sein, weder bei seiner Geburt noch später. Die einen werden reich geboren, die anderen arm, die einen klug, die anderen töricht, die einen böse und verschlagen, die anderen gut und ehrlich, die einen wollen führen, die anderen geführt werden et cetera. Wo kann da Gleichheit herrschen? Dagegen, hast du recht, alle Menschen sollten gleich behandelt zu werden, sollten die gleichen Rechte haben, aber auch das wird es in unserer Welt nie geben. Und selbst, wenn es das gäbe, würden die Menschen damit nicht alle gleich.“

       Ich wollte einwenden, dass doch in unserem Dorf alle Fischer gleich seien, aber er war schon beim nächsten Thema.

      „Und was Gerechtigkeit und Freiheit anbelangt, kleiner Bruder, kann ich dir aus meiner eigenen Erfahrung im Kloster sagen, dass unsere Freiheit beschränkt ist durch die Regeln, die jede Gemeinschaft für ihr Zusammenleben festlegt. Denn würde ein jeder in völliger Freiheit tun und lassen können, was er will, herrschte überall heilloses Chaos. Bedauerlicherweise sind diese Regeln nur zu oft durch die Belange der Mächtigen verzerrt. Das ist eine der Ungerechtigkeiten unserer Welt. Nimm meine Klostergemeinschaft als Beispiel. Sie steht auf der Seite der Reichen und Mächtigen, weil sie selbst reich und mächtig ist. Und ihre Freiheit und Gerechtigkeit kommt selten den Armen zugute. Schau dir doch die Bauern hier an“, -- und er machte eine Handbewegung in Richtung der Bauernhöfe vor uns, -- „die sind ebenso schlecht dran, wie die Fischer in eurem Dorf. Alles Land in dieser Gegend gehört dem Kloster. Die Bauern dürfen es bearbeiten, aber müssen dafür einen großen Teil ihrer jährlichen Ernte abliefern. Und das Kloster wird wenig unternehmen, um diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Dafür verspricht man ihnen das ewige Leben, aber davon werden sie nicht satt. Ich stamme aus einer dieser Bauernfamilien. Auch ich hatte gehofft, ich würde etwas für das Los der Bauern tun können, als ich in die Klostergemeinschaft eintrat. So wie du dir etwas Ähnliches erhoffst, seit du Seeräuber geworden bist. Durch Jahre habe ich studiert und viel gelernt. Dafür bin ich dankbar. Ich habe gebetet und gefastet und auch das hat mir gutgetan. Aber den Glauben an die Gerechtigkeit auf dieser Welt, den habe ich schon lange verloren. Deswegen gehe ich bisweilen hier oben auf den Klippen spazieren und träume von den Heldentaten, die ich nicht vollbracht habe. Und wenn ich könnte, gäbe ich noch heute das Klosterleben auf.“

       Er war ein guter Redner, der junge Mönch. Und es glühte ein Feuer in seinen Augen, das mir verriet, wie tief ihn berührte, was er mir eben anvertraut hatte.

       Wir schwiegen beide, wie erschöpft von einer großen körperlichen Anstrengung.

       Ich dachte nach. Ich wollte diesen klugen, großen Bruder nicht wieder verlieren. Gerade erst hatte ich ihn kennengelernt, aber schon war er mir fast unentbehrlich geworden. Natürlich liebte ich Nikolaus über alles. Doch das war anders, mit ihm konnte ich nicht so über meine Gedanken, Probleme und Pläne sprechen.

       Schließlich sagte ich und legte dabei schüchtern meine Hand auf die seine:

      „Hör zu, großer Bruder, ich habe Vertrauen zu dir. Wenn wir uns zusammentäten, könnten wir gemeinsam große Werke

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