Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen

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Der Rote Kolibri - Alexander Jordis-Lohausen

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gewarnt, er hatte mich überall eingeführt. Wir wurden sehr schnell Blutsbrüder. Ich hätte mit ihm das Herz im Leib geteilt, und wir wären, der eine für den anderen, durchs Feuer gegangen. Ich war dankbar in ihm jemanden gefunden zu haben, der gewillt schien, mir mit viel guter Laune über diese erste schwere und einsame Zeit hinwegzuhelfen, die nun meine Kindheit abgelöst hatte. Nikolaus stammte aus Deutschland, hatte in der stolzen freien Reichsstadt Frankfurt am Main das Zimmermannshandwerk erlernt. Doch die kleinen, schmalen Gassen zwischen den hohen prunkvollen Fachwerkhäusern um den Kaiserdom und um den Römer herum und die Unbeugsamkeit der Zunftregeln waren ihm bald zu eng geworden. Vielleicht war er auch noch vor etwas anderem auf der Flucht. Jedenfalls suchte er die weite, unbegrenzte Welt. Auf einem Frachtkahn erreichte er main-und-rheinabwärts Rotterdam. Zwei Jahre arbeitete er für einen Schiffsbauer, bis er dem Capitán über den Weg lief und ihm folgte. Nikolaus hatte nichts von jener schweren Ernsthaftigkeit, die man üblicherweise den Deutschen zuschreibt. Im Gegenteil, er schien fröhlich bis zur Leichtfertigkeit. Wo immer er auch war, trug er stets seine kleine Holzflöte bei sich, auf der er bisweilen spielte und dabei mit leichten Schritten herumtanzte. Man wusste nie, was für närrische Grillen ihm im Kopf herumgingen.

      „Das wird dich noch mal ins Verderben stürzen!", hatte ich ihm einmal gesagt, aber er hatte nur gelacht und geantwortet: „Je toller der Schnaps gebrannt, desto besser schmeckte er mir“. Erst langsam lernte ich sein zweites Gesicht kennen. Wenn er sich unbeobachtet fühlte und die Possenreißer-Maske von ihm abgefallen war, blickte eine unermeßliche Trostlosigkeit aus seinen Augen. Was für eine seelische Erschütterung er mit sich herum trug und wer sie ihm zugefügt, habe ich nie erfahren. Auch El Indio, der so manche Beichte wie in einem Grab in sich aufbewahrte, wusste es nicht. Nikolaus war ein paar Jahre älter als ich, aber ich hatte sehr bald das Gefühl ihn beschützen zu müssen, vor allem gegen sich selbst. In der Art, wie er das Schicksal herausforderte und dennoch überlebte, muss er ständig eine ganze Schar von Schutzengeln um sich gehabt haben. So war Nikolaus Fortunas närrischer und verzweifelter Eulenspiegel.

       Ein weiterer Reisegefährte meiner jungen Jahre, wenn auch weniger vertraut, war der Steuermann, den sie El Indio nannten. Eine schwere, wuchtige Gestalt, ein langsamer, sicherer Gang, unter glattem schwarzen Haupthaar ein breites flaches Gesicht, aus dem eine Hakenase und eine lange Meerschaumpfeife herausragten. Niemand wusste sein Alter, er hätte so alt wie Methusalem sein können. Sein Gesicht war von unzähligen Runzeln durchzogen. Doch war er noch stark wie ein Bär. Vor allem aber war er voll all der Seefahrtserfahrung und all der Seemannsgeschichten, die ein langes Leben auf den verschiedensten Schiffen und auf allen Weltmeeren mit sich bringt. Rau, aber menschlich, war er immer bereit den anderen der Gemeinschaft zu helfen, jedoch ließ er niemanden zu nahe an sich herankommen. Durch leichte Ironie hielt er Abstand. El Indio war wie ein ruhender Pol, ein unerschütterlicher Felsen in der Brandung inmitten dieser wild wogenden Seeräubergemeinschaft. Keiner wagte sich seiner Autorität zu widersetzen. Selbst der Kapitän behandelte ihn mit Achtung -- und nicht nur seiner seemännischen Kenntnisse wegen. Keiner wusste um seine Geschichte, noch was ihn zu den Seeräubern getrieben hatte. Man sagte, dass er aus den Amerikas stamme und ein Inka sei. Was das genau bedeutete, wusste niemand. Ich hatte vom ersten Moment an, da ich ihm als schmächtiger Halbwüchsiger auf Deck der Fortuna über den Weg lief und er mich mit einem freundlich-ironischen „Na, du Schrecken der Meere!“ begrüßte, eine verhaltene Zuneigung zu ihm gefasst, die er in gleicher Weise erwiderte. Darüber hinaus kam er meiner unbegrenzten Wissbegier mit Geduld und Nachsicht entgegen, sodass ich durch ihn in den nächsten Jahren -- meist eingebettet in die abenteuerlichsten Seemannsgeschichten -- mehr gelernt habe über Navigation, Wetterkunde, und Schiffe, und was man ihnen in Kampf und im Sturm zutrauen kann, als mancher, der sein Leben lang auf See gewesen ist.

       Mir wurde erst im Laufe der Zeit klar, dass El Indio nicht nur Steuermann, sondern auch Anführer der Mannschaft sei. So war denn auch das, was der Capitán mir über seine eigene Befehlsgewalt gesagt hatte, nicht ganz richtig. In Wirklichkeit war auf einem Seeräuberschiff der Kapitän zwar uneingeschränkter Befehlshaber im Kampf mit anderen Schiffen, die übrige Zeit jedoch war der Steuermann der eigentliche Herr an Bord. El Indio selbst erklärte mir, dass auf der Fortuna , wie auf den meisten Seeräuberschiffen, jeder Mann eine Stimme habe. Der Capitán sei von allen gewählt worden als der Fähigste, Prisen ausfindig zu machen, sie anzugreifen und Beute einzubringen. Wenn ein Kapitän aber dabei versagte oder sich als feige erwies, oder im Gegenteil, zu viel Risiko einging oder aus anderen triftigen Gründen, konnte er wieder abgesetzt oder sogar ausgesetzt werden. Wie ich später erfahren sollte, war El Indio dem Kapitän durchaus loyal, wenn auch nur bedingt untergeben. Und ich spürte sehr bald, dass er sich ständig gegen den Capitán zur Wehr setzen musste, um zu verhindern, dass letzterer allzu unumschränkt an Bord herrsche. Warum und wie diese zwei besonderen Männer sich auf diesem Seeräuberschiff zusammengefunden hatten und zu welchem Zweck, ist mir nie ganz klargeworden. El Indio hätte ohne Schwierigkeiten sein eigenes Schiff befehlen können. Aber das wollte er wohl nicht.

       Die Mannschaft stammte aus aller Herren Länder, vor allem aber aus den verschiedenen Gegenden des südlichen Europas. Es waren meist junge, aber schon erfahrene Seeleute. Was sie in die Seeräuberei getrieben hatte, konnte ich nur vermuten -- eine strafbare Tat und die Flucht vor Kerker oder Galgen, Bankrott oder nicht bezahlte Schulden, verwickelte Weibergeschichten, oder, wie bei mir, der Hass auf eine ungerechte Gesellschaft und die Genugtuung, die Gerichtsbarkeit jetzt selbst in die Hand nehmen zu können. Oder ganz einfach die Lust auf Abenteuer, auf die wilde Freiheit der Meere und vor allem auf reiche Beute. Die meisten von ihnen waren entweder von Kauffahrern oder von Kriegsschiffen zu den Seeräubern übergelaufen. Unser Leben an Bord war hart und gefährlich, aber noch angenehm im Vergleich zu der unmenschlichen und willkürlichen Behandlung, die sie auf den Handelsschiffen und noch schlimmer auf den Schiffen der königlichen Marine zu ertragen hatten, wo sie überdies meist gewaltsam zum Seedienst gezwungen worden waren.

       Es herrschte Solidarität unter den Seeräubern und strenge, meist ungeschriebene Regeln des Zusammenlebens. Alle waren gleich, wie in unserem Dorf und doch wieder ganz anders. Der Hauptanreiz des Seeräuberlebens war die Aussicht auf Beute. Jeder wusste, dass diese davon abhing, wie erfolgreich sie ihre Überfälle durchführten. Wenn auch nur einer nicht spurte, konnte alles schiefgehen und das konnte alle an den Galgen bringen. Denn wie vielen Seeräubern hatte man schon den hänfenen Kragen umgebunden.22

      Sicherlich war es nicht einfach, eine so wilde Horde zusammenzuhalten, ja ihr eine militärische Disziplin aufzuzwingen. Doch die gemeinsame Autorität von Capitán und El Indio, der eine mit eiserner Faust, der andere kraft seiner inneren Stärke, hatte die Mannschaft bisher in Zaum gehalten.

       Natürlich gab es in unserem bunten Haufen Nörgler und Besserwisser, denen es immer wieder gelang durch große Reden und Anspielungen einen Teil der Mannschaft aufzuwiegeln. Das waren hauptsächlich Caballo, der einbeinige Schiffskoch und Trompeter, ein Hansdampf in allen Gassen, ein verschlagener und doppelzüngiger Intrigant aus Neapel, sowie auch Pulver-Max, der allein auf Grund seiner Körperkraft einen Anhang unter der Mannschaft hatte. Je nach den Umständen und jeweiligen Interessen, arbeiteten die beiden zusammen oder gegeneinander. Caballo intrigierte gegen jedermann, wenn es seinen Absichten förderlich war, Pulver-Max hauptsächlich gegen El Indio, weil er meinte, ihm stünde der zweite Platz an Bord zu. Der Capitán und El Indio wussten das alles und hatten sie bisher in Schach halten können.

       Von den vielen Seeraubüberfällen, die ich während meiner Zeit im Mittelmeer mitgemacht habe, sind mir zwei besonders in Erinnerung geblieben. Der eine war mein allererstes Seeräubererlebnis überhaupt.

       Am Tage, nachdem wir die Anker gelichtet hatten, lag ich auf den Knien auf Deck und schrubbte die Planken. Ich hatte schlecht geschlafen und fühlte mich elend. Um mich herum waren alle Mann an der Arbeit – auf Deck, in den Masten und auf den Rahen, an den Kanonen.

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