Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen
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Plötzlich beugte sich Nikolaus zu mir herab und sagte.
„Hör‘ zu, Kolibri! Das wird dich aufheitern. Ich habe dir zuliebe ein neues Seeräuberlied erdacht und werde es dir singen.“
„Du wirst jetzt singen? Hast du denn keine Arbeit zu verrichten?“ fragte ich erstaunt.
„Das ist meine Arbeit, Kolibri. Auf vielen Schiffen, so auch auf der Fortuna, ist es üblich, daß ein Vorsänger bei der Arbeit Stimmung macht und ihr einen gewissen Rythmus gibt. Der Capitán hat diese Rolle mir übertragen und ich spiele sie gern. Sowohl das Singen, wie auch das Dichten und Komponieren von Liedern liegt mir. Also hör zu!“
Die Mannschaft hatte wohl schon darauf gewartet, denn die Gespräche waren verstummt. Mit einer hellen Tenorstimme begann Nikolaus zu singen.
„Füllt mir heute noch den Becher,
Bis zum Rande gut bemessen!
Trinkt mir zu, ihr alten Zecher,
Rot ist der Wein, süß das Vergessen.
Auf Verderb, auf Gedeih!
Wir sind vogelfrei!
Es gibt kein Quartier!23
Bald verrecken auch wir!“
Und laut schallend wiederholte die Mannschaft den Refrain und Nikolaus begleitete sie dabei auf seiner Flöte:
„Auf Verderb, auf Gedeih!
Wir sind vogelfrei!
Es gibt kein Quartier!
Bald verrecken auch wir!“
Nikolaus sang weiter:
Kommt Ihr Dirnen! Kommt Ihr Vetteln!
Heute huren bis zum Betteln!
Morgen wieder unter Segeln.
Kaufherrn Eisenkugeln kegeln.
Auf Verderb! Auf Gedeih!
Wir sind vogelfrei!
Es gibt kein Quartier!
Bald verrecken auch wir.
Gebt uns willig euer Gold!
Eine Kugel, wer nicht wollt.
Es „tanzt“ so mancher Pfeffersack,
Bis er in seinem Blute lag.
Auf Verderb! Auf Gedeih!
Wir sind vogelfrei!
Es gibt kein Quartier!
Bald verrecken auch wir.
Das Leben ist ein Kartenspiel.
Heute gar nichts, morgen viel!
Zum Teufel mit den Pfeffersäcken!
Mögen sie im Gold verrecken!
Auf Verderb, auf Gedeih!
Wir sind vogelfrei!
Es gibt kein Quartier!
Bald verrecken auch wir.
Nikolaus hatte kaum der Refrain beendet, als der Ausguck vom Mast herunterrief:
„Schiff in Sicht! Voraus Steuerbord Schiff in Sicht!“
Der Gesang brach sofort ab. Doch dauerte es noch eine gute Weile, bis man das Schiff an Deck ausmachen konnte. Der Capitán stellte fest, dass es ein Kauffahrer24 sei. Mehr konnte er auf diese Entfernung noch nicht sagen. Auf jeden Fall beorderte er alle Mann auf ihre Posten. Das hieß, dass die Kanoniere die Kanonen vorbereiteten, und sich der Rest der Mannschaft vollbewaffnet mit Musketen, Pistolen, Entermessern und Säbeln hinter der Verschanzung versteckt hielt. So wirkte unser Schiff nach wie vor friedlich und harmlos. Wir hatten noch keine Flagge gehisst. Auf Überraschung kam es an. Der Gegner musste zuerst in Sicherheit gewiegt werden. So hielt auch das andere Schiff weiterhin Kurs und kam fast gerade auf uns zu.
Von dieser ersten Begegnung auf See habe ich nicht alles gesehen, denn als Anfänger musste ich den „Pulverjungen“ abgeben, was mir gar nicht gefiel. Ich tröstete mich damit, dass Nikolaus mein Los teilte. Er stand in der Pulverkammer, tief unten im Schiffsrumpf, unter der Wasserlinie, und händigte mir die dort gelagerten Kartuschen25 aus. Soviel ich davon schleppen konnte. Im ständigen Trab brachte ich sie über die engen Treppen drei Decks höher zu den Kanonieren hinauf. Um gleich wieder runterzulaufen, neue zu holen, damit sie fürs nächste Laden bereitlägen. Als ich das erste Mal aufs Oberdeck zurückkam, hatten die Mannschaften schon die Mündungskappen26 der vierzehn Steuerbordkanonen abgenommen und waren gerade dabei, die Kanonen von ihren Zurrings27 zu befreien. Die Pforten28 waren noch geschlossen, um die Überraschung zu wahren. An jeder Kanone arbeiteten vier Mann, alle hatten Tücher um den Kopf gewickelt. Was ich anbrachte, wurde mir sofort aus der Hand gerissen. Ich sah noch, wie sie meine Pulverladungen wie Pfropfen in die Kanonenmündungen stopften und mit dem Ladestock tief hineinschoben, darauf folgte eine jener schweren Eisenkugeln, wie sie neben jeder Kanone aufgestapelt lagen. Dann trieb mich Pulver-Max unerbittlich wieder nach unten. Ich verstand, warum sie mich dafür ausersehen hatten, denn ich kam leichter und schneller durch die engen, niedrigen Durchgänge und Treppen unter Deck als ein ausgewachsener Mann. Aber es gefiel mir nicht. Auch ich wollte gegen die Pfeffersäcke kämpfen.
Als ich wieder hochkam, war das Handelsschiff schon auf Schussnähe herangekommen.
Die Fortuna hatte Farbe bekannt. Die Seeräuberflagge war hochgestiegen. Mit dem Sprachrohr forderte der Capitán den Kauffahrer auf sich zu ergeben. Aber das fremde Schiff schlug die Aufforderung in den Wind. Sie steckte die Blutfahne auf, das Signal zum Kampf.
"Der glaubt doch wohl nicht etwa, er könnte sich uns an den Hut stecken?" höhnte einer der Kanoniere.
"Na, dem werden wir wohl ganz ordentlich auf die Haube klopfen müssen." antwortete der andere.
Die Pforten wurden geöffnet und die schweren geladenen Kanonen auf ihren Lafetten29 mit Hilfe von Seilen, Hebeln und Taljen ausgefahren, in die richtige Schussposition gebracht und gezündet. Auf Befehl von Pulver-Max