Gebrüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen – Band 183e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Jacob Grimnm
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Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an vor sich hin zu reden: „Ach, wenn mir's nur gruselte; ach, wenn mir's nur gruselte!“ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm herschritt, und fragte: „Wer bist du?“ „Ich weiß nicht,“ antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: „Wo bist du her?“ „Ich weiß nicht.“ „Wer ist dein Vater?“ „Das darf ich nicht sagen.“ „Was brummst du beständig in den Bart hinein?“ „Ei“. antwortete der Junge, „ich wollte, dass mir's gruselte, aber niemand kann mir's lehren.“ „Lass dein dummes Geschwätz“, sprach der Fuhrmann, „komm, geh' mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe.“ Der Junge ging mit dem Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: „Wenn mir's nur gruselte: wenn mir's nur gruselte!“ Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: „Wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein.“ „Ach schweig still“, sprach die Wirtsfrau, „so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.“ Der Junge aber sagte: „Wenn's noch so schwer wäre, ich will's einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen.“ Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloss, wo einer wohl lernen könnte was gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, der's wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien; in dem Schloss steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären wohl hinein, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da ging der Junge am anderen Morgen vor den König und sprach: „Wenn's erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloss wachen.“ Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er: „Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und das darfst du mit ins Schloss nehmen.“ Da antwortete er: „So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer.“
Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloss, tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. „Ach, wenn mir's nur gruselte!“ sprach er, „aber hier werde ich's auch nicht lernen.“ Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hineinblies, da schrie's plötzlich aus einer Ecke: „Au, miau! was uns friert!“ „Ihr Narren,“ rief er, „was schreit ihr? Wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.“ Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprung herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten, und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie: „Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?“ „Warum nicht?“ antwortete er, „aber zeigt einmal eure Pfoten her.“ Da streckten sie die Krallen aus. „Ei“, sagte er, „was habt ihr lange Nägel: wartet, die muss ich euch erst abschneiden!“ Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. „Euch habe ich auf die Finger, gesehen“ sprach er, „da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel,“ schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden, schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, dass er sich nicht mehr bergen konnte; die schrien gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, fasste er sein Schnitzmesser und rief: „Fort mit dir, du Gesindel,“ und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die anderen schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wieder, gekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett: „Das ist mir eben recht,“ sprach er und legte sich hinein. Als er aber die Augen zu tun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Schloss herum. „Recht so,“ sprach er, „nur besser zu.“ Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab; auf einmal hopp hopp! warf es um, das unterste zu oberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte: „Nun mag fahren wer Lust hat“, legte sich an sein Feuer und schlief, bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre tot. Da sprach er: „Es ist doch schade um den schönen Menschen.“ Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach: „So weit ist's noch nicht!“ Da verwunderte sich der König, freute sich aber, und fragte wie es ihm gegangen wäre. „Recht gut“, antwortete er, „eine Nacht wäre herum, die zwei anderen werden auch herumgehen.“ Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen. „Ich dachte nicht“, sprach er, „dass ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?“ „Nein,“ sagte er, „es ist alles vergeblich; wenn mir's nur einer sagen könnte!“
Die zweite Nacht ging er abermals hinaus ins alte Schloss, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an: „Wenn mir's nur gruselte!“ Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann war's ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihm hin. „Heda!“ rief er, „noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig.“ Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und fiel die ändere Hälfte auch herab. „Wart'“, sprach er, „ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.“ Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren und saß da ein gräulicher Mann auf seinem Platz. „So haben wir nicht gewettet,“ sprach der Junge, „die Bank ist mein.“ Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sich's nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte: „Hört ihr, kann ich mit sein?“ „Ja, wenn du Geld hast.“ „Geld genug,“ antwortete er, „aber eure Kugeln sind nicht recht rund.“ Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. „So, jetzt werden sie besser schüppeln“, sprach er, „heida! nun geht's lustig!“ Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am anderen Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. „Wie ist dir's diesmal gegangen?“ fragte er. „Ich habe gekegelt,“ antwortete er, „und ein paar Heller verloren.“ „Hat dir denn nicht gegruselt?“ „Ei was“, sprach er, „lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüsste was Gruseln wäre?“
In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: „Wenn es mir nur gruselte!“ Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Da sprach er: „Ha ha, das ist gewiss mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist“, winkte mit dem Finger und rief: „Komm, Vetterchen, komm!“ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm an's Gesicht, aber es war