Bittersüß - davor & danach. Adele Mann

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Bittersüß - davor & danach - Adele Mann

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das, obwohl ich gerade noch seinetwegen weinen musste. Verrückt, aber es ist das, was ich will. Doch die vier Jahre zwischen uns, eine schmerzliche Trennung und das, was immer mit ihm passiert ist und ihn so verändert hat, halten mich davon ab. Ich sehe ihn an und wünsche mir, dass das Basecap nicht da wäre, weil ich ihn dann besser sehen könnte. Erstaunlicherweise bin ich es jetzt, die einen Schritt auf ihn zu macht, und die Worte, die ich zu ihm sage, sind einfach so da, ohne dass ich groß darüber nachdenken muss.

      „Jan, ich werde nicht so tun, als wüsste ich, was du in den letzten Monaten durchgemacht hast. Du weißt ja auch nicht, wie es mir in den letzten Jahren so erging. Aber falls du, warum auch immer, mit jemandem reden willst … hier ist meine Nummer.“

      Ich krame eine meiner Visitenkarten vom Hotel hervor und notiere meine private Handynummer auf der Rückseite. Als ich sie ihm hinhalte, zögert er und sieht mich vorsichtig überrascht an. Ich halte die Luft an und atme erst wieder aus, als er die Hand aus der Jacke nimmt, um nach der Karte zu fassen. Kurz berühren sich unsere Fingerspitzen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, der mich ihm in die Augen sehen lässt. Sie sind immer noch unglaublich blau und das Einzige an ihm, das nicht dunkel und düster wirkt. Lahm versuche ich zu lächeln. Ich muss den Verstand verloren haben. Ganz klar.

      „Du nimmst dir doch ein Taxi nach Hause, so spätnachts?“

      Diese simple Frage löst eine Flut an Erinnerungen aus, die mich zu überwältigen drohen. Nun klingt er wie Jan, mein Jan, der vielleicht genau das nie gewesen ist. Dennoch löst es etwas in mir aus, diese Sorge um mich. Ihn so heute wiederzusehen, war unerträglich. Und damit meine ich weder seine Narben noch die Tatsache, dass er humpelt.

      Das gefällt mir nicht. Kurz geht mir durch den Kopf, dass ich ihm entgegnen könnte, er wollte doch vorhin noch, dass ich nach Hause laufe, in mein kleines perfektes Leben. Als er mich besorgt ansieht und sogar meinen Oberarm umfasst, verschwindet der Drang so schnell, wie er gekommen ist.

      „Ella? Du rufst doch ein Taxi, oder?“

      „Ja, ja. Natürlich“, stammle ich.

      „Gut.“ Jan wirkt ehrlich erleichtert, was mich nur noch mehr verwirrt – wie der ganze Abend eigentlich. Doch als er meine Antwort hat, steckt er die Karte ein und scheint sich wieder vor mir zu verschließen. Ich denke nicht, dass er anrufen wird. Und vielleicht ist das ja auch am besten so. Für uns beide. Ja, es ist besser so, auch weil ein Teil von mir das unbedingt will.

      Ohne sich zu verabschieden, verschwindet Jan die Straße hinunter. Ich schlucke einen riesigen Kloß runter, als ich sehe, wie er das linke Bein nachzieht und es seinen Gang unregelmäßig macht. Mit trockenem Mund rufe ich beim Taxi-Ruf an und warte auf den Fahrer. Seltsamerweise geht mir in der Nacht dieses merkwürdigen Wiedersehens die Nacht unserer merkwürdigen ersten Begegnung nicht aus dem Kopf.

      Kapitel 2

       Ella - 2010

      Ich habe Angst. Schritte verfolgen mich. Noch bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich Angst haben sollte. Die schweren Schritte kommen näher, beschleunigen ihren Tritt. Verstohlen blicke ich über die Schulter. Ein großer Kerl folgt mir. Es ist viel zu dunkel, um wirklich etwas erkennen zu können. Spätestens jetzt bin ich mir sicher, dass es eine dumme Idee war, zu Fuß nach Hause zu laufen, um drei Uhr nachts. Doch was blieb mir anderes übrig? Auf einer Party in der Innenstadt habe ich fünfmal versucht, ein Taxi zu bekommen, bis mir wieder einfiel, dass ich bei jedem Funktaxiunternehmen nur das Besetztzeichen bekommen würde. Denn in der Nacht des Lifeball, mit den unzähligen Partys und Veranstaltungen kommt es einem Sechser im Lotto gleich, wenn es einem gelingt, ein Taxi in der Innenstadt zu bekommen. Das fünfte Besetztzeichen noch im Ohr, habe ich mich auf den kurzen Weg aufgemacht, obwohl ich sonst, auch wenn ich es mir eigentlich nicht leisten kann, ein Taxi nehme. So oft gehe ich nicht aus, damit es wirklich negativ zu Buche schlagen kann. Und doch ärgere ich mich über mich selbst, besonders jetzt, wo mir der Fremde schon so nahe kommt, dass ich sein leises Schnauben höre. Ich wünsche mir, ich hätte keine Partyklamotten an, besonders keinen kurzen Rock. Meine Beine und die aufkeimende Panik treiben mich an, schneller zu gehen. Aber ich möchte ihn nicht provozieren. So gut es geht, versuche ich im Schein der Straßenlampen zu bleiben. Kalter Schweiß bricht mir aus. Seit fünf Minuten habe ich keine Menschenseele mehr gesehen. Noch drei Straßen. Nur noch drei. Nirgends ein Taxistand zu sehen. Die kleinen Gassen liegen nicht auf einer Hauptstraße. Warum biegt er nicht einfach ab? Bieg ab!

      Etwas drückt auf meine Schulter. Erschrocken drehe ich mich instinktiv um. Ein grinsender Mann mit graumeliertem Bart, deutlich älter als ich, starrt mich an. Seine Augen schwimmen. Ich sage nichts, sehe ihn nur abwehrend an. Wie von selbst wühle ich in meiner Jackentasche nach dem Handy.

      „Hübsch bist du. Hab schon viel von dir von hinten gesehen.“

      Er lallt. Seine Augen wandern unruhig hin und her. Den Rücken will ich ihm auf keinen Fall zudrehen, also behalte ich ihn im Blick und gehe langsam rückwärts.

      „Ach komm schon. Du ziehst dich sicher nicht so an, wenn du’s nicht wollen würdest.“ Dreckig lacht er mich aus.

      Übelkeit steigt in mir hoch, als er meine unbekleideten Beine anstarrt. Gerade will ich mein Handy aus der Tasche ziehen, um vor seinen Augen den Notruf zu wählen, als ich schon gegen die Hausmauer gedrückt werde. Keuchend entweicht mir die Luft zittrig aus den Lungen. Mein Puls rast, als mir klar wird, dass er mich festgesetzt hat und mein Handy auf dem Asphalt liegt, außer Reichweite. Er stinkt nach Bier und Schnaps. Instinktiv stemme ich ihn mit den Händen von mir. Zu meinem Entsetzen stelle ich wieder fest, wie klein ich bin, besonders im Vergleich mit ihm, denn er ist bullig und groß und ziemlich betrunken.

      „Komm schon … Lass mich ran“, sagt er immer wieder, während ich alles tue, um ihn abzuwehren. Meine Hände geben nach. Sein Mund drängt sich an mein Ohr, sein Atem streift meinen Hals. Ich spüre allzu deutlich, wie abgehackt meine Atemstöße sind. Ich möchte schreien, aber es gelingt mir nicht. Um ihn und seine Gier nicht sehen zu müssen, presse ich die Augen zu. Meine Hände drücken so fest sie können. Sie sind zu schwach. Als er sich am Reißverschluss meiner Jacke zu schaffen macht, schreie ich entsetzt auf.

      „Hey, du, lass das Mädchen los!“, höre ich eine Männerstimme, die meine verzweifelten Gedanken ausspricht. Mit aufgerissenen Augen versuche ich über meinen Angreifer hinwegzusehen, um den Ursprung der Stimme zu sehen. Doch er überragt mich. Alles, was ich sehe, ist seine breite Brust.

      „Bist du taub? Du sollst sie loslassen!“ Die Stimme wird schneidender. Sie ist das schönste Geräusch der Welt, diese Stimme. Auf der Schulter des Mannes, der sich immer noch an mich drängt, taucht eine Männerhand auf, die ihn von mir zerrt. Ich sacke zusammen, als der Fremde es schafft, meinen Angreifer zurückzuziehen. Nur die Hausmauer in meinem Rücken hält mich noch gerade so aufrecht. Jetzt kann ich ihn erkennen. Ein junger Mann mit dunklen Haaren steht dem breiten Kerl, der mich bedrängt hat, gegenüber. Sein Körper wirkt angespannt, vorsichtig. Die beiden starren sich gegenseitig an.

      „Verpiss dich! Das geht dich nichts an“, pöbelt er den jungen Kerl an, der mir einen kurzen Blick zuwirft. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie beide deutlich schnaufen. Der junge Kerl, der nicht viel kleiner ist als der andere Mann, versucht ruhig zu bleiben. Ich kann es ihm deutlich ansehen.

      „Geh und schlaf deinen Rausch aus, Mann … ehe es dir richtig leidtut.“ Er klingt entschlossen und gefährlich. Langsam macht er einen Schritt auf den betrunkenen Kerl zu. Er trägt nur ein Shirt, unter dem sich deutlich seine Muskeln abzeichnen. Auch wenn er schmaler als der andere Mann aussieht, wirkt er durchtrainiert und zeigt keine Angst einem Kerl gegenüber, der betrunken und zudringlich ist. Mir wird klar,

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