Bittersüß - davor & danach. Adele Mann
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„Scheiß auf dich!“, nuschelt er vor sich hin, torkelt von links nach rechts. „Scheiß auch auf die blöde Kleine.“
Der dunkelhaarige Kerl lässt ihn nicht aus den Augen, auch jetzt nicht, als er sich von uns entfernt und in Richtung des Parks schwankt. Erst als ihn die finstere Parkanlage verschluckt hat, lasse ich die angestaute Luft aus meinen Lungen. Mein Retter steht zwei Schritte neben mir und sieht noch angespannt in die Richtung, in die der Kerl verschwunden ist. Ohne ihn wäre das hier nicht gut ausgegangen. Mit kalten, zitternden Händen fasse ich nach seinem Arm, damit er mich ansieht.
„Danke“, sage ich so fest ich kann. Als ich ihn dabei berühre, sieht er zu mir. Er hat erstaunlich blaue Augen. Selbst bei diesem trüben Straßenlicht kann ich es erkennen. Außerdem ist er ein sehr gut aussehender Mann in meinem Alter, vielleicht auch ein paar Jahre älter.
„Du hattest Glück, dass ich zufällig auf dem Heimweg war“, sagt er bekümmert.
„Ich weiß“, sage ich vor mich hin. Mir ist seltsam heiß und kalt, so als wäre nur ein Teil von mir anwesend.
„Es war kein Taxi zu bekommen. Ich musste zu Fuß gehen“, sage ich, auch wenn er gar nicht danach gefragt hat. Ich beginne zu schwafeln, was ich nur dann tue, wenn ich nervös oder vollkommen daneben bin.
„Ging mir auch so“, entgegnet er und schenkt mir ein vorsichtiges Lächeln. In dem Moment bin ich mir sicher, dass ich noch nie einem so attraktiven Mann begegnet bin. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob das an der Tatsache liegt, dass er sich heute Nacht zu meinem Retter aufgeschwungen hat, oder daran, dass er einfach viel zu heiß ist, um etwas anderes überhaupt gelten zu lassen. Seinem Lächeln weicht ein besorgter Blick.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragt er mich vorsichtig und blickt auf meine halboffene Sommerjacke. Sofort ziehe ich den Reißverschluss hoch. Und etwas daran macht mir erst klar, was alles hätte passieren können. Ich bin mitten in der Nacht von einem Fremden angegriffen worden, der sich an mir vergehen wollte, und wäre er nicht gekommen …
Bevor ich weiß, wie mir geschieht, laufen mir Tränen über die Wangen, und ich zittere, als wäre es eisiger Herbst und keine laue Sommernacht, in der es immer wieder zu regnen beginnt. So wie jetzt. Besorgt sieht er mich an, blickt von mir nach oben zum Nieselregen und wieder zu mir. Meine Nase läuft. Ich wische mir mit dem Ärmel darüber. Mir ist schlecht. Der Typ hätte mich fast …
Plötzlich bemerke ich, dass ich gegen seine Brust gedrückt werde und starke Hände mir sanft über den Rücken streichen. Die Stimme, die ich nie wieder vergessen werde, sagt immer wieder zu mir: „Das wird wieder. Jetzt ist alles vorbei.“
„Tut mir leid. Ich … Das alles hat mich ziemlich erschrocken“, erkläre ich ihm schniefend. Er lacht über meinen Versuch, mir den Regen vom Gesicht abzuwischen, obwohl ich tränenüberströmt bin.
„Na, komm schon. Ich bring dich sicher nach Hause“, bietet er an. „Wenn das okay für dich ist.“
Gerade habe ich ihm heulend im Arm gelegen. Daher ist es bestimmt okay für mich, wenn er mich nach Hause bringt, wo ich diesen schrecklichen Vorfall für immer vergessen möchte. Ich nicke, da ich meiner Stimme nicht zutraue, zuversichtlich zu klingen. Als wir die Straße zu meiner Wohnung entlanggehen, werfe ich verstohlene Blicke zu ihm. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber auch wenn ich noch immer Angst habe, wegen dem, was vorhin passiert ist, geht dieses Gefühl einfach weg, wenn ich ihn ansehe. Das ist so seltsam. Ich kenne ihn doch gar nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass er groß ist, durchtrainiert, dunkelhaarig, verdammt gut aussieht und die blauesten Augen hat, die ich je bei einem Mann gesehen habe. Kurz vor meiner Wohnungstür bemerkt er, dass ich ihn musterte. Sein selbstbewusstes Grinsen verrät es mir. Irgendwie scheint es ihm zu gefallen. „Wenn du mich weiter so anstarrst, werde ich mein Ego nie in den Griff kriegen. Und es gibt Leute, genauer gesagt Frauen, die das gar nicht gerne hören.“ Ich weiß nicht genau, wie ich auf diese Bemerkung reagieren soll. Will er mir damit sagen, dass die Frauen ihn für zu arrogant oder zu selbstbewusst halten? Nicht, dass es nicht nachvollziehbar wäre. Wenn ich ehrlich bin, sieht er aus, als wäre er für die Frauenwelt gemacht.
Er ist absolut nichts für mich. Auch wenn das gar nicht zur Diskussion steht. Denn er ist genau der Typ Mann, der umwerfende Typ Mann, mit dem ein Mädchen wie ich nie was anfangen wird. Er und ich, wir spielen nicht in derselben Liga, das sieht man sofort. Jemand wie er geht mit Frauen aus, die photoshopgestylte Profilbilder auf Facebook haben oder Vorsprechtermine. Herrgott, worüber denke ich bloß nach? Ich bin überfallen worden auf dem Weg zu meiner Wohnung. Darüber sollte ich mir Gedanken machen, nicht über das Privatleben meines Helfers in der Not.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht anstarren. Ich weiß einfach nicht, wie ich dir danken soll für deine Hilfe.“ Sanft lächelnd sieht er mich an. „Da es fast drei Uhr ist, könnte ich wirklich einen warmen Ort gebrauchen, bis ich mir ein Taxi rufen kann. Über etwas Warmes zu trinken würde ich mich auch freuen.“ Ich starre auf mein Handy, das ich von der Straße aufgelesen habe, und auf die Wohnungsschlüssel in meiner Hand. Was wäre schon dabei? Er hat mich vor diesem Kerl bewahrt, und außerdem möchte ich nicht allein sein, auch wenn mir meine Wohnung als ein sicherer Ort erscheint, gibt es einen erschütterten Teil in mir, der jetzt nicht allein und schutzlos sein möchte.
„Natürlich. Das ist doch das Mindeste.“ Ich stecke den Schlüssel in das Tor. „Komm rein.“
Er folgt mir durch den dunklen, stillen Hausflur. Ich wohne in der einzigen Wohnung hier unten. Es ist ein sehr kleines Apartment in einem Altbau, das früher bestimmt dem Portier oder Hausmeister gehört haben muss, denn es ist wesentlich billiger und kleiner als die übrigen Wohnungen. Doch in den letzten Jahren ist es mein kleines Reich geworden. Und noch nie war ich so froh wie heute, hierher zurückzukehren und die Tür hinter mir abzuschließen. Auch wenn die ungeplante Anwesenheit eines völlig fremden Mannes die Vertrautheit meiner vier Wände verändert.
Er ist sehr still, als er durch meinen kleinen Flur tritt, um in den großen Raum zu gelangen, der im Grunde schon so ziemlich alles ist, was ich zu bieten habe. Dahinter gibt es noch ein kleines Bad und eine Küche. Normalerweise stört es mich nicht, dass sich mein Bett gut sichtbar im Hauptraum befindet. Doch jetzt, hier mit ihm, macht es mich nervös und befangen. Wenn er nur endlich etwas sagen würde.
„Schöne kleine Wohnung. Du hast das Beste aus ihr gemacht.“
Dieser Kommentar irritiert mich. Fragend starre ich ihn an.
„Ich arbeite als Trainee in einem Architekturbüro. Beim Studium haben wir auch Räume in Altbauwohnungen wie dieser hier durchgenommen. Nicht jeder kann aus einer Raumstruktur wie deiner eine gemütliche Wohnung machen.“ Er lächelt mich an. „Du schon.“ Wie von selbst erwidere ich sein Lächeln. Erst als ich meine wringenden Hände bemerke, weiß ich, wie nervös er mich wirklich macht.
„Danke. Ich musste mit wenig auskommen. Aber ich wollte mich hier wohlfühlen … Auch wenn ich fürchte, dass das heute unmöglich ist.“ Müde lasse ich mich auf die Couch fallen. Er kommt zu mir rüber und setzt sich neben mich. Wir haben immer noch unsere Jacken an.
„Wir können weiter über Einrichtungen reden, wenn du willst, oder du sagst mir, wie es dir wirklich geht … Hey, sieh es mal so. Wir kennen uns nicht. Das heißt …“ Sein Blick wechselt von fürsorglich zu frech. „… deine Geheimnisse sind bei mir sicher.“
Mir entkommt ein nervöses Lachen. Seine Stimme und seine Blicke stellen komische Dinge mit mir an, vor allem mit meinem Magen und meiner Haut. Als würde ein elektrisches Prickeln