Der Nackt-Scanner. Ernst von Wegen
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„Und wie Sie das können“ rief Hugenbach mir hinterher, „und wie! Denken Sie darüber nach!“
Eine Stunde später schaute ich ratlos aus dem Fenster meines Schreibzimmers und dachte über das Gespräch nach, das ich hier nur arg verkürzt wiedergegeben habe.
Sex sells?
Früher vielleicht, dachte ich. Das Thema ist doch längst durch- und durchgenudelt. Ausgelaugt und ausgelutscht. Will das wirklich noch jemand lesen? Wo sich doch heute jeder überall mit einschlägigen Bildern und Filmen versorgen kann?
„Vor allem lesen“ hatte Hugenbach in dem Gespräch bemerkt, „das Foto, der Film, da gebe ich Ihnen Recht, Bilder erschöpfen sich rasch, weil sie alles zeigen und dem Betrachter kaum Spielraum lassen. Geschickt gesetzte Worte dagegen sprechen nicht alles direkt aus, sie deuten nur an und reizen damit die Fantasie. Geschickt gesetzte Worte lösen mehr aus im Kopf als Bilder, die kein Geheimnis mehr übrig lassen. Sie haben das Zeug dazu, den Trieb über den Intellekt zu anzusprechen. Verbinden Sie Anspruch und Lust miteinander! Auch Kopfmenschen...“
Nein, ich glaube er sagte nicht „Kopfmenschen“, er sagte Klugscheißer, ja, „...auch Klugscheißer haben Überdruck in der Hose, den sie irgendwie abbauen müssen. Denen müssen Sie den Schweinkram intellektuell auftakeln, verstehen sie?“
Ja, wie sollte ich das denn verstehen? Bumsen für Bildungsbürger? Adorno meets Porno, oder was?
Ich schaute noch immer ratlos aus dem Fenster, als ob da draußen irgendein Stoff für dieses Vorhaben zu finden wäre. Die Tante von „Essen auf Rädern“ fuhr in den Innenhof, brachte meinem alten Nachbarn, Herrn Stein aus dem Parterre das Mittagessen.
‚Angenommen, die da’, dachte ich in meiner Verzweiflung, Hugenbachs Stimme noch im Ohr:
„Bringen Sie mir eine saftige Geschichte und zwar zügig, oder wir müssen unser Brot bald mit richtiger Arbeit verdienen!“
Das war deutlich genug.
Meine Frau hatte sich längst daran gewöhnt, dass ein vom Erfolg verhöhnter Schriftsteller ihr auf der Tasche lag, Hugenbach konnte das nicht. Wollte ich mir nicht die Mitschuld am Ruin eines renommierten Kleinverlages aufladen, musste ich mein Wolkenkuckucksheim verlassen und zwischendurch für eine gute Auflage schreiben. Nun denn, dachte ich trotzig-wütend, wenn ihr Schweinkram haben wollt, sollt ihr Schweinkram kriegen!
Also angenommen, die da. Die Frau von Essen auf Rädern. Ich hatte sie schon oft gesehen, aber nun fiel mir zum ersten Male mal auf, dass sie eine schöne, schlanke Figur hatte. Meine neue Aufgabe veränderte und verschärfte also bereits meine Wahrnehmung, das war doch schon ein Anfang.
Bloß: wie konnte ich sie zu meinem Stoff machen, wie konnte ich sie zu mir heraufschreiben? Ich könnte sie klingeln und sagen lassen:
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Stein ist nicht zu Hause, könnte Sie ihm sein Essen...“
Und dann? Wie weiter? Sie könnte fragen, ob sie meine Toilette benutzen darf, und danach meine Dusche. Und ich reiche ihr das Handtuch und... und wo blieb dabei der höhere Anspruch? Dafür müsste sie eine Studentin sein, die Essen ausfährt, um ihr Philosophiestudium zu finanzieren. Oder vielleicht Germanistik? Oder noch besser: Literatur! Ja, so vielleicht: Sie hat eine Reifenpanne, ich helfe ihr, wir kommen ins Gespräch, ich gebe mich als Schriftsteller zu erkennen, sie erzählt, dass sie mitten in der Doktorarbeit steht, Thema: Darstellung und Zweck der Sexualität im Werk von Henry Miller! Ihr fehlt von der Trilogie Sexus, Nexus, Plexus, ausgerechnet Sexus, der selbstverständlich in meinem Regal steht. Sie kommt mit in die Wohnung, wir trinken Kaffee und plaudern über Millers teilweise sehr derben Sexszenen, wir reden uns heiß, sie sieht, wie meine Hose sich spannt, packt aus, packt zu, fährt aus den Klamotten, setzt sich auf mich und reitet uns ins Nirwana! Na, wie wär’ das? Albern, oder? Nein, dachte ich, so wird das nichts. Das wird nie was, ich kann so was nicht!
Kapitel 2
Am nächsten Vormittag trieb mich ein geheimer, innerer Impuls oder ein Zufall, wahrscheinlich war es nur der Abfall, in die Garage, als das Essen auf Rädern in den Hof rollte. Aus dem Auto stieg nicht die schlanke Langhaarige, aus dem Auto stieg – Claudia! Claudia Springer war eine heitere, etwas pummelig gewordene Mittdreißigerin aus dem weiteren Bekanntenkreis. Unsere und Springers Freundeskreise überschnitten sich, wir sahen uns vielleicht fünf Mal im Jahr. Claudia war hübsch, aber ohne Selbstvertrauen, nett, aber ein bisschen langweilig. Sie arbeitete in der Edelboutique ihres Mannes, dem teuersten Laden in der ganzen Stadt, deshalb wunderte es mich, sie Essen ausfahren zu sehen.
„Claudia, du? Springst du für eine Freundin ein?“
„Wie? Ihr wisst es noch nicht?“
„Nö, was denn?“
Sie lächelte verlegen.
„Othmar und ich haben gerade eine Krise, ich nehme mir eine kleine Auszeit, du verstehst?“
„Nein!“
„Ich bin ausgezogen, wir brauchen Abstand um ins Reine zu kommen.“
‚O je‘ dachte ich und sagte:
„Hast zu Zeit für eine Tasse Kaffee oder warten noch Leute auf ihr Essen?“
„Ja, gerne“ sagte sie, „dein Nachbar ist mein letzter Kunde, es kann nichts mehr kalt werden; es kann auch nichts mehr anbrennen...“
*
Kaum hatte Claudia den ersten Schluck getrunken und die Kaffeetasse abgesetzt, brach auch schon der Damm der Selbstbeherrschung kläglich in sich zusammen und ein Strom der Tränen quoll aus ihren Augen:
„Es ist alles so eine elende Scheiße! Von wegen Abstand und Auszeit – nichts mehr kommt ins Reine, es ist vorbei! Er hat eine andere, der Sauhund!“
„Nun komm“ versuchte ich sie zu trösten, „das ist ja so ungewöhnlich nicht. Nach einigen Jahren tritt eben eine gewisse Gewöhnung ein, die Beziehung nutzt sich etwas ab. Dann suchen sich manche Kerle ein junges Püppchen um sich zu beweisen, und wenn ihnen dann die Luft ausgeht, kommen sie reumütig wieder zurück.“
„Wenn’s bloß so einfach wäre“, heulte Claudia, „er hat sich eben kein junges Püppchen geschnappt, sondern den hässlichen Hungerhaken aus dem Reformhaus. Weil sie sich so gut verstehen! Weil er mit ihr so gut über alles reden kann! Das geht nicht nur gegen mich als Frau, das geht gegen mich als Mensch, verstehst du?“
Wie bitte? Der Kunstfreund Othmar Springer, der Ästhet, ging fremd mit einer hässlichen Bohnenstange? Dazu fiel mir allerdings auch nichts mehr ein.
Weil es für einfache Leute oft schon ein Trost ist, wenn auch andere leiden, sagte ich:
„Dann sind wir schon zwei, denen es heute beschissen geht.“
„Wie? Ihr zwei etwa auch, Hat Katja...?“
„Nein, nein, aber der Verleger hat meinen Roman abgelehnt. Romanversuch, wie er verächtlich sagte. Zwei Jahre harte Arbeit, und der Idiot sagt nur: Tut