Ich hatte einen Traum. Juan Pablo Villalobos

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Ich hatte einen Traum - Juan Pablo Villalobos

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bin«, sagt sie. »Hast du keinen Hunger?«

      Ich sage nein und dass mir der Hunger vergeht, wenn ich Angst habe. Mir fällt auf, dass ich kaum was gegessen habe, seit ich von meinen Großeltern aufgebrochen bin. Ich glaube, die ersten Tage, als wir im Bus unterwegs waren und nicht mal richtige Pausen gemacht haben, habe ich überhaupt nichts gegessen. Und in dem Haus, wo wir darauf gewartet haben, die Grenze zu überqueren, habe ich mir den Magen verdorben, weil ich das mexikanische Essen nicht vertragen habe.

      »Weißt du, wann wir was zu essen kriegen?«, fragt das Mädchen.

      Ich antworte, dass ich das nicht weiß, dass ich erst seit ein paar Stunden hier bin.

      »Haben sie dich gerade erst geschnappt?«, fragt sie.

      »Nein, vor zwei Tagen, aber sie haben mich zuerst woanders hingebracht.«

      »Was gab es da zu essen?«

      »Etwas Milch und einen Apfel«, sage ich.

      »Mehr nicht?«

      »Nein, morgens, mittags und abends das Gleiche. Das war alles.«

      »Hier kriegt jeder ein Sandwich«, sagt sie. »Und einen Saft. Wie alt bist du?«

      »Vierzehn«, sage ich.

      »Ich auch«, sagt sie.

      An ihrer Art zu reden habe ich schon gemerkt, dass sie aus El Salvador kommt, genau wie ich, aber ich glaube, sie ist aus der Hauptstadt.

      »Ich heiße Kimberly«, sage ich.

      »Aus welcher Ecke kommst du?«, fragt sie.

      »Aus Ahuachapán«, sage ich. »Und du?«

      »Warum legst du dich nicht etwas hin?«, sagt sie. »Wenn du willst, stehe ich kurz auf, dann kannst du dich ausruhen. Aber nicht zu lange.«

      Sie steht auf und macht mir ein Zeichen, dass ich mich hinlegen soll.

      »He, du, ich bin dran.«

      Ich öffne die Augen und sehe die Decke des Kühlschranks. Das Mädchen hat sich über mich gebeugt und schüttelt mich an den Schultern. Ich setze mich auf, und sie lässt sich neben mir nieder.

      »Wie heißt du noch mal?«, fragt sie. »Vor lauter Hunger kann ich mir nichts mehr merken.«

      »Kimberly«, sage ich, »aber alle sagen Kim. Du kannst mich gerne Kim nennen. Habe ich lange geschlafen?«

      »Keine Ahnung«, sagt sie, »hier verliert man jedes Gefühl für die Zeit, aber ich glaube ja, mir tun jedenfalls schon die Beine weh.«

      Wir schweigen, und ich versuche, wach zu werden, um aufstehen zu können. Ich gähne, und mein Kopf dreht sich, als wäre hier drin zu wenig Sauerstoff. Ich bin so müde, dass ich kaum noch weiß, wann ich wach bin und wann ich schlafe. In der ersten Nacht, im anderen Kühlschrank, habe ich überhaupt kein Auge zugetan, später schon, da bin ich immer mal wieder kurz eingenickt.

      »Der Kühlschrank, wo ich vorher war, war noch viel schlimmer«, sage ich, um Zeit zu gewinnen – wenn wir weiter reden, kann ich vielleicht noch etwas länger sitzen bleiben. »Wie eine Müllhalde, überall waren Apfelreste, und keiner hat saubergemacht. Die Milchpackungen haben auch alle einfach auf den Boden geschmissen. Außerdem war ich krank, ich hatte mir eine heftige Grippe eingefangen. Nach zwei Tagen haben sie alle aufgerufen, die woanders hinkamen. Sie haben uns in einen Bus gesteckt und hierher gebracht.«

      »Glaubst du, sie schicken uns zurück?«, fragt sie.

      »Wohin?«

      »Ich meine, ob du glaubst, dass sie uns abschieben?«

      »Keine Ahnung.«

      Ich erzähle ihr nicht, dass ich in der ersten Nacht geweint habe. Ich habe an meine Großeltern gedacht und wollte nach El Salvador zurück. Wenn sie von mir verlangt hätten, die Abschiebung zu unterschreiben, hätte ich das auf der Stelle getan. Seit ich über den Fluss war, musste ich ständig weinen und war richtig traurig und dachte immer nur: Was mache ich hier eigentlich?

      »Als wir den Fluss überquert haben, ist ein Mann ins Wasser gefallen«, sage ich zu dem Mädchen. »Wir waren in einem Boot, sie haben uns zur anderen Seite gebracht und gesagt, wir müssen schnell aussteigen und ans Ufer rennen. Und der Mann schaffte es nicht aus dem Boot, obwohl er gar nicht so alt war, und da haben sie ihn über Bord geworfen. Er war klitschnass, und sie haben ihn einfach liegen lassen. Keiner hat ihm geholfen, weil man nicht lange am Ufer bleiben kann. Wir sind losgerannt, sie haben nicht gesagt wohin, da waren Berge, Bäume, es gab keinen Weg, wir mussten uns irgendwie durchschlagen. Es war stockdunkel, keiner hatte eine Taschenlampe oder sonst was dabei, sie haben gesagt, wir dürfen nichts mitnehmen. Wir waren etwa dreißig, auch Schwangere und kleine Kinder, keiner wusste, ob wir jemals wieder aus den Bergen rauskommen. Ein Junge hat geweint. Wir mussten umkehren und einen anderen Weg suchen. Eine Frau hatte eine Flasche Wasser dabei, und ich habe sie gefragt, ob sie mir was abgibt, aber sie wollte nicht. Sie braucht alles für sich selbst, hat sie gesagt. Das werde ich nie vergessen. Dann haben wir Lichter gesehen und sind darauf zu. Ich hatte keine Ahnung, was wir tun sollten, in welche Richtung wir laufen sollten, nichts. Plötzlich ist der Wagen aufgetaucht. Es war die Polizei.«

      »Ich werde ein bisschen schlafen«, sagt das Mädchen und streckt die Beine aus, damit ich aufstehe.

      Ich richte mich auf und spüre meine eingeschlafenen Beine, oder besser gesagt, ich spüre sie nicht, es ist, als hätte man sie abgeschnitten.

      »Weck mich, wenn sie Sandwichs bringen«, sagt sie.

      »He, ich bin dran«, sage ich leise zu dem Mädchen, um sie nicht zu erschrecken, aber sie hört mich nicht.

      So vor ungefähr zwei Stunden hat sie sich hingelegt, glaube ich, und wieder habe ich Krämpfe in den Beinen. In dem Moment geht die Zellentür auf und eine Frau mit einem Wagen kommt herein. Die Sandwichs. Die Mädchen stehen langsam auf. Ich beuge mich zu dem Mädchen runter und flüstere ihr ins Ohr:

      »Wach auf, es gibt was zu essen.«

      Wir nehmen uns ein Sandwich und eine von den kleinen Saftpackungen und setzen uns zum Mittagessen hin. Oder zum Frühstück oder Abendessen. Wer weiß, wie spät es ist. Auf dem Sandwich ist eine Scheibe Schinken. In der Packung ist Orangensaft.

      »Wo willst du hin?«, fragt das Mädchen.

      »Zu meiner Mama«, antworte ich.

      »Und wo wohnt die?«

      »In New York.«

      »Und wo hast du in El Salvador gelebt?«

      »Bei meinen Großeltern, den Eltern meiner Mutter«, sage ich. »In Ahuachapán. Ich habe auch eine Weile bei meinen anderen Großeltern gewohnt, in San Salvador, aber zuletzt in Ahuachapán. Mit meiner großen Schwester und meinem kleinen Bruder.«

      »Und dein Vater?«

      »Mein Vater hat uns verlassen, als ich klein war, ich hatte lange keinen Kontakt zu ihm. Meine Mutter hat sich kurz vor meiner Geburt von ihm getrennt. Er wohnte in San Salvador, deswegen war ich zwischendurch auch dort. Aber er hat mich nie besucht oder angerufen,

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