Ich hatte einen Traum. Juan Pablo Villalobos

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Ich hatte einen Traum - Juan Pablo Villalobos

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weil ich von klein auf bei meiner Oma in Ahuachapán gelebt hatte, habe ich mich sehr einsam gefühlt, als ich von ihr weggegangen bin, und deshalb wollte ich zurück zu ihr. Manchmal denke ich, dass ich ganz ohne meine Eltern aufwachsen werde, und das macht mich sehr traurig. Meine Mutter ist in die USA gegangen, als ich vier war. Sie hat mich immer unterstützt, sie hat meinen Großeltern Geld geschickt, damit sie für uns sorgen. Sie war immer für uns da. Aber ich kann mich kaum an sie erinnern, denn als sie in El Salvador war, war ich noch zu klein. Manchmal muss ich deshalb weinen. Warum kann ich nicht bei ihr sein?«

      Ich habe mein Sandwich aufgegessen und an meine Großeltern gedacht und an meine Mama. Manchmal versuche ich sie mir vorzustellen, aber ich weiß nicht, wie sie aussieht. Ich glaube, auf der Straße würde ich sie nicht erkennen.

      »Das Schlimmste, was ich je erlebt habe, war der Abschied von meinen Großeltern«, sage ich. »Und du?«

      »Ich will auch zu meiner Mutter«, sagt sie.

      »Und wo ist sie?«

      »In Arizona«, antwortet sie und wischt sich die Krümel weg. »Wenn du willst, kannst du ein bisschen schlafen, mir geht’s wieder besser. Bis ich wieder Hunger kriege.«

      Ich wache auf, als sie mich an der Schulter schüttelt und sagt, ich soll mich beruhigen und aufhören zu schreien.

      »Sch, sch, ganz ruhig.«

      »Was ist los?«, frage ich.

      »Ich glaube, du hattest einen Alptraum. Du hast plötzlich geschrien. Außerdem bin ich dran, du hast ein bisschen geschlafen, und ich kann nicht mehr.«

      Ich setze mich, damit sie sich hinlegen kann. Ich erinnere mich an den Alptraum.

      »Was hast du geträumt?«, fragt sie.

      »Von einer schlimmen Sache, die mir unterwegs passiert ist«, sage ich. »In Reynosa, an der Grenze. Ich war in einem Haus mit vielen Leuten, die wie ich gewartet haben. Jeden Tag kamen neue, und andere sind gegangen, denn so viele passten gar nicht rein. Alle haben gewartet, um die Grenze zu überqueren, aber zu mir haben sie immer nur morgen, morgen gesagt und mich nicht abgeholt. Wir haben auf Matratzen auf dem Boden geschlafen und nichts als Burritos bekommen, ich habe mir den Magen verdorben und konnte kaum noch was runterkriegen. Ein paar ältere Frauen haben sich um mich gekümmert. Ich sollte mich zwischen sie legen, sie wollten nicht, dass ich woanders schlafe, wegen der vielen Männer. Aber einmal ist eine von ihnen nachts aufgestanden und weggegangen, keine Ahnung wohin, und ein Mann ist gekommen und hat sich neben mich gelegt. Er hat schmutzige Sachen zu mir gesagt und ist immer näher an mich herangerückt. Ich glaube, er wollte mich vergewaltigen. Da habe ich die Frauen geweckt, und sie haben den Mann beschimpft. Er hat sich gewehrt und gemeint, er würde doch gar nichts machen. Aber am nächsten Tag, als ich endlich gehen konnte, hat er mir einen Zettel zugesteckt und gesagt, ich soll ihn aufheben. Er hatte mir seine Telefonnummer aufgeschrieben. Ich habe den Zettel zusammengeknüllt und in den Müll geworfen.«

      »Du hast eine Menge Glück gehabt«, sagt sie.

      Ich nicke, und wir schweigen. Ich betrachte die Mädchen auf dem Boden, die sich in die Metalldecken gewickelt haben. Es ist kälter geworden, es muss früher Morgen sein.

      »Meine Tante hat mir eine Spritze gegeben, bevor ich mich aufgemacht habe«, sagt das Mädchen plötzlich, als hätte sie lange darüber nachgedacht. »Falls mir was zustößt, damit ich nicht schwanger werde.«

      Ich warte, ob noch etwas folgt, aber sie sagt nichts weiter. Ich weiß genau, wovon sie redet.

      »Ich war auf einer Schule direkt neben einem Gefängnis, wo viele von den Banden saßen«, sage ich. »Immer wenn ich aus der Schule kam, standen sie da rum. Wir sollten schlimme Dinge mit ihnen machen. Wenn die Schule aus war, haben sie schon auf uns gewartet. Ich bin immer mit meinen Freundinnen gegangen. Sie haben gesagt, wir sollen irgendwo mit ihnen hingehen. Sie haben das oft zu mir gesagt, aber ich wollte nicht. Es gibt dort viele einsame Ecken, wo sie ihre Sachen machen. Wir wollten aber nicht mitgehen. Und weil wir nicht mitgehen wollten, haben sie gedroht, dass sie uns etwas antun. Ich hatte Angst und bin nicht mehr zur Schule gegangen.«

      »In Mexiko hat uns wieder die Polizei gestoppt«, sage ich zu dem Mädchen.

      Es sind zwei oder drei Tage vergangen, und wir haben mehr Platz, weil ein paar von den Mädchen abgeholt wurden. Jetzt können wir uns wenigstens beide hinlegen oder setzen und die Beine ausstrecken oder was auch immer. Vor dem Einschlafen erzählen wir uns manchmal aus unserem Leben. Eigentlich bin nur ich es, die etwas erzählt, denn das Mädchen sagt nicht viel. Aber ich rede gern mit ihr, denn wenn ich schweige, muss ich sofort an meine Großeltern denken. Und an meine Mutter, daran, ob man ihr schon Bescheid gesagt hat, dass ich hier eingesperrt bin.

      »Mit dem Bus hat man uns ein paar Mal angehalten. Plötzlich wurde der Bus langsamer und blieb stehen. Wir haben uns aus dem Fenster gelehnt und die Polizei gesehen. Pick-ups und Männer in Uniform. Manchmal haben wir geschlafen, und sie haben uns nicht geweckt. Vielleicht dachten sie, wir wären Mexikaner. Einmal mussten wir aussteigen, und sie wollten unsere Dokumente sehen. Ich habe ihnen meine Geburtsurkunde und meinen Pass aus El Salvador gezeigt. Sie haben uns Fragen gestellt. Was wir hier wollen und mit wem wir unterwegs sind. Dann wollten sie Geld. Ein Polizist hat zu einem anderen gesagt, dass er uns Handschellen anlegt und uns mitnimmt. Sie haben so getan, als wollten sie uns verhaften, um uns einen Schreck einzujagen. Sie haben gesagt, wenn wir ihnen kein Geld geben, bringen sie uns zurück. Dass wir abgeschoben werden. Wir haben ihnen alles gegeben, was wir hatten, dann durften wir weiter.«

      Ich höre, wie die Zellentür aufgeschlossen wird, und das Mädchen ist mit einem Satz auf den Beinen.

      »Essen«, sagt sie.

      Aber es gab erst vor kurzem etwas zu essen, es muss etwas anderes sein. Eine Beamtin kommt herein und sagt, dass ein paar Mädchen in ein Heim in Phoenix verlegt werden. Sie hat eine Liste mit Namen und sagt, dass alle, die nicht auf der Liste sind, dableiben müssen. Sie fängt an, die Namen vorzulesen, und plötzlich sagt sie:

      »Kimberly.« Und meinen Nachnamen.

      Als sie fertig ist, sagt sie, dass alle auf der Liste sie begleiten sollen. Das Mädchen sagt, dass ihr Name nicht auf der Liste war und dass sie bleiben muss, und da fällt mir auf, dass sie mir nie ihren Namen gesagt hat.

      »Du hast mir gar nicht gesagt, wie du heißt.«

      »Das ist nicht wichtig«, sagt sie und umarmt mich.

      Die andere Seite ist die andere Seite

      Der Fettsack war schweißgebadet und hat so getan, als würde er nichts bemerken, als wüsste er nicht, dass er gerade von drüben gekommen ist, aber natürlich wusste er das, alle wissen das, es gibt keinen in Ilopango, der nicht weiß, wo die Grenze verläuft, und deshalb war ich wachsam und hab mir gedacht: Irgendwas führt er im Schilde, bestimmt ist er ein Posten der Salvatrucha1.

      Er hat eine Tüte Chips gegessen, ich hab ihn so auf fünfzehn, sechzehn geschätzt, zumindest hatte er schon genug Haare im Gesicht, um einen auf dicke Hose zu machen. Er hatte einen Rucksack auf und sah ziemlich schick aus, frisch gebügeltes Hemd, neue Jeans, aber am meisten hat mich interessiert, was in seinem Rucksack war, denn das war alles nur Tarnung. Ich hab die Straße überquert, um ihn einzuholen.

      »Was geht, Arschloch?«, hab ich zu ihm gesagt.

      Er hat sich umgedreht, mich kurz

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