Examens-Repetitorium Familienrecht. Martin Lipp
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b) Arglistige Täuschung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 3)
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Die Aufhebung der Ehe kann ferner verlangen, wer durch arglistige Täuschung zur Eingehung der Ehe bestimmt wurde, und zwar über solche Tatsachen, die ihn bei Kenntnis und „richtiger Würdigung des Wesens der Ehe“ von der Eheschließung abgehalten hätten. Anders als bei § 123 sind Täuschungen hinsichtlich der Vermögensverhältnisse irrelevant und bei der Täuschung durch einen Dritten reicht es nicht, wenn der andere Ehegatte die Täuschung hätte kennen müssen (so § 123 Abs. 2), sondern es kommt auf die positive Kenntnis des Ehegatten an. Eine Täuschung über die Religionszugehörigkeit soll bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe kein Grund zur Aufhebung sein.[34]
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Problematisch sind Fälle, in denen – wie in Fall 8 – bestimmte Umstände verschwiegen wurden (z.B. Vorstrafen,[35] Homosexualität, Erbkrankheiten[36]). Eine arglistige Täuschung durch Verschweigen bestimmter Tatsachen kann nur dann angenommen werden, wenn eine Offenbarungspflicht besteht; eine solche kann sich zwischen den Verlobten aus § 241 Abs. 2 ergeben (vgl. Rn. 67). Vorhandene voreheliche Kinder sind nach h.M. ebenso ungefragt zu offenbaren[37] wie der Umstand, dass das erwartete Kind nicht von dem Mann abstammt, der anlässlich der Schwangerschaft die Ehe eingeht.[38] Man wird zwar keine generelle Offenlegung vorehelicher Intimbeziehungen verlangen können, aber auf eine mögliche anderweitige Vaterschaft muss die Frau (auch wenn sie selbst nicht sicher weiß, wer der Vater ist) aufgrund der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 jedenfalls dann hinweisen, wenn der Mann davon ausgeht, selbst der Vater zu sein und vor allem deshalb zur Eheschließung bereit war.
c) Drohung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4)
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Eine Ehe unterliegt auch dann der Aufhebung, wenn ein Ehegatte durch den anderen oder durch einen Dritten widerrechtlich durch Drohung zur Eingehung der Ehe bestimmt worden ist. Um Zwangsheiraten stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten, wurde 2011 ein eigener Straftatbestand in § 237 StGB geschaffen.[39] Zugleich wurde § 1317 Abs. 1 S. 1 neu gefasst und die Antragsfrist für einen Eheaufhebungsantrag auf drei Jahre verlängert, um Betroffenen zu helfen, die infolge Traumatisierung vielleicht erst nach Ablauf der vormals vorgesehenen Jahresfrist in der Lage sind, die Aufhebung der Ehe zu beantragen.
Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 4. Einvernehmliche Scheinehe
4. Einvernehmliche Scheinehe
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Wollen die Ehegatten insgeheim keine eheliche Lebensgemeinschaft begründen, liegt eine aufhebbare Scheinehe vor. Der Mangel wird geheilt, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung doch miteinander gelebt haben, § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; ansonsten „soll“ die zuständige Verwaltungsbehörde den Aufhebungsantrag stellen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3), wenn die Scheinehe ans Licht kommt. Von § 1311 S. 2 werden Fälle der Scheinehe nicht erfasst, weil dort nur solche Bedingungen und Befristungen gemeint sind, die für den Standesbeamten erkennbar dem Ehekonsens zugrunde gelegt werden (dazu Rn. 84). Es fehlt auch nicht am Ehekonsens i.S.v. § 1310 Abs. 1 S. 1, da hierfür allein die formal übereinstimmenden Erklärungen genügen und das inhaltlich Gewollte belanglos ist – § 117 Abs. 1 findet keine Anwendung; die Rechtsfolgen der Eheschließung treten kraft Gesetzes ein. Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Scheinehe vor, kann (und muss) der Standesbeamte die Heiratswilligen im notwendigen Umgang (einzeln oder gemeinsam) befragen (§ 13 Abs. 2 PStG). Lassen sich Zweifel nicht beseitigen (auch nach Anordnung der Beibringung weiterer Nachweise oder einer Versicherung an Eides statt, § 13 Abs. 2 PStG), muss der Standesbeamte die Eheerklärungen entgegennehmen. Abzulehnen hat er sie nur, wenn die Aufhebbarkeit gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 5 offenkundig ist, also keine (vernünftigen) Zweifel an diesem Ergebnis bestehen (§ 1310 Abs. 1 S. 2 Hs. 2).
Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › V. Internationales Privatrecht
V. Internationales Privatrecht
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In Deutschland kann eine Ehe – ohne Rücksicht auf die Nationalität der Eheschließenden – nur nach Maßgabe der §§ 1310, 1311 geschlossen werden (Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB). Nur bei einer Eheschließung zwischen Nichtdeutschen in Deutschland gestattet Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB eine Abweichung von den §§ 1310, 1311, sofern die Eheschließung ordnungsgemäß nach dem nationalen Recht eines der Verlobten vorgenommen worden ist.[40] Die Voraussetzungen der Eheschließung (Alter etc.) richten sich jedoch für jeden Verlobten nach dem Recht des Staates, dem er angehört (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Fehlt danach eine Voraussetzung, kann nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 2 EGBGB ausnahmsweise deutsches Recht angewendet werden, wenn nach unseren Vorschriften eine wirksam Ehe vorliegt.[41]
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In diesem Zusammenhang kann die Frage auftreten, ob nach deutschem Recht vorliegende Nichtehen (Verstoß gegen § 1310) nicht gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) als gültige Ehen anzusehen sind (Problem der sog. „hinkenden“ Ehen):
Fall 9[42]:
Im Jahre 1947 heiratete die deutsche F einen englischen Offizier in einer Kaserne in Hilden, und zwar in der nach damaligem englischen Recht möglichen Form (vollzogen von einem dazu legitimierten Geistlichen). Als der Ehemann nach 27-jähriger Ehe (25 Jahre davon in Deutschland) verstarb, wurde der F Witwenrente verweigert, da sie nach deutschem Recht niemals verheiratet war.
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Da eine auf deutschem Grund und Boden geschlossene Ehe nach Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB den hier geltenden Formvorschriften unterliegt (insb. § 1310 Abs. 1 S. 1) ist die Ehe aus deutscher Sicht unwirksam. Das BVerfG hat in der genannten Entscheidung jedoch auch „hinkende“ Ehen unter den Schutz und den Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG gestellt. Begründet wurde dies mit dem gemeinsamen Ehekonsens und der Tatsache, dass eine nach ausländischem Recht wirksame Ehe vorliege (in Abgrenzung zu einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft).[43]
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Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext auch eine folgenreiche Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2018 in der Rechtssache „Coman“[44], in der der Gerichtshof hinkende Statusverhältnisse innerhalb der EU unter Rückgriff auf das Primärrecht zu verhindern wusste: In dem zugrundeliegenden Fall hatten ein rumänisch-amerikanischer Staatsangehöriger und ein Amerikaner in Belgien wirksam eine gleichgeschlechtliche Ehe geschlossen. Dem Amerikaner wurde in Rumänien indes eine Aufenthaltserlaubnis verweigert, weil die Vorfrage nach dem Bestand einer Ehe dort nach kollisionsrechtlicher Prüfung verneint wurde[45] und er deshalb nicht als Familienangehöriger eines