Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden

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Der Trotzkopf - Emmy von Rhoden

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Er mußte sein junges Leben lassen, weil ihm die Luft ausging.«

      Dieser Einfall trocknete Ilses Tränen, sie mußte sogar lächeln. – Der ausgestopfte Kanarienvogel hatte auch sehr gelitten. Das Köpfchen war ganz breitgedrückt, und der eine Flügel hing herunter.

      Nellie gab ihm wieder einige Form. »Laß mir nur machen«, sagte sie, »ich werde ihm schon wieder in die Ordnung bringen! – Was ist denn das?« fragte sie plötzlich und hielt Ilses Blusenkleid in die Höhe. »Warum hast du dieses schmucklose Robe eingepackt – und die alte schmutzige Stiefel? Was soll damit?«

      Warum? Das wußte Ilse selbst nicht, aber sie war ärgerlich, ihr Lieblingskostüm so verachtet zu sehen. »Du verstehst nichts davon!« sagte sie und nahm es Nellie fort. »Es ist mein liebster und schönster Anzug. Ich mag die andern Kleider gar nicht leiden, sie sitzen so fest und sehen so geziert aus.«

      »Oh, laß mir ihn anprobieren!« bat Nellie. »Ich will ihn anziehen.«

      Dagegen konnte Ilse nichts einwenden. Sie half Nellie ankleiden, und in wenigen Augenblicken stand diese in einem ganz merkwürdigen Aufzug da. Der Rock war ihr zu kurz, da sie etwas größer als Ilse war; darunter sah das lange, weiße Nachtgewand hervor. Die Bluse war stellenweise zerrissen. Nellie war statt durch den Ärmel durch ein großes Loch dicht daneben hinausgefahren, so daß der Ärmel auf dem Rücken hing. Nun schlang sie auch noch den schäbigen Ledergürtel um ihre zierliche Taille, und dann stand sie fertig da, bis auf die Stiefel, die sie nicht anziehen mochte, weil sie zu schmutzig waren. »Bequem ist diese Kostüm, das ist wahr«, sagte sie und fing an, allerhand lustige Sprünge auszuführen und sich im Kreis zu drehen. »Man ist so luftig, so leicht.«

      Ilse brach plötzlich in ein so herzhaftes Gelächter aus, daß Nellie auf sie zueilte und ihr den Mund mit der Hand verschloß. »Du darfst nicht so toll lachen«, sagte sie, »du wirst uns verraten!«

      »Ich kann nicht anders, du siehst zum Totlachen aus!«

      Nellie trat mit der Wachskerze vor den kleinen Spiegel und betrachtete sich. »O wie abscheulich!« sagte sie und riß die Sachen herunter. »Wie kannst du so ein häßlicher Anzug schön finden!«

      Ilse verschloß ihre Herrlichkeiten wieder in den Koffer, dann wurde das Licht gelöscht, und in wenigen Augenblicken schliefen die beiden Mädchen fest und tief.

      Vierzehn Tage waren seit Ilses Aufnahme im Pensionat vergangen. Sie weinte in dieser kurzen Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, manche bittere Träne, und oft setzte sie die Feder an, um den Vater zu bitten, er möge sie zurückholen. Nur weil sie sich vor der Mutter scheute, tat sie es nicht. Sie antwortete auf die vielen und langen Briefe, die sie aus der Heimat erhielt, nur zweimal, nur kurz und mit der Entschuldigung, daß ihr die Zeit zu längeren Briefen fehle.

      Endlich, eines Sonntagnachmittags, den fast alle Pensionärinnen zum Briefeschreiben benutzten, setzte sich auch Ilse dazu an ihren Tisch. Große Lust verspürte sie nicht zum Schreiben. Sie schlug die neue Schreibmappe auf, wählte nach langem Suchen einen rosa Bogen, tauchte die Feder in das Tintenfaß und malte allerhand Schnörkeleien auf ein Stückchen Papier. Endlich begann sie den Brief. Doch nach wenigen Zeilen hörte sie auf und legte das Geschriebene beiseite. Der Anfang gefiel ihr nicht. Es wurde ein neuer Bogen geopfert und noch einer. Der vierte endlich hatte mehr Glück. Sie beschrieb ihn von Anfang bis zum Ende, ja, sie nahm noch einen fünften Bogen dazu. Sie war nun einmal ins Plaudern gekommen, immer wieder fiel ihr etwas ein, das sie dem Papa mitteilen mußte. Als Ilse zu Ende war, las sie noch einmal ihre lange Epistel.

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