Der Waldläufer. Gabriel Ferry

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Der Waldläufer - Gabriel  Ferry

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gebeten hatte, ihn kurz vor Tagesanbruch zu wecken, versenkten ihn die Müdigkeit und die aufregenden Gefühle, die er empfunden hatte, sehr bald in einen fast lethargischen Schlaf.

      Der Kanadier betrachtete ihn schweigend einige Augenblicke, wandte sich dann an Pepe und sagte: »Wenn die Gesichtszüge nicht trügerisch sind, so glaube ich nicht, daß wir es bereuen werden, diesen armen Burschen aufgenommen zu haben.«

      »Ich hatte schon Mißtrauen in ihn gesetzt«, antwortete Pepe; »aber das Zeugnis an seinem Arm beweist mir, daß er keine Freunde unter dem Dach, das er verläßt, gefunden hat, und es wird nur an ihm liegen, ob ich der Seinige werden soll.«

      »Wie alt mag er wohl sein?« fragte Bois-Rosé, dessen Gesicht die ganze Teilnahme verriet, die er bei seiner Frage empfand.

      »Er ist nicht älter als 24 Jahre, dafür stehe ich!« antwortete der gewesene Grenzsoldat. »Das meinte ich auch«, sagte der Kanadier, der mehr mit sich als mit seinem Freund zu reden schien, während ein wehmütiger Ausdruck seine rauhen Gesichtszüge sanfter erscheinen ließ; »das ist das Alter, das er haben muß, wenn er noch lebt.« Und ein Seufzer entwand sich gegen seinen Willen seiner breiten Brust.

      »Wer denn? Wen meinst du?« unterbrach ihn rasch der Spanier, in dessen Seele diese Worte zufällig ein Echo zu finden schienen. »Solltest du jemand kennen …?«

      »Das Vergangene ist vergangen, sage ich dir«, erwiderte Bois-Rosé; »und wenn etwas nicht mehr da ist, dessen Dasein man gern wünschte, so ist es das beste, es zu vergessen. Doch still – lassen wir diese traurigen Erinnerungen! Es würde mir den Appetit rauben, wollte ich mich noch länger dem überlassen, was nicht mehr ist, oder noch länger auf das hoffen, was nicht sein kann. Ich habe einsam in den Wäldern gelebt und muß einsam sterben, wie ich gelebt habe.«

      Der ehemalige Soldat, dem die Vergangenheit – obgleich aus einem ganz anderen Grund – ebensowenig freudvoll zu sein schien, sagte nichts mehr über diesen Gegenstand. Beide wechselten plötzlich die Unterhaltung und machten sich, so gut es anging, daran, die Gegenwart zu feiern, deren Symbol für sie die Hammelkeule war – oder vielmehr der Rücken, der allein noch übrigblieb. Daraus folgte denn, daß trotz des guten Willens der beiden Tischgenossen, die Mahlzeit zu verlängern, diese doch endlich ein Ende nehmen mußte.

      »Wenn ich das Vergnügen hätte, diesen Don Agustin, der der Besitzer der benachbarten Hacienda zu sein scheint, persönlich zu kennen, so würde ich ihm ein Kompliment über seine ganz besonders wohlschmeckenden Hammel machen«, sagte Pepe, einen tiefen Seufzer leiblichen Wohlbehagens ausstoßend; »besonders wenn man sie in eine dicke Lage Oregano einwickelt, um ihr Fleisch duftig zu machen. Und wenn nur seine Pferde von gleicher Güte zum Reiten sind, so werde ich sehr glücklich sein, eins von ihnen entleihen zu können.«

      »Was?« fragte Bois-Rosé. »Bist du nicht mehr mit dem deinen zufrieden?«

      »Nein, gewiß nicht! Du weißt wohl, da wir unsere Verfolgung in eine Belagerung verwandelt haben, so muß ich wenigstens mit einem guten Pferd auf jeden Fall versehen sein; ich habe hier meinen Sattel, und somit werden wir wie jede wohl organisierte Streitkraft Infanterie und Kavallerie haben. Ein Pferd weniger wird keine größere Lücke in den Scharen, die diese Wälder durchfliegen, zurücklassen als ein Hammel in den Herden – und mir wird es von großem Nutzen sein.«

      »Gut«, sagte der Kanadier. »Ich denke nicht, daß du dem Eigentümer ein großes Unrecht tust, und wünsche dir guten Erfolg. Was mich betrifft, so will ich diesem braven Jungen Gesellschaft leisten; er schläft, als ob er es seit vierzehn Nächten nicht getan hätte!«

      »Niemand wird sich wahrscheinlich diese Nacht in der Hacienda rühren; aber trotzdem schlafe nur mit einem Auge, während ich nicht da bin; und sollte es etwas Neues geben, so wird ein dreimaliges Bellen in gleichen Abständen mich benachrichtigen, auf meiner Hut zu sein.«

      Mit diesen Worten nahm Pepe den Lasso, der an seinem Sattel befestigt war, und wandte sich nach der Gegend, wo er glaubte ein Pferd anzutreffen. Bois-Rosé blieb allein. Er betrachtete abermals den jungen, neben der Feuerstelle schlafenden Mann, warf trockene Zweige ins Feuer, die einen lebhaften Glanz verbreiteten; dann legte er sich an seiner Seite nieder und war bald ebenfalls eingeschlafen.

      Der Abendwind bewegte rauschend die Wipfel, unter denen diese Männer, die einander auf so wunderbare Weise wieder begegnet waren, ruhten und nicht ahnten, daß sie zwanzig Jahre früher lange Zeit Seite an Seite geschlafen hatten – damals eingewiegt vom Brausen des Ozeans wie diesen Abend vom Rauschen der Bäume des Waldes.

      21. Fabian und Bois-Rosé

      Wenn es der göttlichen Gerechtigkeit gefällt, endlich ihre feierlichen Sitzungen zu eröffnen, nachdem sie den Zeitraum, den ihr Wille festgesetzt hat, verfließen ließ, so sieht man nicht bloß von einem Ende eines Landes zum anderen die Schuldigen und die Zeugen nach dem von den Richtern bezeichneten Ort eilen – nein, von entgegengesetzten Punkten der Erdkugel, aus den entlegensten Gegenden kommen Richter, Zeugen, Ankläger und Schuldige, gehorsam der unsichtbaren Hand, die sie vorwärts treibt, und begegnen einander auf gemeinschaftlichem Boden.

      Die Gerechtigkeit Gottes kennt für das Verbrechen keine Verjährung. Zwanzig Jahre, die seit der Ermordung der Gräfin von Mediana verflossen waren, hatten sie nicht entwaffnet – die Zeit war nur noch nicht gekommen, wo ihr Urteilsspruch in Kraft treten sollte; jetzt nahte sie heran. Schon längst zerrissene Fäden begannen sich wieder anzuknüpfen, längst getrennte Persönlichkeiten begegneten einander endlich.

      Fabian von Mediana und der kanadische Matrose, die vor zwanzig Jahren dreitausend Meilen von diesem Ort plötzlich auseinandergerissen worden waren, schliefen wieder neben derselben Feuerstelle. Ein zufällig entschlüpftes Wort konnte den Jäger das Kind, um das er täglich trauerte, konnte Fabian von Mediana den Mann wiederfinden lassen, der den Leichnam seiner Mutter gefunden und seine eigene Kindheit zwei Jahre hindurch beschützt hatte; denjenigen, dessen Name seinem Gedächtnis entfallen war, an dessen Dasein aber die Frau Arellanos‘ ihn bei ihren letzten Enthüllungen dunkel erinnert hatte.

      Wir dürfen es nicht in Vergessenheit kommen lassen, daß dies beinahe zu derselben Zeit stattfand, in der Don Estévan den Senator und den Hacendero weckte, um so plötzlich Abschied von ihnen zu nehmen.

      Unterdessen rückte die Nacht vor; die Sternbilder, die für die Reisenden in diesen Einöden die Stunden angeben, hatten den Teil des Himmels verlassen, der sich über die Lichtung ausspannte, und neigten sich augenscheinlich nach Westen. Der Kanadier, der nach der Warnung Pepes »nur mit einem Auge« schlief, hatte öfter seinen Schlaf unterbrochen, um einen Blick ringsumher zu werfen; aber das Licht der Flamme beschien nur den immer noch schlafenden Tiburcio. Pepe war noch nicht wieder erschienen.

      Unruhe und Argwohn sind nicht mit einem athletischen Körperbau wie dem Bois-Rosés vereinbar; er hatte also auch ebensooft seinen unterbrochenen Schlaf von neuem begonnen.

      Zwei Stunden vergingen noch, als ein leichtes Krachen der Zweige, ein Geräusch von Schritten, die durch den Moosteppich gedämpft waren, und besonders das Schnauben der Nüstern eines Pferdes ihn abermals aufweckten. Bald darauf zeigte sich auch Pepe. Er zog am Halfter ein Pferd nach sich, das beim Anblick des Feuers und der beiden auf dem Boden liegenden Männer vor Schrecken ängstlich schnob. »Ich bin fertig«, sagte der Spanier mit leiser Stimme, »und bringe den schönsten Renner mit, der jemals diese Wälder durchflogen hat. Ich fürchte nur, daß er sich noch ein wenig unbändig gegen den Reiter benehmen wird; aber die Hauptsache ist, daß ich ihn habe, obgleich es nicht ohne Mühe so weit gekommen ist.«

      Pepe trocknete seine von Schweiß triefende Stirn mit den Überresten eines Taschentuchs und zog gewaltsam ein prächtiges Tier ans Feuer, dem der Schrecken ein noch herrlicheres Aussehen verlieh, denn mit Ausnahme des Menschen, der von Natur König der Schöpfung

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