Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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Der Kanadier hatte sich seiner ganzen Länge nach auf das Moos gestreckt und schien mit besonderer Aufmerksamkeit eine Hammelkeule zu überwachen, die an ein Eisenholzstäbchen, das auf zwei kleinen Gabeln von demselben Holz ruhte, gespießt war und über glühenden Kohlen röstete, während deren schmackhafter Saft niedertropfte und zischend ins Feuer fiel. Er entwickelte bei diesem Geschäft so viel gastronomischen Eifer, daß er nur unvollkommen hörte, was ihm sein Kamerad sagte.
»Ich versichere dir«, sagte dieser, der auf einen Einwurf zu antworten schien, »daß, wenn man einem Feind auf der Spur ist – sei er Apache oder Christ – man sich auf gutem Weg befindet.«
»Aber«, antwortete der Kanadier, »du vergißt, daß wir nur gerade Zeit haben, nach Arizpe zu gehen, um den Preis zweijähriger Anstrengungen zu holen, und daß du mich schon zwingst, unsere beiden Jaguarhäute und die des Pumas zu opfern.«
»Ich vergesse niemals meinen eigenen Vorteil; ebensowenig aber vergesse ich auch die Gelübde, die ich getan habe; zum Beweis dafür dient, daß ich schon vor fünfzehn Jahren das getan habe, was ich nun nächstens zu erfüllen hoffe. Ich rechne darauf, noch lange genug zu leben, um jedes Ding zu seiner Zeit zu tun – nur fange ich immer beim Notwendigsten an. Ich werde immer noch die Summen vorfinden, die man uns in Arizpe schuldet; wir werden überall diese drei Häute verkaufen können, die dir am Herzen liegen – aber der Zufall, der mich mitten in diesen Einöden dem Mann begegnen läßt, dem ich soviel Haß angelobt habe, wird mir keine solche Gelegenheit wieder bieten, wenn ich sie entschlüpfen lasse.«
»Bah!« sagte der Kanadier. »Die Rache ist eine Frucht wie viele andere: sie ist süß, ehe man sie gepflückt, sie ist bitter, wenn man sie gekostet hat.«
Einen Augenblick schwiegen beide Jäger, dann begann Pepe wieder: »Es will mir indes vorkommen, Señor Bois-Rosé, daß du in bezug auf die Apachen, die Sioux, die Crow und andere innige – Feinde von dir nicht dieser Ansicht bist, denn deine Büchse hat ihnen ich weiß nicht wie viele Schädel zerschmettert, ohne die Krieger zu rechnen, denen dein Messer den Leib aufgeschlitzt hat.«
»Oh, das ist was ganz anderes, Pepe; die einen haben mir meine Häute gestohlen, die anderen haben mich halb skalpiert, alle haben mich schreckliche Augenblicke erleben lassen; und dann ist es auch eine gerechte Strafe, die Wälder und die Ebenen von solcher Brut zu befreien! Aber obgleich ich mich fast ebensosehr über die Engländer zu beklagen habe, so wird doch niemals meine Büchse einen von ihnen töten, den der Zufall vor die Mündung ihres Laufes führen könnte – ich müßte denn dazu gezwungen sein —, und das um so mehr, wenn es statt eines Engländers ein Landsmann wäre.«
»Ein Landsmann, sagst du, Bois-Rosé? Das ist ein Grund mehr! Man haßt immer nur diejenigen recht von Herzen, die man aus Pflichtgefühl oder seiner Stellung halber lieben sollte, wenn man dennoch besondere Gründe hat, sie zu hassen. Diejenigen, die dieser Mann mir gegeben hat, sind der Art, daß sie nicht so bald vergessen werden könnten, denn vor fünfzehn Jahren habe ich geschworen, ihrethalben Rache zu nehmen. Um dir die Wahrheit zu sagen, so trennte uns ein solcher Abstand, daß ich nicht wußte, wann ich meinen Eid würde erfüllen können, und ich kann es mir noch immer nicht erklären, wie zwei Menschen, die sich in Spanien gekannt haben, in diesen Wäldern einander wieder treffen. Aber dieser Tag ist gekommen, und ich wiederhole es dir: Ich will mir diese Gelegenheit nicht entschlüpfen lassen!«
Pepe schien so hartnäckig seinen Entschluß gefaßt zu haben, daß sein Gefährte wohl einsah, wie es verlorene Mühe sein würde, ihm eine andere Ansicht beizubringen, und da er einen nachgiebigen Charakter hatte und die Tat mehr liebte als den Wortstreit, so begann er nach einigem Nachdenken: »Alles in allem habe ich zu lange unter den Indianern gelebt, um deine Anschauungsweise zu mißbilligen, und wenn ich die Gründe kennte, die dich leiten, so würde ich dir vielleicht ganz beistimmen.«
»Das kann ich dir mit zwei Worten sagen«, antwortete der Jäger, den der Kanadier Pepe nannte. »Vor zwanzig Jahren war ich, wie ich dir schon gesagt habe, Grenzsoldat im Dienste Seiner katholischen Majestät. Ich wäre mit meinem Schicksal ziemlich zufrieden gewesen, denn unser Sold war gut; unglücklicherweise zahlte man ihn uns aber niemals aus. Wir hätten wohl, da wir zugleich Küstenwächter waren, auf einen guten Fang der Konterbande, der uns früher oder später entschädigt hätte, hoffen können; aber die Schmuggelei war dabei ebenso selten als die Auszahlung unseres Soldes.
Welche Hoffnung blieb auch wohl den Schmugglern übrig, zweihundert kühnen Burschen gegenüber, die immer auf der Lauer lagen? Wenn ein hungriger Magen, wie man zu sagen pflegt, keine Ohren hat, so hatte in diesem Fall der unsrige Luchsaugen, und vom Capitan bis zum letzten Soldaten fand sich ein erschreckender Eifer in Wachsamkeit und Dienstpflicht.
Unter solchen Umständen betrachtete ich die Sache aus folgendem Gesichtspunkt: Es ist klar, sagte ich zu mir, daß ein Schmuggler, wenn er sich trotz dieser Lage der Dinge an unsere Küste wagt, dies nur unternehmen wird, nachdem er sich mit dem Capitan verständigt hat. Der Capitan würde, wie du wohl denken kannst, eine solche Verständigung nicht zurückweisen und müßte in solchem Fall den Beistand desjenigen unter seinen Grenzjägern in Anspruch nehmen, der ihm das meiste Vertrauen einflößte.
Um zu diesem Ziel zu gelangen, machte ich einen Umweg: Ich tat, als ob ich immer schliefe. Ich hatte dabei einen doppelten Vorteil, denn wer schläft, ißt nicht, und von einem Tag zum anderen hoffte ich den Gewinn mit dem Capitan zu teilen, der mich vor allen wählen würde, in der festen Überzeugung, daß ich auf meinem Posten schliefe.«
In diesem Augenblick holte der Kanadier die Hammelkeule aus dem Feuer, die einen köstlichen Duft durch die kühle Nachtluft verbreitete. »Heran«, sagte er, Pepe unterbrechend, »wenn du Appetit hast; du kannst deine Geschichte beim Essen vollenden.«
»Ob ich Appetit habe?« antwortete Pepe. »Caramba! Die Erinnerung an meine Enthaltsamkeit im Dienst des Königs von Spanien macht mir immer fürchterliche Magenschmerzen.«
Die beiden Männer setzten sich einander gegenüber und bildeten mit ihren Füßen einen länglichen Kreis, dessen Mittelpunkt der Braten bildete; ein gewaltiges Geräusch der Kinnbacken unterbrach während einiger Augenblicke allein die Stille der Wälder.
»Ich sagte dir also«, nahm Pepe wieder das Wort, »daß ich immer schlief; ich tat gar nichts anderes und war wirklich nicht allzu unglücklich dabei. Eines Abends ließ der Capitan mich rufen.
Gut, sagte ich zu mir, da steckt etwas dahinter, denn der Capitan wird mir einen Posten anvertrauen. Wirklich schickte er mich zum Schlafen – so hoffte er wenigstens – an das Ufer des Meeres, und zwar sehr weit entfernt. Aber ich schlief nicht, wie du dir wohl denken kannst.
Ich fasse mich nun kürzer, denn ich spreche nicht gern beim Essen; man verliert zuviel Zeit. Kurz und gut – ein Nachen landete; der Mann, der sich darin befand, mußte Lösegeld bezahlen, dann ließ ich ihn seinen Geschäften nachgehen. – Später erfuhr ich, daß diese Geschäfte durchaus nichts mit dem Handel zu tun hatten. Es wurde Blut vergossen, das mir seit dieser Zeit einige Gewissensbisse macht … Aber warum bezahlte mich auch der König von Spanien nicht? Ich bekam Geld dafür, daß ich schwieg – ich wollte mehr haben; wir entzweiten uns, jener Mann und ich; darauf zeigte ich ihn, um auch meine Schuld zu sühnen, bei den Gerichten an; der Prozeß begann, und da die Justiz in Spanien die Überraschungen liebt, so war das Resultat dieses Prozesses, in dem ich alleiniger Belastungszeuge war, daß ich schuldig befunden und nach der Präsidentschaft Ceuta geschickt wurde, unter dem Vorwand, der Staat bedürfe meiner dort, um Thunfische zu angeln.
Heilige Jungfrau!« fuhr Pepe fort. »Ein solches Ende setzte mich in Erstaunen und war mir durchaus nicht lieb, denn ich verlor eine prächtige Stelle und hatte gar keine Lust zur Fischerei. Deshalb machte ich mich davon und kam nach tausend