Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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»Wie denn?« sagte der Senator. »Wieviel Uhr ist es denn? Oder habe ich etwa drei Tage geschlafen?«
»Nein«, erwiderte der Spanier, »aber eine große Gefahr bedroht Eure und meine Pläne: Dieser junge zerlumpte Bauer kennt ebenso wie ich das Dasein des Val d‘Or; und – was noch schlimmer ist – er liebt Doña Rosarita, und diese liebt ihn!«
Tragaduros aber, anstatt wie Don Estévan zurückzuprallen, drückte sich nach dieser Nachricht in sein Kopfkissen und rief: »Dann adieu Mitgift von einer Million, mit der ich schon liebäugelte; adieu schöne Felder mit springenden Herden, die ich schon als die meinigen betrachtete; adieu Ehre und Auszeichnungen am Hof König Karls I.!«
»Noch ist nicht alles verloren!« erwiderte Don Estévan. »Das Unglück kann wiedergutgemacht werden, aber wir müssen uns beeilen. Dieser junge Mann hat heute abend die Hacienda verlassen – wir müssen ihm zuvorkommen; wir müssen wissen, nach welcher Seite er seine Schritte gewandt hat, und ihm den Weg abschneiden. Um so schlimmer für ihn, daß ihn sein böses Geschick in unseren Weg geworfen hat.«
Der Spanier sagte weiter nichts über Tiburcio. Was den Senator betrifft, dem ohne Zweifel wenig daran lag, auf welche Weise man einen so furchtbaren Mitbewerber um den Geldkasten Don Agustins fernhielt, so bekam er den Mut wieder, den er kurz verloren hatte.
»Wie es auch ablaufen mag«, fügte Don Estévan hinzu; »dieser junge Mann wird nicht wieder in der Hacienda aufgenommen werden. Ich benachrichtige jetzt noch Señor Peña davon; Ihr seid also Herr der Festung, und an Euch ist es, so zu handeln, daß niemand in diese eindringt. Macht Euch liebenswürdig; es ist eine Kleinigkeit für Euch, da Ihr es nur mit einem Abwesenden und vielleicht mit einem – Toten zu tun habt. Diese Steppen sind so gefährlich, und Ihr kennt das Sprichwort über diejenigen, die nicht da sind.«
»Ich werde unwiderstehlich sein!« rief Tragaduros. »Denn seit gestern stehe ich in Flammen für das göttliche Mädchen, das vom Himmel herabgestiegen zu sein scheint. Es ist so weit gekommen, daß, wenn man mir die Mitgift ohne das Mädchen geben wollte, ich glaube, ich würde sie annehmen … das heißt, ich meine das Gegenteil!« verbesserte sich der Senator.
»Niemals hat ein Mann ein wünschenswerteres Ziel im Auge gehabt als diese unermeßliche Mitgift und diese schöne Blume der Steppe; laßt also kein Mittel unversucht, um Euren Zweck zu erreichen!«
»Ich will spinnen für sie, wenn es nötig ist, wie Herkules zu den Füßen der Omphale.«
»Wenn Herkules als Spinner in Omphales Augen einigen Verdienst hatte, so geschah es, weil er Herkules war, was Ihr, soviel ich weiß, nicht seid. Macht es besser: Morgen, bei jener Jagd auf wilde Pferde, zeichnet Euch durch irgendeine kühne Tat aus; besteigt zu Ehren der schönen Augen Doña Rosaritas ein ungebändigtes Pferd und bringt es keuchend und gezähmt zu ihren Füßen zurück!«
»Ich sage nicht nein … ich sage nicht nein«, erwiderte der Senator, etwas weniger von diesem zweiten Mittel, sich liebenswürdig zu machen, begeistert als von demjenigen, das die Erinnerung an eine klassische Zeit in ihm zurückgerufen hatte; »aber mir fehlen die nötigen Mittel, um den Platz eng einzuschließen; mir fehlt dieser goldene Schlüssel zum Geldkasten, der nach dem Wort eines Philosophen auch der zum Herzen ist.«
»Ich werde Sorge dafür tragen«, antwortete der Spanier. »Ich werde Euch einen bedeutenden Kredit bei Peña eröffnen; dieses verführerische Mittel darf Euch nicht fehlen. Aber Ihr denkt doch auch an unser Übereinkommen im Fall des Gelingens?«
»Fünfhunderttausend Franken durch Freigebigkeit aller Art für politische Zwecke verbraucht! Ach, wenn es mir doch ebenso leicht würde, die Mitgift zu gewinnen, als es mir sein wird, sie zu verzehren!«
Der Senator stieß einen Seufzer aus; dann gab Don Estévan ihm noch Ratschläge und Verhaltensbefehle, erinnerte ihn noch einmal an das Ziel, das sie verfolgten, indem er alle Saiten des Ehrgeizes, der Liebe und der Habsucht bei ihm erklingen ließ, drückte ihm die Hand und begab sich zum Hacendero.
Das Klirren der Sporen Don Estévans weckte Don Agustin, der beim Anblick der Reitkleider seines nächtlichen Besuches ausrief: »Ist es denn schon Zeit, zur Jagd aufzubrechen?«
»Nein, aber für mich hat die Stunde zu einer ernsteren Jagd als die auf wilde Pferde geschlagen!« antwortete der Spanier. »Es geht darum, dem Feind der Größe Eures Hauses den Vorsprung abzugewinnen – dem Mann, der die Gastfreundschaft, die Ihr ihm bewiesen habt, mißbrauchte, um eine Verschwörung um uns anzuzetteln, in der alles vernichtet werden konnte: Eure Pläne, die meinigen und die Tragaduros!«
Man sieht, daß Don Estévan Tiburcios Sache dem Hacendero in einem viel düsteren Licht darstellte als dem Senator. Wirklich mußte der letztere ganz natürlich seinen Gegner überall und immer hassen, während – alles in allem betrachtet – der reiche Eigentümer wegen seiner zärtlichen Liebe für seine Tochter die Dinge in einem viel günstigeren oder doch weniger traurigen Licht betrachten konnte.
»Die Größe meines Hauses, die Gastfreundschaft, die man mißbraucht?« rief der Hacendero ganz erstaunt, indem er mit einer Hand nach einer langen, breiten Toledoklinge griff, die am Kopfende des Bettes hing – ganz wie ein Mann, der immer bereit ist, sein gutes Recht beim Schwert zu suchen. »Wer bedroht die Größe meines Hauses? Wer mißbraucht meine Gastfreundschaft?«
»Beruhigt Euch!« erwiderte Don Estévan, innerlich lächelnd über den Gegensatz zwischen dem jugendlichen Feuer dieses schon gereiften, aber an ein gefahrvolles Leben gewöhnten Mannes und der Zaghaftigkeit des Senators. »Der Feind ist nicht mehr hier; er ist entflohen und hat damit selbst sein Urteil gesprochen.«
»Aber wer ist denn dieser Feind?« fragte Peña.
»Tiburcio Arellanos!«
»Er ein Feind?« erwiderte der Hacendero. »Das ist unmöglich! Rechtlichkeit und Mut sind auf sein Gesicht gezeichnet; die Schilderung, die Ihr da von ihm entwerft, ist die eines Verräters und Feiglings!«
»Er weiß, wo das Val d‘Or liegt! Er liebt Eure Tochter!«
»Ist es weiter nichts als das? Ich habe es Euch ja selbst gesagt!«
»Ja; aber Eure Tochter liebt ihn wieder, und das wißt Ihr nicht.« Und er erzählte dem Hacendero die Ereignisse dieses Abends, ohne ihm etwas zu verschweigen.
»Um so schlimmer für den Senator«, meinte Peña.
»Denkt an Euer Wort, das Ihr nicht nur mir oder Tragaduros allein gegeben habt, sondern einem Prinzen aus dem königlichen Blut Spaniens, dessen teuerste Interessen ich vertrete und dem dieses Ereignis – so einfach es auch ist —, dieser Eigensinn eines kleinen Mädchens die Krone vom Haupt reißen kann! Denkt an Euer Land, das seine Wiedererhebung, seinen Ruhm, seine künftige Macht von dem Bündnis erwartet, wozu Ihr Euer Wort verpfändet …«
»Was hat denn mein Wort mit solchen Betrachtungen zu tun? Habt Ihr nicht mein Wort? Ich nehme es niemals zurück; aber nur dem Herzog von Armada habe ich es gegeben, nur Ihr allein könnt mich davon entbinden. Seid Ihr zufrieden mit dieser Versicherung?«
»Warum sollte ich es nicht sein?« rief der edle Spanier und reichte dem Hacendero die Hand. »Sei es so: Ich habe Euer Wort und nehme alles übrige auf mich. Aber dieser junge Mann kann Helfershelfer finden und früher als wir zur Eroberung des Val d‘Or aufbrechen; ich muß also nach Tubac und ihm zuvorkommen – das ist der Grund, warum ich Euch so plötzlich verlasse.«
»Wie sich auch alles gestalten mag – Rosarita