Der Waldläufer. Gabriel Ferry
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Waldläufer - Gabriel Ferry страница 39
Anfänglich, eine Zeit hindurch – und die Zeit schien den beiden Lauschern sehr lang —, hörten sie nur jene gewöhnlichen Redensarten eines Liebenden, der sich in zärtlichen Klagen und Vorwürfen ergießt, die er für wohlverdient hält; der sich in Beweisen erschöpft, die ihm unumstößlich scheinen, während die Frau sie spielend mit jener freien, bestimmten und fest geschlossenen Logik widerlegt, die sie mit so großem Erfolg gegen den Mann anwendet, den sie nicht liebt. War Tiburcio wirklich ganz in dem Fall, wo das Ohr der Frau taub ist, weil ihr Herz stumm bleibt? Das Folgende wird es uns lehren; fassen wir zunächst den Anblick der Szene auf, wie sie sich unter den Augen Don Estévans de Arechiza und Cuchillos gestaltete.
Ein schwacher Lichtglanz, der sich aus dem offenen Fenster Doña Rosaritas hervorstahl, verlor sich auf dem Sand des Gartens. Hinter starken Eisenstäben stand aufrecht das junge Mädchen, weiß gekleidet, in einer Stellung voll Anmut und Ungezwungenheit, und trat aus der erleuchteten Fensternische wie eine geheimnisvolle, strahlende Erscheinung hervor. In einer solch milden, balsamischen Nacht war sie womöglich noch verführerischer als im Salon der Hacienda; denn gerade durch das Gitter ihres Balkons hindurch scheinen die Frauen spanischen Ursprungs den mächtigsten Zauber auszuüben. Der seidene Schleier umhüllte ihr Haupt, und dessen zarte Falten wogten bei jeder unwillkürlichen Bewegung wie die Federn der Taube über Hals und Schultern. Man konnte am Fenster, das zur ebenen Erde war, durch das Gitter hindurch ihre elegante Taille bemerken und bis zum kleinen Schuh hinblickten, den sie trug.
Tiburcio hatte die Stirn gegen die Stäbe gestützt und schien sich zu beugen unter einem harten, unwiderruflichen Ausspruch oder einer verzweifelten Überzeugung. »Ach«, sagte er, »ich habe nicht wie Ihr, Rosarita, den Tag vergessen, an dem ich Euch das erstemal im Wald sah. Bei der düsteren Abenddämmerung konnte ich von Eurer Gestalt nur einen Schatten unterscheiden; aber einen Schatten, verführerisch wie der des Geistes dieser Wälder. Schon in Eurer Stimme schien mir eine solche Anmut zu liegen, wie sie die Stimmen, die ich bis dahin gehört hatte, nicht besaßen.«
»Ich habe den Dienst, den Ihr uns geleistet habt, nicht vergessen, Tiburcio«, sagte das junge Mädchen; »aber wozu nützt es, eine Zeit zurückzurufen, die nicht mehr ist?«
»Eine Zeit, die nicht mehr ist? Nennt ihr so den Zeitpunkt, wo mir mein Leben erst anzufangen scheint? Aber diese Zeit ist nicht vergangen für mich; mir ist, als ob es gestern gewesen wäre. Denn«, fuhr Tiburcio fort, der melancholisch alle Blätter seiner Erinnerung zerpflückte, wie man einen Strauß, den eine treulos gewordene Hand uns gereicht hat, nach und nach entblättert und dabei doch jede Blume bedauert, »so strahlend auch die Schönheit war, die mir erschien, als die Flamme der Feuerstätte nach und nach Eure Gestalt beleuchtete – ich hatte sie doch schon am Klang Eurer Stimme erraten, an dem Empfinden, in das sie mich versetzte.«
Wenn Tiburcio, anstatt seine Augen beim Sprechen niederzuschlagen, sie auf Doña Rosarita gerichtet hätte, so hätte er in ihrem Blick, auf ihrer Stirn jene Aufregung bemerkt, von der das Herz vielleicht nicht erreicht wird, die aber bei einer Frau durch eine aufgeregte, leidenschaftliche Stimme, die einen Hymnus auf ihre Schönheit singt, hervorgebracht wird.
Tiburcio war ganz in süßen und bitteren Erinnerungen versunken, die er nur allein zurückzurufen schien, ganz wie ein Mensch, der in dem getrübten Spiegel eines Baches die anmutigen Bilder, die einst sein klares Wasser widerstrahlte, noch einmal zusammenzusetzen sucht. Er fuhr mit sanfterer und bewegterer Stimme fort. »Ich habe ebensowenig die Lianenblüten vergessen, die ich für Euch pflückte und die mir frischer und wohlriechender vorkamen, wenn sie vom Duft Eures Haares erfüllt waren! Dieser süße Duft war also nur ein feines Gift, das eine unheilbare Liebe in meine Adern ergoß? Narr, der ich war! Diese Glockenblümchen sagten mir: ›Berausche dich, aber hoffe!‹ Und ich? Ich berauschte mich mit Hoffnung! Ist es möglich, Rosarita, daß Ihr die Erinnerungen vergessen hättet, die mir bis jetzt das Leben erhalten haben?«
Es gibt gewisse rücksichtslose Data, an die die Frauen nicht immer sich zu erinnern geruhen, so genau man sie auch erwähnen mag. Doña Rosarita schwieg einen Augenblick, als ob ihr rebellisches Gedächtnis die Einzelheiten, die Tiburcio anführte, vergessen hätte. »Nein«, sagte sie endlich mit leiser Stimme, um nicht etwa ein leichtes Zittern zu verraten; »aber wir waren damals noch zwei Kinder! Jetzt …«
»Jetzt ist das alles vergessen, weil ein artiger Herr aus Arizpe gekommen ist und die Gnade gehabt hat, Euch in seine ehrgeizigen Pläne mit einzuschließen!«
»Mich in seine ehrgeizigen Pläne mit einzuschließen? Und wer sagt Euch, daß nicht vielmehr im Gegenteil ich es bin, die es für angemessen hält, ihn in die meinigen mit einzuschließen?«
»Das ist sonderbar«, antwortete Tiburcio; »dieser Don Estévan, den ich noch mehr als jenen Senator verabscheue, hat Euch – sagt Ihr – von den Vergnügungen in Madrid und von jenen märchenhaften Ländern, die es jenseits des Meeres geben soll, erzählt, und Ihr wünscht, es mit eigenen Augen zu sehen?«
So weit war Tiburcio in seinen Vorwürfen gekommen, die jeder Mann mit Recht glaubt an die Frau richten zu dürfen, deren Liebe er nicht hat erwerben können, als hinter dem dichten Orangengebüsch, das Don Estévan und Cuchillo verbarg, sich ein fast unhörbares Rauschen der Blätter hören ließ.
»Still!« rief das junge Mädchen. »Habe ich nicht ein Geräusch gehört?«
Tiburcio wandte sich rasch um und hätte gern den dumpfen Zorn, der in ihm grollte, an irgend jemand ausgelassen; aber die Strahlen des Mondes beleuchteten nur die Blätter der Orangenbäume; alles war ruhig. Er nahm darum bald wieder seine finstere, tiefsinnige Haltung an. Der Schmerz hatte sogleich wieder von seiner Seele Besitz genommen, die der Zorn nur wie ein einziger Blitz einen dunklen Himmel durchzuckt hatte. »Es ist vielleicht der Geist irgendeines armen Liebenden, der vor Verzweiflung gestorben ist und in diesen Bäumen seufzt«, sagte er melancholisch.
»Jesus, Ihr erschreckt mich!« rief das junge Mädchen und zog unter seinem Schleier den bloßen Arm hervor, um sich hastig zu bekreuzigen. »Glaubt Ihr denn, daß man davon sterben kann?« fragte es naiv.
Ein trauriges Lächeln spielte auf den Lippen Tiburcios. »Hört, Rosarita, Ihr seid ehrgeizig, sagt Ihr. Wohlan, wenn ich nun alles, was Euch versprochen ist, Euch ebenfalls geben könnte? Hört«, sagte er, »ich habe bis jetzt nur die Sache des armen und verwaisten Tiburcio geführt; ich will jetzt für den Tiburcio Arellanos sprechen, der reich und mächtig zu werden im Begriff steht; ich werde angesehen werden, denn ich will Euch einen berühmten Namen anbieten.«
Bei diesen Worten hob Tiburcio eine vertrauensvolle Stirn gen Himmel, auf der der Stolz eines alten Geschlechts wieder aufzuleben schien. Zum erstenmal seit dem Anfang dieser Unterredung hatte er aufgehört, unverständig zu sprechen; Rosarita lieh ihm auch aufmerksam ihr Ohr.
17. Mangel an Verständnis
Die beiden Lauscher hatten nicht ein Wort von der ganzen Unterhaltung und kaum eine Gebärde aus dem Schauspiel verloren, das sich unter ihren Augen zutrug. Bei den letzten Tiburcio entschlüpften Worten und während er sich einen Augenblick sammelte, wechselten Don Estévan und Cuchillo einen raschen Blick. Wut und Verwirrung kämpften auf dem Gesicht des Banditen, der grimmig seine eigene Bestürzung sah und fühlte, wie er von Tiburcio getäuscht war – und das nach der unverschämten Art, mit der er sich gegen Don Estévan gerühmt hatte, er habe ihn ganz ergründet und auch seine geheimsten Gedanken gelesen.
Was den edlen Spanier