Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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»Nichts?« wiederholte der Spanier.
»Das heißt, der junge Mann konnte mir nichts sagen, da er selbst nichts wußte. Sein Herz hat für mich keine Geheimnisse mehr.«
»Was? Er ahnt nicht das Dasein des Val d‘Or?«
»Nicht mehr als die Stelle, wo das irdische Paradies liegt«, antwortete Cuchillo unverschämt.
»Und was will er auf der Hacienda machen? Er befand sich auf dem Weg hierher und hatte doch ohne Zweifel irgendeinen Zweck im Auge, als er sich hierher wandte.«
»Er will Don Agustin um einen Dienst bitten; um den allerkleinsten: eine Stelle als Hirt.«
»Man sieht wirklich, daß Ihr sehr mit ihm vertraut geworden seid.«
»Ich schmeichle mir. Mein Scharfsinn …«
»… steht mit Eurem Gewissen auf derselben Stufe«, sagte der Spanier ernsthaft.
Cuchillo verbeugte sich auf jeden Fall.
»Auf einem so langen Weg«, fuhr Arechiza fort, »wie der ist, den ihr zusammen zurückgelegt habt, plaudert man von tausend gleichgültigen oder ernsten Dingen, wenn man nämlich soviel Vertrauen einflößt, wie dieser junge Mann so ganz … unaufgefordert Euch bewiesen hat; von Herzensangelegenheiten zum Beispiel … Nun, hat er Euch denn nicht andere Absichten mitgeteilt? Vielleicht irgendeine Jugendliebe?«
»Und in wen, zum Teufel, sollte er sich in diesen Steppen verliebt haben? Dieser arme Tiburcio setzt ein mittelmäßiges Pferd weit über das schönste Weib!«
»Ach so!« sagte der Spanier, der nicht länger ein spöttisches Lächeln, das Cuchillo schaudern ließ, zurückhalten konnte. »Nun, Eure Jugend versprach mehr, Freund Cuchillo.«
»Sollte ich etwa zufällig weniger leisten?« fragte der von diesem Vorwurf verwirrt gemachte Bandit.
»Ich fürchte ja; und wenn – wovor Gott Euch behüten möge – Euer Gewissen ebenso dickhäutig als Euer Scharfsinn handfest ist, so wird Euch eine kleine Sünde nicht im Schlaf stören.«
»Wie meint Ihr das?« fragte Cuchillo, obgleich er fühlte, daß er offenbar die Rolle eines Dummkopfs spielte.
»Ich meine, daß bei der einzigen guten Handlung, die Ihr getan habt, Eure Hand sehr unglücklich war.«
»Eine gute Handlung?« wiederholte Cuchillo, der sich ganz verlegen zu erinnern suchte, bis zu welchem Abschnitt seines Lebens er zurückgehen müßte, um eine zu finden.
»Ja, durch die Rettung des jungen Mannes!«
»Aber Ihr habt ja diese gute Handlung begangen; denn für mich war sie ja nur gewinnbringend.«
»Sei es! Ich wollte sie Euch leihen trotz des Sprichwortes, das sagt, daß man nur dem Reichen leihen soll. Doch hört, was ich erfahren habe; ich, der ich mir weder soviel Gewissenhaftigkeit noch soviel Scharfsinn anmaße als Ihr! Dieser junge Mann hat in seiner Tasche die Marschroute zu dem fraglichen Val d‘Or und alle prachtvollen Pferde des Vaters seiner Geliebten zu seiner Verfügung; er kommt zu dieser Hacienda, um sich zu ihrem künftigen Eigentümer zu machen!«
»Tod und Blut!« rief Cuchillo zurückprallend. Dann, ruhiger geworden durch den spöttischen Blick des Spaniers, sagte er: »Das kann nicht möglich sein! Ich hätte mich von einem Kind nicht so bei der Nase herumführen lassen …«
»Dieses Kind ist ein Riese gegen Euch, Cuchillo«, sagte der Spanier kalt.
»Es ist unmöglich!« erwiderte Cuchillo aufgeregt.
»Wollt Ihr Beweise?«
»Gewiß! Ich muß sie haben!« antwortete der Bandit, seine Wut verbeißend.
»Ihr wollt sie haben, Cuchillo?« fuhr der Spanier sehr ernsthaft fort. »Bedenkt, daß sie von der Art sind, Euch von der Fußsohle bis zum Scheitel mit Schauder zu bedecken!«
»Ich will sie haben, wie sie auch sein mögen!« sagte Cuchillo mit erstickter Stimme.
»Merkt wohl – ich rede nicht von Eurem Gewissen; das bekommt niemals Schauder. Ich will nur von dem Schauder körperlicher Angst reden, wie ihn etwa der Anblick des Jaguars beim Menschen hervorruft; Ihr wißt …« Don Estévan hielt inne; es war in seinem eigenen Interesse sehr leicht, durch seine Überlegenheit einen Mann zu erdrücken, dessen Treue ihm aus tausend Gründen verdächtig war. Er fuhr fort: »Tiburcio stammt aus einem Geschlecht – scheint von einem Geschlecht zu stammen, wollt‘ ich sagen —, dessen Feinde nicht lange leben; von einem Geschlecht, das Verstand und Kraft als Erbteil empfangen hat – und Ihr seid sein Todfeind! Fangt Ihr an, zu begreifen?«
»Nein«, sagte Cuchillo.
»Wohlan! Ihr werdet es jetzt durch einige sehr einfache Fragen begreifen lernen. Hier ist die erste: Habt Ihr auf Eurer Expedition mit Arellanos nicht ein Pferd geritten, das mit dem linken Fuß strauchelte?«
»Ach!« machte Cuchillo erbleichend.
»Sind es wohl die Indianer, die Euren Gefährten erwürgt haben?«
»Ich soll es vielleicht sein?« wiederholte der Bandit mit häßlichem Lächeln.
»Habt Ihr nicht in einem tödlichen Kampf eine Wunde am Fuß erhalten? Habt Ihr nicht auf Euren Schultern den Leichnam Arellanos‘ getragen?«
»Ja, um ihn den Beschimpfungen der Indianer zu entziehen!«
»Und aus diesem Grund stürztet Ihr in einen nahen Fluß einen Leichnam, der – vielleicht noch gar kein Leichnam war?«
Der helle Mondschein warf durch das Blätterdach der Granatbäume ein bleiches Licht auf die Gestalt des Banditen, der mit verstörten Blicken diese Beweise eines Mordes anhörte, ohne begreifen zu können, woher sie kamen; eines Mordes, den er für immer in der Steppe begraben wähnte.
Man kann sich leicht denken, daß Cuchillo beim Verkauf seines wertvollen Geheimnisses an Don Estévan sich nicht mit großer Selbstliebe wegen der Art und Weise gerühmt hatte, wie er in dessen Besitz gekommen war. Er war leicht über seine erste Expedition nach dem Val d‘Or – wenigstens was seine Gefährten betraf – hinweggegangen, um einzig und allein die Einzelheiten hervorzuheben, die am meisten geeignet waren, den Señor aus Spanien von der Wichtigkeit der Entdeckung zu überzeugen. Man kann sich nun einen Begriff von seinem Entsetzen machen, als er sah, daß die Steppe geredet hatte.
»Weiß Tiburcio das?« fragte Cuchillo mit schlecht verhehlter Ängstlichkeit.
»Nein; aber er weiß, daß der Mörder seines Vaters ein Pferd hatte wie das Eure; daß er am Fuß verwundet war; daß er den Leichnam seines Vaters ins Wasser geworfen hat; er weiß nur den Namen des Mörders nicht. Doch damit ich auf Eure Ehrlichkeit bauen kann … Ich meinesteils werde bei dem geringsten Argwohn dieses Geheimnis jenem jungen Mann übergeben, der Euch wie einen Skorpion zertreten wird … Echtes Blut kann sich nicht verleugnen. Also, ich wiederhole es Euch: Kein Verrat, Cuchillo, keine Treulosigkeit, oder Euer Leben wird mir dafür bürgen.«
Solange ich es noch habe, sollst du dieses Geheimnis bezahlen, dachte Cuchillo bei sich. Was Tiburcio anlangt, so kann man es morgen um diese Zeit seinen Ohren anvertrauen – sie werden es nicht mehr hören. »Wie dem auch sein mag«, sagte er unverschämt; »Eure