Münchhausen. Karl Immermann

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Münchhausen - Karl  Immermann

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der großen Sprachverderbnis Mode war. In jenen wechselnden Kostümen, und in diesem Deutsch, gorge-de-pigeon, bestand das Interessante; was aber den Spleen angeht, so führte ich immer Kampfer bei mir, um das Geheimnis frisch zu erhalten. Davon bekommt man nämlich eine blasse Couleur; ich sah bald aus, als hätte ich schon zehn Jahre im Grabe gelegen. Als ich mich eines Tages in meinem Toilettenspiegel, deren ich damals, wo ich der Eitelkeit frönte, stets mehrere besaß, zu Gesichte bekam, und meine bleiche Farbe erblickte, ging mir ein lichter Gedanke im Kopfe auf. »Sehe ich nicht wie eine Leiche aus?« sagte ich zu mir selber. »Ich will mich den Verstorbenen nennen.« Gesagt, getan! Dieser Einfall hat Wunder gewirkt. Einen Verstorbenen hatten die Deutschen noch nicht gehabt. Und nun gar ein Verstorbener, der so traulich mit ihnen zu plaudern wußte, und ihnen tausend Geschichtchen erzählte, die ein Lebender allenfalls auch in jedem Klatschzimmer der Sozietät hätte auftreiben können! Jung und alt, Männer und Weiber, Gelehrte und Idioten drängten sich zu den Leichenspuren des Verstorbenen; die alte Fabel wurde wieder neu, welche das Volk hinter einem geschmückten Verwesten jubelnd herwandern läßt. Geheime Künste haben es aus der Gruft emporbeschworen, die Menge zu locken. Die Jünglinge drängen sich begehrlich heran, mit der buntgeschminkten Frau Venus zu tanzen; immer weiter lockt die pestdampfende Schönheit, welche ihnen wie Zibeth und Ambra riecht, die Lüsternen; endlich auf einem Kirchhofe fallen die Gewänder von den klappernden Gebeinen ab, und ein scheußliches Skelett faucht ihnen den Spruch zu: »Sic transit gloria mundi.« Aber mit mir kam es nicht so weit, vielmehr blieb ich, obgleich ein duftender Verstorbener, recht inmitten der Gloria Mundi. Nachdem ich so berühmt geworden war, strich ich durch die ganze Welt, kam auch im Vorbeigehen durch Afrika; in Algier wurde ich Arabisch mit allen Formalitäten, hatte dann gutes Logis bei Vizekönigs von Ägypten. Er wurde mein Duzbruder, und ich mußte ihm tausend Sachen erzählen, die er mir alle geglaubt hat. Weiter oberhalb nach Nubien zu, unfern der großen Katarakte, stieß mir ein hübsches Abenteuer mit einem Nilpferde auf. Ich sitze am Strom im Schilf, in naturalibus, wie mich der Herr geschaffen hat, denn anders bin ich in Afrika nie gegangen; esse mein Mittagsbrot in guter Ruhe, siehe da, schießt eine Bestie von Hippopotamos auf mich zu, und hat mich im Rachen, ehe ich noch rufen kann: »Qui vive!« Ich indessen nehme in der Geschwindigkeit mein bißchen Geistesgegenwart zusammen, schreie in dem Rachen, als das Vieh mich eben verschlucken will: »Monsieur! Monsieur! avec permission, je suis son Altesse telle et telle!« Was geschieht? Sie mögen es mir glauben oder nicht: Die gute Seele von Nilpferd spuckt mich auf der Stelle aus, wischt sich die Tränen aus den Augen...«

      »Womit? Womit?« rief der Baron.

      »... mit einem Palmblatte, welches die ehrliche Haut in die rechte Vorderpfote nimmt; errötet, und rennt beschämt davon. So weit haben es Vizekönigs schon in Ägypten gebracht, daß selbst die Hippopotamoi vor literarischen Sommitäten Respekt bezeigen.«

      »Ich meine, das Nilpferd nähre sich nur von Vegetabilien, nicht von Fleisch«, wandte das Fräulein bescheiden ein.

      »Es ist vermutlich kurzsichtig gewesen, und hat mich für eine Pflanze angesehen«, antwortete der Freiherr. »Ich weiß, was ich weiß; ich habe im Rachen drin gesteckt. Wahrheit muß Wahrheit bleiben, und ehrlich währt am längsten. Wo blieb ich stehen? Ja, in Afrika. Warum soll ich Sie aber mit solchen Kleinigkeiten aufhalten? Ich war bald afrikamüde, wie ich europamüde gewesen war, beschloß daher nach Amerika zu reisen, vorher aber einen Abstecher nach Deutschland und England zu machen, wohin mich verschiedne Gründe zuvor riefen.

      Erstens hatte ich das Interessante und den Spleen etwas verlernt, und wollte daher wieder in Berlin und in London meinen Kursus machen. In Afrika sind die Leute gar nicht interessant, der Koran begünstigt diese Richtung nicht, eine arabische Schnauze ist wie die andre, und was den Spleen betrifft, so vertreibt den der Vizekönig von Ägypten durch die Bastonade; es gibt kein efficaceres Mittel gegen Schwermut, als sie. Einmal hatte ich mich mit ihm etwas brouilliert, wie das unter Freunden wohl kommen kann; da dachte ich an die möglichen Folgen für die Fußsohlen, und von dem Gedanken schon war aller Spleen weg, selbst bis auf die Erinnerung. Es kam zum Glück nicht zu jenen Folgen, wir versöhnten uns und aßen noch denselben Mittag Sauerkraut mit Schweineohren zusammen, denn er ist ein aufgeklärter Türke, und will nächstens in einer Schrift beweisen, daß Mahomet ein Produkt der Gläubigen sei. Wo blieb ich stehen? Ja so; bei dem Spleen. Nun, das Interesse hatte ich aus Mangel an Anschauungen in meiner Umgebung ebenfalls wieder eingebüßt. Ich mußte also schon deshalb nach Deutschland und England.

      Diesmal war ich genötigt, in Berlin für den Unterricht im Interessanten eine Bonne zu nehmen, die Mère Oye, der es im Rückblick auf Personen und Zustände nicht gegangen war, wie Lots Weibe bei einer ähnlichen Gelegenheit. Denn, anstatt zur Salzsäule zu erstarren, war sie nur immer gesprächiger und merkurialischer geworden. Viele Leute wollten der guten Mère und Commère etwas am Zeuge flicken; sie sagten, all ihr Geistreicheln und Interessantisieren sei doch purer Waschschaum, aber ich muß die Mère Oye verteidigen. Auf hohe Ziele hat sie es überhaupt nicht abgesehen; sie gedenkt nur ihrer Ahnmütter, die urlängst durch Schnattern das Kapitol retteten. Und da übt sie nun mittlerweile ihr Organ, um bei Stimme zu sein, wenn dermaleinst das Kapitol des plattierten Liberalismus in Deutschland gefährdet werden sollte.«

      »Warum gingen Sie aber nicht zu Ihrem alten Lehrer?« fragte der Baron.

      »Der saß in Paris dazumal und las altfranzösische Manuskripte. Ich reiste von Algier über Toulon und jene Hauptstadt, und traf ihn auf der Bibliothek. Da sah ich nun ein wahres Wunder jetziger Bücherschnellfabrikation oder Schnellbücherfabrikation. Denn es ist gewiß; Sie mögen mir es glauben, oder nicht, mit der linken Hand schlug er die Blätter des pergamentenen Folianten um, der vor ihm lag, und mit der rechten schrieb er gleichzeitig ein Buch darüber oder daraus, so daß, wenn er links in Folio fertig gelesen hatte, ihm rechts ein Oktavband abgegangen war. Dazwischen diktierte er noch ein spirituelles Billett an eine Komödiantin, und unterhielt sich mit einem Arrondissementscommissair gründlich über das Pariser Grisettenwesen. Er blieb folglich nur drei Stadien hinter Cäsars Vielseitigkeit zurück.

      Was aber der zweite Grund meines Abstechers nach Deutschland war, ich wollte mir dort wieder einen guten Bedienten mieten. Meinen bisherigen hatte ich abschaffen müssen; er wollte auch interessant sein, und hielt deshalb beständig Maulaffen feil. Als Interessanter von Distinktion glaubte ich Einspruch tun zu dürfen, aber da die Gewerbefreiheit überall herrschte, so war in der Sache nichts zu machen; jeder Lump durfte interessant sein.

      Nur aus Deutschland wollte ich mir den Ersatzbedienten holen, denn jedes Land hat seine eigentümlichen Produkte, die man nirgends anders so gut bekommt. Spanien hat seine Weine, Italien den Gesang, England die Konstitution, Rußland den festesten Juchten, Frankreich die Revolution, und in Deutschland geraten die Bedienten am besten.«

      Dreizehntes Kapitel

Der Freiherr beginnt eine historische Novelle von sechs verbundnen kurhessischen Zöpfen zu erzählen, wird aber von dem Ausbruche der Verzweiflung bei dem Schulmeister Agesilaus unterbrochen, und verspricht geordnetere Mitteilungen

      »Da, wo die buschichten Anhöhen des Habichtwaldes gegen Abend, die Hügelketten des Reinhartwaldes gegen Mitternacht, der felsichte Sörewald gegen Mittag zu einem weiten Tale auseinandertreten, durch welches die Fulda in mannigfachen Krümmungen von Mittag nach Mitternacht ihre Fluten wälzt, gegen Morgen aber eine lachende Ebne sich auftut, über welcher in weiter Ferne der majestätische Meißner sein blaues Haupt erhebt, liegt Kassel...«

      »O Ihr heiligen und gerechten Götter, wohin soll denn nun das wieder führen?« stöhnte der Schulmeister Agesilaus, den die Erzählungen des Freiherrn in einen Zustand versetzt hatten, welcher sich schwer beschreiben läßt.

      »... liegt Kassel, die Hauptstadt des Kurfürstentums Hessen. Reinliche, breite Straßen durchschneiden die obere oder Neustadt, deren Gebäude fast alle von regelmäßiger Bauart sind, während die untere oder Altstadt mehr dem Schmutze und der Krümme anheimgefallen ist. Mehrere schöne öffentliche

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