Münchhausen. Karl Immermann

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Münchhausen - Karl  Immermann

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versammelt war, ein heftiger Lärmen. Bei dem Schulmeister Agesilaus brach nämlich in diesem Augenblicke die Verzweiflung, in welche ihn die Erzählungen des Freiherrn versetzt hatten, auf die gewaltsamste Weise aus. Er warf seinen groben und zerrissenen Mantelkragen ab, und rannte in der kurzen wollnen Jacke, die er unter demselben trug, mit den Gebärden eines Verlornen im Zimmer auf und nieder. »Nein, was zuviel ist, ist zuviel, und der menschlichen Geduld sind ihre Grenzen gesteckt!« rief er schluchzend aus. »Meine hochverehrten Gönner, ich bitte zehntausendmal wegen dieser meiner Unhöflichkeit um Vergebung, aber ich kann mir nicht helfen, ich muß mir Luft machen, sonst bin ich ruiniert mit Kind und Kindeskind! Münchhausens Lügen, Homöopathie, kurhessische Zöpfe, saure Milch, Apapurincasiquinitschchiquisaqua, Mama Gans, Rhinozerosse, Verstorbne, Vizekönigs von Ägypten, altfranzösische Manuskripte, Grisetten, Juchten, Rothschild, Varinas linker Hand oben — — wer dabei den Verstand behalten will, der muß einen weniger geordneten Kopf haben, als ich leider besitze. Herr von Münchhausen beginnen zu erzählen, dann fangen wieder andere Personen an, in diesen Erzählungen zu erzählen; wenn man nicht schleunig Einhalt tut, so geraten wir wahrhaftig in eine wahre Untiefe des Erzählens hinein, worin unser Verstand notwendig Schiffbruch leiden muß. Bei den Frauen, die mit Schachteln handeln, stecken oft vierundzwanzig ineinander, so kann es fürwahr auch hier mit den Geschichten gehen, denn wer schützt uns davor, daß alle sechs Gebrüder Piepmeyer sich wieder von sechs Wachtkameraden sechs Geschichten vorplaudern lassen, und daß solchergestalt sich die historische Perspektive in das Unendliche verlängert? Herr von Münchhausen wollten uns das Wort der Wahrheit vertrauen, wodurch Ihr Ahnherr an dreihundert Menschen tötete; statt dessen werden wir auf die Cordilleras und von da nach Afrika gehetzt, und jetzt sind wir wieder in Hessenkassel, und wissen nicht, warum wir da sind. Herr von Münchhausen, ich halte Sie für einen großen, wunderbar begabten Mann, aber ich bitte Sie um die einzige Gnade, erzählen Sie etwas geordneter und schlichter. Sie wollen, wie ich vernehme, unsrem Herrn Baron länger die Ehre Ihres Besuchs schenken; es muß Ihnen daher selbst daran liegen, uns nicht schon in den ersten Tagen außer Fassung zu setzen und geistig zu vernichten.«

      Nach dieser Rede entstand eine bedeutende Pause. Der Wirt sah verlegen, der Gast groß vor sich hin, das Fräulein warf einen Blick des Zorns auf den Schulmeister, einen Blick der begeistertsten Hingebung auf den Freiherrn. Der Schulmeister stand atmend in einer Ecke, und schien sehr angegriffen zu sein.

      Zuerst redete der Freiherr wieder und sagte: »Daß ich so brüsk unterbrochen worden bin, tut mir leid. Ich kann versichern, daß ich meinen Stoff beherrsche, und daß in meinen Geschichten, wie in meinem Geiste, alles zusammenhängt. Ich würde Sie aus der hessischen Wachtstube wieder zu den Indianern auf der smaragdgrünen Bergebne...«

      »O die smaragdgrüne Bergebne!« rief das Fräulein enthusiastisch.

      »... auf der smaragdgrünen Bergebne zurückzuführen imstande gewesen sein, und Sie würden bald eingesehen haben, in welcher Verbindung die sechs verbundenen kurhessischen Zöpfe mit dem Worte der Wahrheit stehen, durch welches mein Ahnherr an die dreihundert Menschen vom Leben zum Tode brachte. Freilich für manche sind manche Kombinationen zu hoch.«

      »Jawohl!« rief das Fräulein scharf und bitter. »Kaviar ist nicht für das Volk. Anders als sonst in Menschenköpfen, malt sich in diesem Kopf die Welt.«

      Da sich keine behagliche Unterhaltung wieder machen wollte, sagte endlich der alte Baron, der dem Schulmeister eigentlich im stillen beistimmte: »Das Schlimmste wäre nun, wenn wir Ihrer ferneren, so sehr interessanten Mitteilungen verlustig gingen, lieber Münchhausen.«

      »Mein Geist hat die Eigenheit«, erwiderte dieser, »daß er, wie ein Räderwerk, sofort stillsteht, wenn auch nur ein Zahn, nur ein Federchen gebrochen wird. Alles, was den Vorfällen in der Wachtstube zu Kassel folgte, die ganze Ideenverbindung zwischen diesen Ereignissen und meines Ahnherrn Worte der Wahrheit, von welchem ich ausging, ist nun für immer verloren und bleibt Ihnen auf ewig verhüllt; das einzige, was ich zusagen kann, besteht darin, daß ich die Geschichte von den sechs verbundenen Zöpfen zu Ende erzähle. Dann muß ich, wenn Sie mich noch weiter hören mögen, auf andre Materien übergehen.«

      Der alte Baron rückte ihm freundlich näher, und flüsterte ihm schmeichelnd ins Ohr: »Und bei diesen Materien haltet Ihr Euch mehr an der Stange, nicht wahr, trautestes Münchhausenchen? Ich bitte Euch nicht der Sache halber darum, die ist gewiß so am besten versorgt, wie Ihr sie gegriffen habt; es ist nur wegen unsrer schwachen Fähigkeiten, zu denen Ihr Euch herablassen müßt, wenn wir durch Euch aufgeklärt werden sollen.«

      »Ich will alles Fernere heruntererzählen, trocken wie die Zeitung«, erwiderte der Freiherr. »Übrigens kann ich versichern, daß ich mich nach den besten jetztlebenden Mustern gebildet habe, und meine Darstellung so einrichtete, wie die Autoren, welche das Zeitalter und die Nation gegenwärtig entflammen und hinreißen, es mich gelehrt haben.«

      Vierzehntes Kapitel

      Die angefangene historische Novelle kommt glücklich, wenn auch auf unerwartete Weise zu Ende

      »Nach der Erzählung der sechs Gebrüder Piepmeyer entstand, wie ich sagte, in der Wachtstube zu Kassel ein großer Streit. Einige Hessen wollten die Wahrheit derselben bezweifeln, und meinten, daß niemand bei lebendigem Leibe umgehn könne. Ein Skeptiker aus Witzenhausen sagte, kein Geist rauche Tabak, und noch viel weniger bleibe von seiner Pfeife Asche nach, das Ganze sei daher eine »Einbildungskraft« der Gebrüder Piepmeyer, wie er sich ausdrückte.

      Dagegen sagten vier Gardisten aus Schaumburg, mit Potentaten verhielte es sich anders, als wie mit Partikuliers, die hätten etwas voraus, sie könnten überall und doch nirgends sein. Zwei Ziegenhainer riefen: »Wenn er da war und sich verlustieren wollte, so tat er rauchen, und wenn er rauchen tat, so tat Rauch und Asche darnach kommen.« Einer aus Hofgeismar drehte diese Sätze um, und folgerte also: »Weil Piepmeyers Asche finden taten, so hat er rauchen getan, und weil er rauchen getan hat, so hat er auf der Löwenburg sein getan.«

      Es nahmen immer mehrere Wachtmannschaften an diesen Debatten teil, und der Lärmen wuchs von Minute zu Minute. Da rief der kommandierende Fähnrich, ein junger Herr von Zinzerling, aus einer der ersten Familien des Landes, mit seiner hohen Diskantstimme in das Getöse hinein: »Ihr Sakramenter, in dreier Teufel Namen, räsoniert nicht weiter!« — Jede Untersuchung hörte demnächst auf, und alle Wachtmannschaften enthielten sich aus Subordination selbst der stillen Gedanken über den Gegenstand.

      Die Nacht hatte inzwischen den ersten Strahlen des Frühlichts Raum gegeben, welche den Ofen und die Bänke der Wachtstube mit gelbrötlichen Streifen säumten. Unvergleichlich war die Wirkung eines scharfen Schlaglichtes am oberen Zinnrande eines Bierkrugs, von welchem ein seltsamer, aber verstandner Reflex den Knopf des Feldwebelstocks traf, welcher darüber am dritten Haken hing. Überall tiefe, satte Farbentöne, klare, durchsichtige Schatten! Die Wachtstube schien keine wirkliche Wachtstube zu sein, sie war heute mehr, sie war eine gemalte.

      Was Piepmeyers betrifft, so hatten sie ihre Postenstunden abgestanden, sie durften sich nun einem kurzen Schlafe überlassen. Ruhig lagen sie nebeneinander auf der Pritsche und schnarchten. Hinter der Pritsche hingen ihre sechs Zöpfe einträchtig herunter, damit der Wachtfriseur dieselben auch während ihres Schlummers neu einflechten könne.

      Um diese Zeit ereignete sich folgende wunderwürdige Begebenheit. Nämlich der Wachtfriseur Isidor Hirsewenzel trat in die Wachtstube.«

      »Darin sehe ich denn eben kein großes Wunder!« fuhr der alte Baron unwillkürlich heraus.

      »Alles in der Natur und in der Geschichte hängt zusammen«, sagte der Freiherr mit Würde. »Man höre mich ohne Unterbrechung an, das Wunder folgt dem kurhessischen Wachtfriseur Isidor Hirsewenzel auf der Ferse.«

      »Dieser Isidor ist doch

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